Vertrauen braucht zwei Seiten.

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Wenn alle, so wie gerade jetzt, nach Vertrauen rufen, Vertrauen einfordern, dann ist das eigentlich kein gutes, sondern ein Krisenzeichen. Zumindest ein Beleg dafür, dass es sich um eine Mangelware, um etwas, das fehlt oder zerstört ist, handelt.

Nach der Lehman-Pleite 2008 und der folgenden Finanzkrise hat die Finanzwirtschaft die "Herstellung von Vertrauen" gepredigt. Der 11. September 2001 wurde sogar als "Verlust des Weltvertrauens" beschrieben. Jetzt wird rundum Vertrauen verlangt – von der Firma bis zur Politik. Vertrauen zu können gilt als wichtigste Fähigkeit von Führungskräften und als Basis für ein Miteinander.

Gleichzeitig steht Vertrauen in großem Misskredit: Wer vertraut, ist naiv, macht sich abhängig, ist nicht kritikfähig und lädt zu Enttäuschungen ein.

Misstrauen prägt das Miteinander – der eine arbeitet wohl zu wenig, der andere trifft Entscheidungen aus reiner Selbsterhaltungs- und Machtpolitik. Das ist eine Verdachts-, keine Vertrauenskultur. Die Berater der Spitzenmanager raufen sich die Haare – woran liegt das? Sicher an der nötigen Basis für Vertrauen: Transparenz, Berechenbarkeit, Glaubwürdigkeit, Ehrlichkeit, eingehaltene Versprechen, aber auch klare Sanktionen. Vertrauen braucht zwei Seiten. Aber immer Vertrauensvorschuss der Stärkeren. Enttäuschungen programmiert. Aber anders geht es nicht. (Karin Bauer, 22.11.2020)