Univ.-Prof. Priv.-Doz. Dr. Erika Richtig
Foto: Werner Stieber, Hautklinik Graz

Univ.-Prof. Priv.-Doz. Dr. Erika Richtig, Universitätsklinik für Dermatologie und Venerologie, Med Uni Graz: In der Phase des ersten Lockdowns mussten wir Routineuntersuchungen wie Nachsorgeuntersuchungen und Muttermalkontrollen an unserer Klinik einstellen. Manche Patienten haben Veränderungen an Muttermalen beobachtet oder bei ihnen ist ein Knoten gewachsen, aufgrund von Verunsicherung haben sie erst nach den ersten Lockerungen den Weg in eine Ambulanz oder zum Facharzt gefunden. In der Erstdiagnose sehen wir derzeit schon vermehrt Melanome mit einer höheren Tumordicke. Was die Versorgung von Patienten mit aktiver Tumorerkrankung, auch im metastasierten Stadium, betraf, wurde das weitere Vorgehen, abhängig von der jeweiligen Therapieform – zielgerichtete Therapie, Chemotherapie oder Immuntherapie, individuell mit den Patienten abgesprochen. Darüber hinaus haben wir ein Sorgentelefon installiert, wo Patienten anrufen konnten und von einer Pflegekraft beraten wurden. Durch Fortschritte in der Melanombehandlung leben unsere Patienten länger und werden älter. Vor allem sie brauchen Sozial kontakte, um die Erkrankung zu meistern. Dies sehen wir auch bei der Krebshilfe Steiermark: Wir beraten nun vermehrt über das Telefon oder per Video; die Zahl der Patienten, mit denen wir in Kontakt stehen, ist im Vergleich zum Vorjahr ähnlich, die Beratungsfrequenz ist allerdings angestiegen.

"Krebsvorsorge, -therapie und -nachsorge sollten nicht grundlos aufgeschoben oder abgebrochen werden."
Assoc. Prof. Priv.-Doz Dr. Thorsten Füreder
Foto: Felicitas Matern

Assoc. Prof. Priv.-Doz Dr. Thorsten Füreder, Klinische Abteilung für Onkologie, MedUni Wien: In der Onkologie haben wir früh strenge Maßnahmen gesetzt, um einerseits Patienten und Personal vor einer Infektion mit SARS-CoV-2 zu schützen und andererseits die onkologische Versorgung unserer Patienten, die zumeist an einem fortgeschrittenen Kopf-Hals-Tumor leiden, aufrecht zu erhalten. Dadurch hatten wir sehr konstante Patientenzahlen an unserer onkologischen Tagesklinik.

OA Dr. Rainer Kolb
Foto: Jürgen Pletterbauer

OA Dr. Rainer Kolb, stv. Abteilungsleiter der Abt. für Lungenkrankheiten, Leiter Lungenkrebsambulanz am Klinikum Wels-Grieskirchen GmbH: An unserem Haus haben wir uns von Beginn an sehr darum bemüht, dass Lungenkrebspatienten keine Einschränkungen in ihrer Behandlung erfahren, um nicht entscheidende Momente für ihren weiteren Krankheitsverlauf zu verpassen. Die Zahlen der Lungenkrebs-Erstdiagnosen sind gleich geblieben und auch die Anzahl der Patienten, die erst im späten (metastasierten) Stadium diagnostiziert werden, ist nicht gestiegen! Eines der Hauptsymptome von COVID-19 ist die Pneumonie – unsere Patienten sind in dieser Hinsicht sensibel und haben etwaige Probleme sofort untersuchen lassen.

Was tun Sie, damit Patienten weiter hin sicher behandelt werden können?
Richtig: Wir tun alles dafür, den Ab lauf so normal wie möglich für die Patienten zu gestalten. Wenn Patienten trotzdem ihre Routinekontrolle absagen wollen, weil sie sich nicht sicher fühlen, den Weg in die Klinik zu nehmen, versuchen wir einen Weg zu finden, wie diese wohnortnah übernommen werden kann; das ist vor allem bei jenen Patienten, die mehrere Jahre tumorfrei sind, möglich. Unser Sorgentelefon ist nach wie vor aktiv und für Patienten hilfreich, die unsicher sind, wie sie sich in bestimmten Situationen verhalten oder auch, ob sie zur Abklärung von Nebenwirkungen an die Klinik kommen sollen.
Füreder
: Neben den Hygiene- und Sicherheitsmaßnahmen haben wir an der onkologischen Abteilung strenge Begleitpersonen- bzw. Besucherregelungen. Onkologische Patienten befinden sich in einer Ausnahmesituation und natürlich ist es für sie nicht immer einfach, auf eine Begleitperson, die sie in dieser besonders emotionalen Situation unterstützt, zu verzichten; unsere Psychoonkologen bieten hier Unterstützung. Darüber hinaus werden Patienten und Personal in regelmäßigen Abständen auf SARS-CoV-2 getestet, um mögliche Infektionen rasch zu erkennen.
Kolb
: Wir sind mit unseren Krebspatienten immer schon besonders vor sichtig umgegangen und haben uns bemüht, jegliches Infektionsgeschehen von ihnen fernzuhalten. Therapie und Nachsorge bei bereits bekannten Lungenkarzinomen sind extrem wichtig und schlussendlich ein wesentlicher Parameter für das Überleben von Patienten.

Wann sollte man einen Facharzt aufsuchen?
Füreder: Im Bereich der Kopf-Hals-Tumore können die Symptome sehr unspezifisch sein. Lang anhaltende Heiserkeit (>3 Wochen), eine Wunde nach Zahnextraktion, die nicht heilt, Lymphknotenschwellungen am Hals oder Probleme bei der Nasenatmung – Symptome, die in vielen Fällen einen harmlosen Befund bedeuten. Wichtig ist, wenn Symptome über einen Zeitraum von mehreren Wochen nicht abklingen oder stärker werden, sollte ein HNO-Facharzt zur genauen Abklärung aufgesucht werden.
Kolb
: Ein Frühsymptom für Lungen krebs ist Husten und fast jeder Raucher hustet. Unsere Empfehlung lautet hier: Bemerkt man eine Veränderung des Hustens, also in Rhythmus und Intensität, oder blutigen Auswurf, muss das schnell abgeklärt werden. Das Lungengewebe ist aufgrund fehlender Nervenbahnen nicht in der Lage, Schmerzen zu empfinden. Deshalb können Lungentumore über einen gewissen Zeitraum wachsen, ohne dass es der Patient bemerkt.

Haben Krebspatienten ein höheres Risiko, an COVID-19 zu erkranken?
Füreder: Prinzipiell wurden weltweit über das Risiko für Krebspatienten im Vergleich Gesamtbevölkerung uneinheitliche Ergebnisse berichtet. Zur Situation in Österreich wurde kürzlich eine Studie zu den COVID-19-Infektionsraten unter onkologischen Patienten im AKH Wien publiziert. Diese zeigt, dass aufgrund rigoroser Sicherheitsmaßnahmen an der Klinik kein er höhtes Risiko einer Ansteckung bei Krebspatienten besteht.
Kolb: Patienten die an Lungenkrebs erkrankt sind, haben ein höheres Risiko für Komplikationen im Rahmen einer Infektion mit COVID-19 und weisen eine höhere Sterblichkeit auf als Patienten ohne Lungenkrebs. Aufgrund des Alters, der Raucheranamnese und der daraus resultierenden Begleiterkrankungen (COPD etc.) sind Lungenkrebspatienten auch empfänglicher für eine COVID-19-Infektion. Zusätzlich kann bei Patienten die eine Chemotherapie er halten, eine Verminderung der weißen Blutkörperchen auftreten; das heißt die Immunabwehr ist herabgesetzt und sie haben ein höheres Risiko – unabhängig von COVID-19 – für alle Infekte. Dies sehen wir bisher nicht bei Patienten unter Immuntherapie. Unsere Patienten sind aber sehr gut geschult und haben immer schon die jetzt von der Regierung empfohlenen Maßnahmen in ihren Alltag integriert, um sich nicht dem Risiko einer zusätzlichen Infektionskrankheit auszusetzen.

Was bedeutet eine SARS-CoV-2-Infektion für eine laufende Krebstherapie?
Richtig: Wird eine COVID-19-Infektion festgestellt, steht die Behandlung dieser akuten Krankheit im Vordergrund. Wichtig ist, dass sich Patienten wieder gut erholen, die Weiterführung der Tumortherapie wird dann individuell mit dem Patienten abgesprochen.
Füreder: Durch moderne Immuntherapien ist es heute möglich, Patienten weniger häufig ins Krankenhaus zu bestellen und das Risiko einer Infektion zu minimieren. Das heißt, anstatt alle drei Wochen zur Infusion zu kommen, kann dieses Intervall zum Beispiel auch auf vier bis sechs Wochen ausgedehnt werden. Es gibt klare Leitlinien in puncto Nutzen und Risikoabwägung: Eine aktive Krebserkrankung kann, wenn sie voranschreitet, lebensbedrohend sein, und in diesem Fall ist der Nutzen einer Therapie höher, als sich dem Risiko einer Infektion mit SARS-CoV-2 auszusetzen. Ein grundloser Stopp oder das Unterbrechen der Therapie ist nicht zu empfehlen.

"Wie würden Sie handeln, wenn es keine Pandemie gäbe?"

Die Diagnose Krebs bedeutet für Betroffene oftmals einen tiefen Einschnitt in ihrem Leben. Zu Fragen wie "Warum habe ich diese Krankheit bekommen?" oder "Wie geht es weiter?" kam im Frühjahr 2020 plötzlich auch die unbekannte Sorge vor einer Ansteckung mit SARS-CoV-2 hinzu.

Dr. Iris Herscovici, Gründerin von selpers.
Foto: selpers.com

"Aus den Erfahrungen des Frühjahrs haben wir gelernt, dass das undifferenzierte Herunterfahren des Gesundheitswesens nicht der richtige Weg war. Viele Patienten waren verunsichert, ob es für sie überhaupt sicher ist, Kontroll- und Behandlungstermine wahrzunehmen, andere wiederum haben wichtige Vorsorgeuntersuchungen aufgeschoben, aus Sorge, dadurch eine weitere Belastung für das Gesundheitssystem darzustellen", berichtet Dr. Gerald Bachinger, NÖ Patienten- und Pflegeanwalt. "Zu Beginn hatten wir zudem das Problem, dass in den Ordinationen nicht genügend Schutzausrüstung für das medizinische Personal verfügbar war, dazu hatte kaum jemand Erfahrungen im Umgang mit dieser Pandemie. Das hat sich stark gewandelt; mittler weile gibt es überall Konzepte zur Infektionsprophylaxe und klare Regeln zur Sicherheit von Patienten und Ärzten", so Bachinger weiter. Dr. Iris Herscovici, Gründerin von selpers, gibt zu bedenken, dass durch den starken Fokus auf COVID-19 im Frühjahr chronische und schwere Erkrankungen wie Krebs zum Teil in den Hintergrund gerückt wären. "Chronische Erkrankungen verschwinden aber nicht einfach", sagt sie, "das Gesundheitssystem hat aus den Erfahrungen des Frühjahrs gelernt, denn es macht keinen Sinn, wichtige Untersuchungen aufzuschieben. Dies kann nämlich dazu führen, dass Patienten erst zu einem viel späteren Zeitpunkt mit einer größeren Krankheitsproblematik das Krankenhaus aufsuchen. Gerade bei Krebserkrankungen ist eine rasche Diagnose und früher Therapiebeginn vorteilhaft für den weiteren Krankheitsverlauf. Als Patient sollte man sich daher die Frage stellen: Wie würde ich handeln, wenn es keine Pandemie gäbe? Wie würde man dann mit einem akuten medizinischen Problem umgehen? Die Angst vor einer Ansteckung mit COVID-19 darf nicht dazu führen, dass Betroffene wichtige medizinische Behandlungen, Vorsorge- und Nachsorgemaßnahmen nicht wahr nehmen oder aufschieben."
Der persönliche Kontakt zwischen Arzt und Patient ist unbestritten wichtig, durch COVID-19 und die damit verbundenen Einschränkungen sozialer Kontakte hat der Zugriff auf digitale Kommunikationsmöglichkeiten einen großen Aufschwung erfahren. Die telefonische Krankschreibung und Verordnung von Medikamenten sowie der Aus bau telemedizinischer Informations- und Beratungsleistungen ist für Gerald Bachinger ein großer Schritt nach vorne: "Wir erhalten viele Rückmeldungen von Patienten, dass diese Services auch zu künftig, natürlich unter Wahrung aller Datenschutz- und Sicherheitsstandards, weiter bestehen sollen."

Dr. Gerald Bachinger, NÖ PatientInnen- und Pflegeanwalt.
Foto: NÖ Patienten- und Pflegeanwaltschaft

Auf sichere Information zugreifen
In Zeiten von Social Distancing nehmen Patienten vermehrt das Internet als Informationsquelle in Anspruch – gesicherte und leicht verständliche Informationen sind für Iris Herscovici deshalb essenziell: "Der Kontakt zum behandelnden Arzt, persönlich oder über Telefon und Video, nimmt nur eine kurze Zeit im Krankheitsgeschehen der Patienten ein. Die meiste Zeit sind sie mit ihrer Krankheit alleine und an diesem Punkt setzen unsere Schulungen an. Unser Ziel ist es, expertengestützte, einfache Informationen von der Diagnose über den Behandlungsweg und Krankheitsverlauf bis hin zu den Möglichkeiten, seinen Alltag gut und sicher zu gestalten, bereitzustellen." Im Rahmen der heute und morgen von selpers veranstalteten virtuellen Patiententage (selpers.com/live) klären deshalb zahlreiche Experten zu relevanten Themen rund um SARS-CoV-2 und chronische Erkrankungen auf, "ein großer Fokus liegt dabei auf Krebserkrankungen", betont Herscovici.
"Gerade jetzt ist es wichtig, nicht das Vertrauen in die Gesundheitseinrichtungen zu verlieren, da hier viel zum Schutz von Patienten und Personal und der Aufrechterhaltung der medizinischen Versorgung geleistet wird", bekräftigt Bachinger. "Chronische Patienten, die ja über einen langen Zeitraum in der Betreuung durch das Gesundheitswesen sind, haben einen guten Überblick der Abläufe in ihrer Behandlung. Werden diese plötzlich verändert, empfiehlt es nachzufragen", so der Patientenanwalt.