Eine Aufnahme von einem Prozess in Klagenfurt: Eine Frau wurde verurteilt, weil sie trotz Corona-Infektion Geld am Schalter überwies.

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Ein Corona-Infizierter, der aus dem Spital abhaute und mit dem Zug nach Deutschland fuhr; ein Bauarbeiter, der aus Angst um seinen Job trotz eines positiven Tests zur Arbeit ging; eine Frau, die während ihrer Quarantäne spazieren ging und dabei von einer Nachbarin beobachtet wurde: Die Liste an Personen, die im Zusammenhang mit dem Coronavirus wegen der sogenannten Gefährdung von Menschen durch übertragbare Krankheiten angezeigt oder gar verurteilt wurden, ist lang, die Fälle sind vielfältig.

Und die Zahl der Fälle stieg rasant. Wie aktuelle Daten, die dem STANDARD vorliegen, zeigen, wurden allein in diesem Jahr schon siebenmal so viele Fälle nach Paragraf 178 im Strafgesetzbuch – vorsätzliche Gefährdung von Menschen durch übertragbare Krankheiten – bei Österreichs Staatsanwaltschaften angezeigt wie im gesamten Jahr 2019. Bei Paragraf 179, der fahrlässigen Gefährdung, waren es sogar 14-mal so viele Fälle wie im gesamten Vorjahr. In absoluten Zahlen stiegen die Anzeigen im Zusammenhang mit dem Vorsatzdelikt von 48 im Vorjahr auf 336 bis zum heurigen Oktober und jene im Zusammenhang mit dem Fahrlässigkeitsdelikt von elf auf 154.

Höhepunkt der Anzeigenflut im April

Der Höhepunkt der Anzeigenflut wurde im heurigen April erreicht. Da gab es 62 Anzeigen nach Paragraf 178 und 36 nach Paragraf 179. Seitdem flauten die Zahlen wieder ab auf 32 bzw. 19 Fälle im Oktober – also in etwa so viele, wie es bisher in einem ganzen Jahr gab.

Allerdings: Bei zahlreichen dieser Anzeigen sahen die zuständigen Staatsanwaltschaften keinen ausreichenden Anfangsverdacht, daher leiteten sie keine Ermittlungen ein. Das war allerdings nicht im besonders anzeigenstarken Monat April am häufigsten der Fall, sondern erst später, im August und September. Insgesamt sahen die Staatsanwaltschaften seit Jänner bei etwa einem Drittel der Vorsatzdelikte und der Hälfte der Fahrlässigkeitsdelikte keinen Anfangsverdacht.

Zahlreiche Verfahren wurden außerdem eingestellt – konkret 129 Verfahren nach Paragraf 178 und 38 Verfahren nach Paragraf 179. Passend dazu meinte schon im Juli der Richter bei dem Prozess der eingangs erwähnten Spaziergängerin: "Denunzieren soll nicht zum Volkssport werden, ich finde eine solche Gesellschaft nicht lebenswert." Verurteilt wurde die Frau damals allerdings trotzdem: nicht rechtskräftig zu einer Geldstrafe von 1200 Euro.

Insgesamt wurden heuer 16 Personen wegen eines der beiden Delikte verurteilt – das betrifft aber auch Fälle, die aus dem Jahr 2019 oder früher stammen und heuer erst behandelt wurden, betont man im Justizministerium. Nur eine Person wurde heuer in dem Zusammenhang vor Gericht freigesprochen.

Man muss nicht angesteckt haben, um angezeigt zu werden

Der Strafrahmen reicht beim Vorsatzdelikt bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe, bei Fahrlässigkeit drohen bis zu einem Jahr Haft oder bis zu 720 Tagessätze. Doch was genau muss man angestellt haben, um den Straftatbestand zu erfüllen? Bisher betrafen die beiden Delikte vor allem Fälle, bei denen es darum ging, dass jemand eine andere Person mit HIV infiziert hatte. Erst vor kurzem kam es zum Prozess gegen eine Sexarbeiterin, die trotz Syphiliserkrankung arbeitete, er wurde vertagt.

Durch Corona bekommen die Paragrafen aber eine neue Brisanz. Ein simpler Verstoß gegen die geltenden Ausgangsbeschränkungen reiche zwar nicht aus, dass die Straftatbestände erfüllt werden könnten, sagt die Leiterin des Strafrechtsinstituts der Uni Wien, Susanne Reindl-Krauskopf. Anders sei das aber, wenn jemand infiziert ist und trotzdem hinausgeht, um Menschen zu treffen. Dabei sei es, so die Juristin, egal, ob es tatsächlich zu einer Ansteckung kam oder nicht, es gehe einzig darum, ob eine Handlung das möglicherweise möglich gemacht hätte.

Man hätte von der Ansteckungsgefahr wissen müssen

Mehr noch: Es sei sogar umstritten, ob die tatverdächtige Person selbst infiziert sein muss, um den Straftatbestand zu erfüllen. Denkbar wäre zum Beispiel, dass etwa eine Person, die eine Corona-Party organisiert – im Sinne einer Masernparty, wo sich gezielt Infizierte und Nichtinfizierte treffen sollen –, darunter fällt. Selbst nicht infizierte Teilnehmer oder Teilnehmerinnen könnten unter Umständen nach Paragraf 178 bestraft werden, "weil auch sie ein Verhalten setzen, das abstrakt geeignet ist, zur epidemieartigen Verbreitung des Virus beizutragen", schreibt die Paulitsch Rechtsanwalts GmbH.

Ein anderes Beispiel: Gegen den Bürgermeister von Ischgl und drei weitere Personen wurde ermittelt, nachdem sich im Frühling das Coronavirus in dem Wintersportort quasi ungebremst ausbreiten konnte. Die beiden Straftatbestände "gehen wahnsinnig weit", sagt Reindl-Krauskopf, weil eben nur in Betracht kommt, ob ein Verhalten potenziell geeignet war, um Schaden anzurichten.

Einen Unterschied macht hingegen, ob man von der eigenen Ansteckungsgefahr wusste oder sie zumindest hätte erahnen können. "Weiß eine Person nichts von ihrer Erkrankung, ist eine vorsätzliche Begehung nicht möglich", meinen die Anwälte Stefan Gamsjäger und Hannes Wiesflecker. Doch im Falle der fahrlässigen Begehung könne man sich sehr wohl strafbar machen, wenn man von einer "Erkrankung und der Gefährlichkeit ihrer Handlung wissen sollte oder zumindest davon hätte wissen können". (Gabriele Scherndl, 24.11.2020)