Ischgl war ein PR-Desaster, keine Frage. Auch knapp neun Monate nach Beginn der Negativschlagzeilen scheint man im Tiroler Wintersportparadies aber manch Mechanismen von Öffentlichkeits- und Kommunikationsarbeit nicht perfekt zu verstehen. Ansonsten wüsste man wohl, dass man mit patzigen Einschüchterungsversuchen gegen einen öffentlich (noch) eher unbekannten Musiker und Satiriker nicht gerade die große Menge an Unterstützern auf seine Seite zieht. Und so wird die Ischgl-Posse wieder einmal um ein Kapitel reicher. Es heißt: Seilbahnvorstand vs. Hinterberger.

Die Rede ist von Marcus Hinterberger. 20 Jahre jung, Schauspiel- und Regiestudent aus Saalbach-Hinterglemm. Der junge Salzburger parodiert neben seinem Studium immer mal wieder die österreichische Politik, und so wurden etwa schon das legendäre Ibiza-Video oder auch die Corona-Tristesse aufs Korn genommen. Was aber nach dem Upload seines Ischgl-Blues passierte, damit hatte Hinterberger nicht gerechnet.

Shitstorm

Etliche Ischgler hätten sich zusammengetan und sein auf Facebook und Youtube hinaufgeladenes Video mit gehässigen Kommentaren gegen ihn, seine angeblich schlecht gestimmte Gitarre und seine Familie versehen, erzählt Hinterberger dem STANDARD. Ein veritabler Shitstorm, ausgelöst durch Zeilen wie "Mei Vater, der war Bauer, aber i bin Hotelier", oder "Also sitzen ma in da G'meinde und überleg'n die Strategie, und auf oanmal kimmt's ma g'schoss'n, mir mach'n Luxus-Après-Ski." Ebenjene von Ischgl tatsächlich kommunizierten Strategien seien die Inspiration zum Song gewesen, so der Musiker.

Der Ischgl-Blues: Mittlerweile berühmter, als so manchem Seilbahner lieb ist.
Marcus Hinterberger

Während Hinterberger im ersten Teil des "Ischgl-Blues" einen geldverprassenden Hoteliersohn mimt, der in seinen Reichtum hineingeboren wurde und sich weniger um das Wohl der Gäste als das seines Gelbörserls sorgt, glaubt er gegen Ende des Songs, dass die Touristiker schon auch mit dem neuen Konzept den "Preißn" das Geld aus der Tasche ziehen werden. Dass Satire gerne mit Überspitzungen, Pauschalisierungen und etwas rauer Rhetorik auskommt, sprach sich offenbar nicht bei allen im hinteren Paznauntal durch.

Ein scheinbar geeintes Dorf

Könnte man damit rechnen? Vermutlich ja. Privatpersonen dürfen schließlich ihre eigene Meinung haben, sein Lied schlecht oder unpassend finden. Tatsächlich sollten Hinterberger später aber auch zahlreiche unterstützende Nachrichten aus Ischgl erreichen. Natürlich müsse man das aushalten, drüberstehen und die Sache mit Humor nehmen, sichern ihm zahlreiche Dorfbewohner ihre Unterstützung zu.

Angenehm ist die Situation für den Jungmusiker anfangs freilich trotzdem nicht, vor allem weil auch die Familie mit hineingezogen wird. Er nimmt das Video noch am selben Tag von Facebook, tags darauf auch von Youtube runter. Zwischenzeitlich hatte sich sogar der lokale Tourismusverbandschef eingeschalten und seiner Mutter eine Mail geschrieben, wonach er doch bitte das Video löschen solle. Als alle Videos bereits entfernt wurden, entscheiden sich die Vorstände der Silvretta Bergbahnen AG, Markus Walser und Günther Zangerl, aber dennoch zu einem Brief, der dem STANDARD vorliegt, und richten darin ein paar "Gedanken" an Hinterberger.

"Niveauloses Werk"

Anfangs zeigt man sich selbst im Versuch der Satire und bietet Hinterberger den Posten des Seilbahnvorstands an. Qualifikationen brauche er selbstredend keine, lediglich Erfahrung im Porschefahren und Geldausgeben beim Après-Ski, bezugnehmend auf die ersten paar Zeilen des Liedes. Unter seine Aufgaben falle etwa "das sich ständig wiederholende Heruntermachen Ihrer Heimatgemeinde ausgerechnet durch Menschen, die selbst aus einem touristischen Umfeld" stammen. Man müsse dies mit Humor nehmen – nur um Sekunden später den Song Hinterbergers humorlos so zu bezeichnen: "Ob es sich dabei um tiefgründige Satire handelt oder um das niveaulose 'Werk' eines in seinen Aussagen schlicht primitiven und im Übrigen nicht einmal sonderlich witzigen Möchtegernkünstlers, tut dabei nichts zur Sache."

Auch Ibiza nahm Hinterberger bereits aufs Korn. Da hätte er sich mehr Reaktionen erwartet als beim Ischgl-Video. Er sollte sich täuschen.
Marcus Hinterberger

Im Schreiben folgt eine Aufzählung der erbrachten Leistungen Ischgls. "Natürlich" tue es ihnen um jede infizierte Person leid, heute wisse man aber, dass "Infektionen nicht nur in Ischgl passieren, was die in diesem Zusammenhang immer wieder erhobenen Vorwürfe zwischenzeitlich doch relativ stark relativiert hat". Ein paar Menschen würden sich für ein paar Klicks und Likes aber dennoch auf Kosten Ischgls profilieren wollen.

Tourismusdiktatur?

Hinterberger hat genug. "Wir leben doch in keiner Tourismusdiktatur", sagt er heute. Er schildert seinem Branchenkollegen Hans Söllner die Situation, dieser postet das Video abermals auf Facebook. Mehr als 100.000 Views später lädt es Hinterberger, ermutigt von den positiven Reaktionen, erneut auf Youtube hoch. Auf eine Antwort per Mail verzichtet er. Stattdessen fügt er seinem Video ein Gedicht bei:

Wer sitzt im Gemeindehaus und flucht im Reigen,
es ist der Vorstand, er schickt ein Schreiben.

Er wütet, er fluchet, er haust am Gescheh'n,
je mehr er sich aufregt, desto mehr wollen's seh'n.

Und wenn mal ein G'scheiter sagt, jetzt ist es mir klar,
schreibt seine Schwester den Wutkommentar. So ist das,

wenn man wohlbekannt und jedes Amt mit sich verwandt.
Der Vorstand schreibt in seinem Brief, ich sei nicht witzig, primitiv,

dass mein Lied auch nicht bedeutsam wär
und prompt hat's 100 Tausend Klicks und mehr.

Die Erkenntnis, die da bleibt und die ärgert sie so sehr:
Geld kann vieles, KUNST KANN MEHR.

Marcus Hinterberger überlegte kurzzeitig den durchaus verlockenden Posten des Seilbahnvorstands anzunehmen, er besitze aber keinen Porsche und konzentriere sich lieber auf neue Projekte, auf die eventuell weitere Briefe folgen könnten. (Fabian Sommavilla, 24.11.2020)


PS: Auch den Autor dieser Zeilen erreichte nach einem kürzlich erschienenen Ischgl-Artikel per Mail eine als Poesie getarnte Beleidigung durch einen einflussreichen Ischgler Hotelier. Damit direkt konfrontiert, entschuldigte sich der Mann und lud auf ein gutes Glas Wein in der kommenden Saison in seinem Hotel ein, womit die Sache erledigt ist. (faso)