Mahnt eindringlich, die Klimakrise ernst zu nehmen: der scheidende Verbund-Chef Wolfgang Anzengruber.

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Der Beginn seiner Karriere bei Verbund fiel 2009 mit der größten Finanzkrise seit dem Zweiten Weltkrieg zusammen. Am Ende seines Berufslebens an der Spitze von Österreichs größtem Stromunternehmen steht die bis dato größte Wirtschaftskrise – ausgelöst durch die Corona-Pandemie. Wolfgang Anzengruber empfängt in seinem Büro in der Verbund-Zentrale in Wien mit gebotenem Abstand.

STANDARD: Zwölf Jahre Verbund, so lange waren Sie noch nie in einer Spitzenposition. Planung oder Passion?

Anzengruber: Dass ich gesagt hätte, irgendwann lande ich bei Verbund, so war es definitiv nicht. Es gehört Glück dazu, zum richtigen Zeitpunkt die richtige Entscheidung zu treffen, wenn man gefragt wird. Passion, das ja. Der Energiebereich war für mich immer attraktiv und hat mich einen Großteil meines Berufslebens begleitet.

STANDARD: Geliebäugelt haben Sie früher auch nie mit Verbund?

Anzengruber: Nein, Verbund kannte ich natürlich gut von der Lieferantenseite, auf der ich viele Jahre stand. Das war für mich immer ein attraktives Unternehmen. Ich hätte mir aber nie gedacht, dass ich einmal dort landen würde.

STANDARD: Sie mussten zu Beginn Ihrer Tätigkeit bei Verbund eine Vielzahl an Flops applanieren, die auf den Expansionsdrang Ihrer Vorgänger zurückgingen – Stichwort Italien, Stichwort Frankreich, Stichwort Türkei. Was war der größte Flop?

Anzengruber: Zuerst muss ich relativieren. Ich habe das, was meine Vorgänger gemacht haben, nie als Flop gesehen. Das waren auch keine Dummheiten. Nur die Welt hat sich verändert. Wenn das passiert, muss man korrigieren. Das geschieht in vielen Unternehmen.

STANDARD: Und Ihr größter Flop?

Anzengruber: Mir fällt nichts ein, vielleicht habe ich das auch verdrängt. Dazu müssen sie wohl andere befragen.

STANDARD: Ihre beste Entscheidung?

Anzengruber: Die Sache in der Türkei. Wir hatten ein super Joint Venture mit Sabanci, sehr vertrauensvoll. Mir wurde aber klar, wenn die in dem Tempo weitermachen, geht uns bald das Geld aus. In Europa ist der Strompreis nach der Lehmann-Pleite und der dadurch ausgelösten Finanz- und Wirtschaftskrise stark eingebrochen. Wir haben weniger Cashflow gemacht, gleichzeitig hätten wir mehr Geld für die Expansion in der Türkei ausgeben sollen. Das wäre nur gegangen, indem wir uns mehr verschuldet hätten.

STANDARD: Gab es Widerstand im Unternehmen gegen den Ausstieg?

Anzengruber: Es war nicht so, dass alle applaudiert hätten. Nicht nur im Unternehmen, auch im Umfeld gab es kritische Stimmen. Manche sagten, Verbund wird jetzt provinziell, lässt die Wachstumschance liegen. Hätten wir damals gesagt, wir bekommen Geld für den Ausstieg, wäre es leichter gegangen.

STANDARD: Sie aber haben auf ein Tauschgeschäft bestanden?

Anzengruber: Wir haben gesagt, wir machen einen Swap mit Eon, tauschen unsere Anteile an Sabanci gegen Wasserkraftwerke, die Eon in Bayern hatten.

STANDARD: Kritisiert wurde auch die Bewertung.

Anzengruber: Heute sind alle heilfroh, dass wir den Swap gemacht haben. Wären wir heute noch in der Türkei, wären wir wahrscheinlich ein Rettungsfall.

STANDARD: Was würden Sie, wenn Sie könnten, anders machen?

Anzengruber: So gut die Türkei gelaufen ist – in Frankreich hätten wir rückblickend früher reagieren sollen. Wahrscheinlich war ich zu gutgläubig, auch weil höchste Regierungsvertreter in Paris wie die damalige Finanzministerin Christine Lagarde versichert haben, dass sich alles ändern, die Marktliberalisierung kommen werde und und und. Wir waren in dem dortigen Joint Venture (Poweo, Anm.) in einer Minderheitenposition und mussten, bevor wir verkaufen konnten, erst aufstocken. Das zu erklären war schwierig genug. Das Rad lässt sich nicht zurückdrehen. Dennoch – wir haben nie Verluste gemacht, selbst in den schwierigsten Zeiten nicht. Wir haben immer Dividende gezahlt und nie Geld vom Staat benötigt.

STANDARD: Wie stark war der Druck von politischer Seite, möglichst viel auszuschütten?

Anzengruber: Die Erwartungshaltung war immer, dass wir Dividende zahlen. Das ist legitim. Ein Eigentümer hat Anspruch auf Verzinsung seines eingesetzten Kapitals. Punkt.

STANDARD: Zumindest Teile des Geldes hätte man vielleicht für Werthaltigeres einsetzen können?

Anzengruber: Ich kann nur sagen, es war nie ein Druck da, der unsere Schmerzgrenze überstiegen hätte, zumindest habe ich es nicht so erlebt. Es war ein sehr vernünftiger Umgang mit uns.

STANDARD: Ist die Politik mit der Energiewende überfordert?

Anzengruber: Ich vermisse dieses allumfassende Bewusstsein, was geschieht, wenn wir den Weg weg von fossilen hin zu erneuerbaren Energien nicht konsequent gehen und die Klimaerwärmung nicht stoppen. Im Vergleich dazu ist die Corona-Krise eine Kleinigkeit. Dann hilft kein Lockdown mehr.

Der Weg von fossilen zu erneuerbaren Energien müsse konsequent beschritten werden. Nur so lasse sich die Klimaerwärmung bremsen, sagt Verbund-Chef Wolfgang Anzengruber.
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STANDARD: Hand aufs Herz, Sie haben zu Beginn auch am Potenzial der erneuerbaren Energien gezweifelt?

Anzengruber: Ich habe am System gezweifelt, wie gefördert wird, nicht an den Erneuerbaren, wiewohl ich zugeben muss, dass ich die Fotovoltaik unterschätzt habe. Das System jetzt kommt an seine Grenzen. Es geht nicht, dass man zwei Bereiche in einem gemeinsamen Marktsystem hat, einen geförderten und einen nicht geförderten. Wenn man schon fördert, dann bitte nicht den Output, sondern die Investitionen.

STANDARD: Wird das jetzt besser mit dem Erneuerbaren Ausbau Gesetz?

Anzengruber: Es geht zumindest in die richtige Richtung. Wir müssen allmählich in ein marktwirtschaftliches System kommen.

STANDARD: Immer wieder wurde von der Branche die Gefahr eines Blackouts beschworen. Wie gefährlich ist es zur Zeit?

Anzengruber: Das Eis, auf dem wir gehen, ist dünn, das habe ich immer gesagt und das trifft noch immer zu. Wenn parallel zum Ausbau der Erneuerbaren die Infrastruktur nicht auch mitwächst, wird das Problem größer. Flächendeckende Blackouts wird es, glaube ich, nicht geben, eher lokale Ereignisse, wo aber alle daran arbeiten, dass sie nicht passieren.

STANDARD: Gibt es einen Notfallsplan, der anders als das Skript zur Pandemiebekämpfung sicht- und greifbar in der Schublade liegt?

Anzengruber: Es gibt solche Pläne, wir wissen aber nicht, wie gut die sind. Den Ernstfall gab es zum Glück noch nie. Und ich möchte das, ehrlich gesagt, auch nicht testen müssen. Die Gefahr, dass kriminelle Organisationen einen Blackout herbeiführen, halte ich für nicht so groß. Sollte es staatsgesteuerte Attacken geben, kann man für nichts garantieren.

STANDARD: Was hat Corona mit ihnen gemacht?

Anzengruber: Die persönlichen Kontakte sind schwächer geworden, das bedauere ich sehr. Ich mag Menschen um mich. Um Begeisterung für Entwicklungen im Unternehmen oder in einem Team zu wecken, ist der Bildschirm ein zu starker Filter.

STANDARD: Sie scheiden mit Jahresende aus, was werden Sie am meisten vermissen?

Anzengruber: Die Menschen, mit denen ich zusammengearbeitet habe, nicht nur im Unternehmen, auch außerhalb.

STANDARD: Was ist das Nächste, das Sie angehen wollen?

Anzengruber: (lacht) Das werden wir sehen. Mit dem Thema Energie jedenfalls will ich mich weiter beschäftigen.

STANDARD: Sie bleiben also unter Strom?

Anzengruber: Im übertragenen Sinn schon. Ich werde in keinen Vorstand mehr gehen, aber einen bescheidenen Beitrag über andere Kanäle leisten – das ist meine Intention. (Günther Strobl, 24.11.2020)