Wien steht beim Corona-Management und bei den Zahlen seit ein paar Wochen besser da als so manche ländliche Region. Hat die Stadtregierung doch etwas richtig gemacht im Kampf gegen die Pandemie? Markus Wölbitsch, türkiser Klubobmann, verneint: "Ich glaube nicht, dass Stadtrat Hacker irgendwas damit zu tun hat, sondern das, was jetzt langsam funktioniert, sind die Maßnahmen der Bundesregierung."

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Am Dienstag ging es los: Der Wiener Gemeinderat und Landtag konstituierte sich im Festsaal des Rathauses. Die neue rot-pinke Regierung kann mit der Arbeit beginnen, die ÖVP will sie dabei genau beobachten. Von den Türkisen gibt es "keinen Vertrauensvorschuss" für die Regierung, stattdessen Kritik – vor allem in Richtung Neos: Die Pinken hätten kein einziges liberales Kernthema durchgebracht. Die ÖVP übte sich deswegen in Aktionismus – der normalerweise ja eher Sache der Neos ist: "Genosse Wiederkehr, können Sie sich noch in den Spiegel schauen?", steht auf Stickern, die im Rathaus verteilt wurden.

Markus Wölbitsch, der die Türkisen als Klubobmann in der Opposition anführen wird, sieht eine Verhöhnung von Wählern und bietet sich als Alternative zu den Pinken an.

STANDARD: Die ÖVP Wien konnte sich mehr als verdoppeln bei der Wahl. Dennoch scheint es in der Partei derzeit zu brodeln: Es kam zur Krisensitzung. Unter anderem wurde Ihnen da indirekt Führungsschwäche vorgeworfen. Was ist da los?

Wölbitsch: Natürlich ist es wichtig, nach der Wahl das Gespräch mit Funktionärinnen und Funktionären zu suchen, mit den Menschen, die gelaufen sind. Wir haben Konflikte, die aufgetreten sind, geklärt. Das war eine Aussprache von mehreren Personen, die ein internes Abkommen vor der Wahl getroffen haben. Wir haben da den Raum dafür zur Verfügung gestellt. Die Rechtslage ist klar, nämlich dass Josef Mantl, um den es hier geht, das Mandat bekommt. Für mich ist es damit erledigt.

STANDARD: In den Konflikt spielt auch eine Kandidatin hinein, die auf ihr Mandat hätte verzichten müssen, damit Kandidaten einziehen können, die mehr Vorzugsstimmen gesammelt haben. Sie ist aber untergetaucht. Kennen Sie die Frau?

Wölbitsch: Die Dame ist uns bekannt, sie war als Kandidatin bei der ein oder anderen Veranstaltung dabei – da habe ich sie auch getroffen. Intensiven Kontakt hatte ich persönlich nicht. Wir alle in der Landespartei haben uns in letzter Zeit um Kontakt zu ihr bemüht, das ist aber leider nicht passiert. Daher haben wir sie aus der ÖVP ausgeschlossen.

STANDARD: Das Vorzugsstimmensystem hat die ÖVP daraufhin ausgesetzt ...

Wölbitsch: Ein Vorzugsstimmensystem ist ein freiwilliges System, das man sich als Partei gibt. Das hat keine unmittelbare Rechtswirksamkeit – es gibt das freie Mandat. Wenn sich Personen nicht an dieses System halten, dann kann man es auch nicht vollziehen.

STANDARD: Es hätten mehr als 250 Leute verzichten müssen, damit alles wie geplant klappt. Ist das nicht per se ein sehr fehleranfällliges System? Wollen Sie es trotzdem wieder einführen?

Wölbitsch: Wir werden sicher überlegen müssen, wie wir bei der nächsten Wahl mit einem Vorzugsstimmensystem umgehen. Ich würde das System per se jetzt nicht infrage stellen – das ist in manchen Bundesländern ja sogar gesetzlich verankert. Aber wir werden es weiterentwickeln müssen in der ÖVP. Dass sich eine Person nicht an dieses freiwillige System gehalten hat, ist jedenfalls schade.

STANDARD: Nicht zum Zug gekommen sind zwei Kandidaten, die vor allem im christlich-konservativen Lager mobilisieren konnten.

Wölbitsch: Wir werden die beiden Personen in der Partei einbinden, weil sie sich sehr bemüht haben. Das nehmen wir ernst.

STANDARD: Es gibt Stimmen, die der ÖVP vorwerfen, sich vom christlichen Glauben wegzubewegen. Was heißt christlich-sozial denn für Sie?

Wölbitsch: Für mich persönlich bedeutet es vor allem, nach den zwei wichtigsten Grundprinzipien der christlichen Soziallehre zu leben, nämlich Solidarität und Subsidiarität. Solidarität zum Beispiel bei der Mindestsicherung: Die muss das letzte Netz sein, sie muss eine Wiedereinstiegshilfe sein in den Arbeitsmarkt. Wir wollen den Menschen so helfen, dass sie sich selbst helfen können – und nicht ein bedingungsloses Grundeinkommen. Ich denke, das unterscheidet uns von anderen Parteien. Und mit Subsidiarität meine ich, dass die Bezirke und Bezirksorganisationen wichtig sind. Die sind in den letzten Jahren immer wieder ausgedünnt worden – auch von der SPÖ.

STANDARD: Weil Sie die Solidarität angesprochen haben: Großes Thema war im Wahlkampf auch Moria und ob Wien hier Flüchtlinge aufnimmt. Da würde die Solidarität dann an ihre Grenzen stoßen?

Wölbitsch: Nein, gar nicht. Es gibt verschiedene Arten,, ein Problem zu lösen. Wir haben ganz klar gesagt: Es geht um Hilfe vor Ort, es geht um Katastrophenschutz vor Ort. Das ist auch passiert.

STANDARD: Sie haben die Zusammenarbeit von Neos und SPÖ als rot-rote Koalition der gebrochenen Versprechen bezeichnet. Welche meinen Sie?

Wölbitsch: So ziemlich alles,, was die Neos im Wahlkampf gefordert haben. Die Neos fallen auf Bundesebene immer damit auf, dass sie sagen: Das ist zu wenig, zu langsam, zu bürokratisch. Und jetzt schauen wir nach Wien und darauf, was sie machen, wenn sie in einer Regierung sind: Sie gründen einen Arbeitskreis. Das ist also die Lösung der Neos auf ein unmittelbares Problem. Es werden keine Steuern gesenkt, es werden keine Gebühren gesenkt – das stand aber in ihrem Programm. Das ist den Unternehmerinnen und Unternehmern dieser Stadt gegenüber eine Verhöhnung und verantwortungslos – gerade angesichts der Corona-Krise. Anderes Thema: Tourismuszonen. Dafür sind die Neos immer groß eingetreten. Jetzt zu Weihnachten wäre die Chance, das zu diskutieren. Ich vermisse eine klare Stellungnahme.

STANDARD: Das schlechtere Abschneiden bei der Wahl spiegelt sich dann auch in dem Ausmaß, wie viele Inhalte unterkommen können in einer Koalition.

Wölbitsch: Wenn man schon gebückt in Koalitionsverhandlungen geht und untertänig, dann kann man danach nur als politischer Zwerg wieder herauskommen. Klar sind die Neos die kleinere Partei gewesen. Aber man kann das auch mit Würde machen und schauen, dass man zumindest ein paar eigene Kernthemen durchbringt. Es gibt ja nicht nur Kritik von unserer Seite an Genosse Wiederkehr – sondern auch aus der Wirtschaft. Weil diese Koalition ist eine Blamage für eine ehemalige wirtschaftsliberale Partei. Wir stehen speziell jetzt als Alternative für die vielen enttäuschten Neos-Wähler zur Verfügung.

STANDARD: Die Neos-Mitglieder haben mit 95 Prozent breit für die Koalition gestimmt.

Wölbitsch: Ich glaube, der größte Fehler, den man machen kann, ist von internen Gremien auf die gesamte Wählerschaft zu schließen.

STANDARD: Warum wurde denn nichts aus Rot-Türkis?

Wölbitsch: Wir haben immer gesagt: Das größte Kapital, das man als Partei hat, ist Glaubwürdigkeit. Es gibt zwei, drei große Themenschwerpunkte, wo im Wahlkampf schon absehbar war, dass es schwierig wird mit der SPÖ. Wirtschaft beziehungsweisse Entlastung, aber auch der große Bereich der Migrations- und Integrationspolitik. Das wurde auch in den Sondierungen klar. Und dann stand für uns fest: Unsere Glaubwürdigkeit und unsere Wählerinnen und Wähler sind uns wichtig, und das wollen wir nicht aufs Spiel setzen. Wir wurden für Mitte-rechts-Politik mit Anstand gewählt, das setzen wir nun als stärkste Oppositionspartei im Rathaus um.

STANDARD: Mit den Grünen sitzt eine weitere stimmenstarke Partei der Regierung gegenüber. Gibt es Themen, bei denen Sie gemeinsam gegen Rot-Pink vorgehen?

Wölbitsch: Es ist insgesamt wichtig, dass Oppositionsparteien projekt- und themenbezogen zusammenarbeiten. Wir werden sicher den Kontakt zu FPÖ und Grünen suchen. Es ist wichtig, dass mit dieser übermächtigen SPÖ die Kontrolle funktioniert. Ich kann mir vorstellen, dass es im Bereich Transparenz oder wie in dieser Stadt mit Steuergeld umgegangen wird Interesse der Grünen gibt, hier entsprechend für Aufklärung zu sorgen.

STANDARD: Sie haben im Sommer das Corona-Management der Stadt und Stadtrat Peter Hacker scharf kritisiert. Jetzt steht Wien besser da als viele ländliche Regionen. Ist doch nicht alles schlecht gelaufen?

Wölbitsch: Meine These ist eine andere: Es funktioniert so gut, weil so viele Menschen in ihrem Verantwortungsbereich gut improvisieren und versuchen, trotzdem eine gute Arbeit zu machen. Ich glaube nicht, dass Stadtrat Hacker irgendwas damit zu tun hat, sondern das, was jetzt langsam funktioniert, sind die Maßnahmen der Bundesregierung. Ich fand es immer spannend, dass die SPÖ gesagt hat, sie sind gegen eine Vorverlegung der Sperrstunde – und dann höre ich vom Herrn Ludwig, dass es schon viel früher strengere Maßnahmen hätte geben sollen. Wir haben ja immer härtere Maßnahmen vorgeschlagen. Das finde ich nicht ganz richtig und nicht ganz redlich von der SPÖ Wien gegenüber der Bevölkerung. (Lara Hagen, 25.11.2020)