Dubiose Heilversprechen bei Krebserkrankungen kommen nicht nur von halbseidenen Energetikern. Es gibt auch Ärzte, die verzweifelten Kranken den Strohhalm hinhalten, nach dem diese greifen. Ein Bericht von "Spiegel TV" macht mich auf die "Klinik im Leben" im thüringischen Greiz aufmerksam. Der Bericht handelt von einer an Brustkrebs erkrankten Frau, der in der Klinik offenbar –  aus der Sicht der Klinik erfolgreich – "alternative" Therapien verkauft worden waren. Die stellten sich freilich – aus der Sicht der Patientin – als erfolglos heraus. Die Frau verstarb, sie verweigerte medizinisch sinnvolle Therapien. Die Familie vermutet, dass die „Klink im Leben“ der Frau bewusst von wirksamen Therapien abgeraten und eigene Therapien verkauft habe. 

Die Klinik will den Körper an das Universelle anbinden

Im Imagefilm der "Klinik im Leben" spircht man von der Betrachtung des Menschen als Ganzen und seiner Ebenen Körper, Geist und Seele "und seiner Anbindung an das Universelle." Man schöpft in der Klinik offenbar aus dem vollen Schwurbelbrunnen. Wer einen Blick auf die Webseite der Klinik wirft, wird erschlagen vom Angebot an angeblich sanften Therapien. Alleine unter dem Punkt „biologische Krebstherapien“ springen mir drei Dutzend Begriffe ins Auge. Von Aromatherapie über Homöopathie und Hyperthermie bis zu einem schamanischen Bodycheck, einer Seelenrückholung und einer Stammbaumheilung. Wer ein Glossar der Pseudomedizin erstellen will, macht hier ein guten Anfang.

Klinik im LEBEN

Eine Anfrage an die Klinik zur Behandlung von Prostatakrebs

Ich mache die Probe aufs Exempel und wende mich mit einer Fake-Identität an die Klinik. Die Diagnose, die ich mitschicke, ist allerdings real. Sie wurde mir von einer befreundeten Ärztin erstellt: Ich bin ein 46-jähriger Mann mit einem Prostatakarzinom, eine Operation wird empfohlen, die Heilungschancen stehen gut. Allerlei Daten aus dem Labor schicke ich mit. Meine Identität: Simone Lombardi aus Mailand. Simone ist ein männlicher Italienischer Vorname, ich schreibe der Klinik in der Ich-Form, schildere in der Ich-Form mein (glücklicherweise nicht zutreffendes) Prostatakarzinom. Die Klinik antwortet über eine Mitarbeiterin zwei Tage später.

Sie schreibt mir, dass sie meine Behandlungsanfrage an die Therapeuten weitergeleitet hat und hierauf eine Therapie-Empfehlung erstellt wurde. In den zwei Tagen dürfte sich der onkologische Rat der Therapeuten in Greiz sehr detailliert und engagiert mit der Diagnose Prostatakrebs eines 46-jährigen Italieners auseinandergesetzt haben, beginnt doch das Schreiben mit „Sehr geehrte Frau Lombardi.“

Ein Tippfehler einer Schreibkraft? Das kann durchaus sein. Was ich eher vermute: Das Ganze ist ein Standardantwort-Schreiben, die einfach mal bei jeder wie auch immer gearteten Anfrage rausgeschickt wird. Darauf lassen mich auch die Behandlungsvorschläge schließen. So gut wie alles, was der esoterische Wunderbaum zu tragen vermag, wird mir empfohlen, die Antwort der Klinik macht den Eindruck eines Copy-and-Paste-Leistungsportfolios.

Dem Prostatakrebs-Patienten empfiehlt man: Hyperthermie, Onkothermie,
Electro-Cancer-Therapie, Colon-Hydro-Therapie, Neuraltherapie,
abwehrstärkende Infusionen, Atemtherapie, seelische und energetische
Arbeit und Physiotherapie. Dem Schreiben sind gleich acht Hochglanz-Prospekte zur Klinik und zu einzelnen Heilverfahren beigefügt.

Die Behandlungstherapien der Klinik sind mannigfaltig.
Foto: Getty Images/iStockphoto/psphotograph

Onkologin der Krebshilfe sagt: eine Schande für die Medizin

Ich bin etwas erschlagen von der Vielfalt der Methoden und leite das Angebot an die Krebsspezialistin der Klinik in Jena weiter. Jutta Hübner, Professorin für Integrative Onkologie der deutschen Krebshilfe, findet klare Worte: „Man darf das wirklich ganz deutlich sagen: Einer krebskranken Person diese Therapien vorzuschlagen, ist unseriös, Humbug und eine Schande für die Zunft der Medizin.“ Die nur gut 30 Kilometer von Jena entfernte „Klinik im Leben“ ist für die Onkologie-Expertin kein unbeschriebenes Blatt in Sachen unseriöser Heilangebote. „Ein Trick scheint zu sein, dass sie in das Angebot einzelne Therapievorschläge einfügen, die es in der evidenzbasierten Medizin in irgendeiner Form tatsächlich gibt.“ Ein Beispiel dafür ist die im Angebot angeführte Hyperthermie. Dieser Therapieansatz geht davon aus, dass künstlich herbeigeführte Wärme über 40 Grad Celsius Krebszellen bekämpfen kann. Hübner: „Das ist allerdings nur bei sehr bestimmten Krebsarten unter ganz klar definierten Bedingungen indiziert. Das, was die Klinik in dieser Hinsicht anbietet, entspricht diesen Standard jedenfalls nicht.“

Klinik will nur "verstandesgemäße Türen" öffnen für eine Operation

Zurück zum Fall der von "Spiegel TV" thematisierten Brustkrebspatientin. Die Journalisten konfrontieren die Klinik mit der Tatsache, dass eine schwerkranken Frau offensichtlich sinnlose Therapien verkauft wurden  und sie erhalten ein erhellende Antwort: Dies sei geschehen, "um die Patientin nicht fallen zu lassen und mit Empathie ein so enges Vertrauen auszubauen, dass sich die emotionalen oder verstandesgemäßen Türen für eine weitere Behandlung - insbesondere ein Operation - öffnen." 

Auf den Beitrag im "Spiegel TV" reagiert die Klinik mit einer Gegendarstellung, die sich an "Interessierte der Naturgemäßen Integrativen Medizin" richtet. Etwas larmoyant wird in dem Schreiben beklagt, der Beitrag wäre von "Beratern der Skeptikerbewegung" unterstützt worden, "die das Ziel haben, die Naturheilkunde und die Homöopathie zu diffamieren." (Christian Kreil, 11.12.2020)

Weitere Beiträge des Bloggers