Zusammenarbeit unter Frauen: Für das Cover ihres Debütalbums ließ sich Rosa Anschütz von der aufstrebenden Fotografin Anna Breit in einem Kleid der Designerin Jennifer Milleder fotografieren.

Foto: Anna Breit

Jeder Longplayer, der nicht eine beliebige Abfolge von Singles nacheinander abspult, sondern hinter dem dramaturgische Überlegungen stehen, gilt heute gewissermaßen als Konzeptalbum. So weit ist es mit einem Begriff, der schon einmal etwas mehr Strahlkraft hatte, gekommen.

Rosa Anschütz’ Debüt Votive ist aber ein Konzeptalbum im ursprünglichen, auratischen Sinne, fast müsste man es Gesamtkunstwerk nennen, würde das nicht gar megalomanisch klingen. Die 23-jährige Künstlerin hat sich selbst und dem modularen Synthesizer nicht nur neun Nummern abgerungen, jeder Track existiert nicht nur in seiner Wellenform, sondern auch als Keramik. Die neun kleinen "Kunststücke" wurden auf der diesjährigen Kunstmesse Parallel Vienna auf jenem Laken präsentiert, vor dem Anschütz auf dem obigen Foto, das gleichzeitig das Albumcover ist, posiert. Sie hat also den Platz der Gaben eingenommen. Man offeriert sich als Künstlerin, als Musikerin, ja auch immer selbst.

Rosa Anschütz - Topic

Das Geben als fast festlicher Akt beschäftige Anschütz auch beim Vertrieb ihrer Platten. Dass sie 50 Vinylkopien persönlich an jene, die sie bestellt hatten, ausliefern wollte, war eine Reaktion auf die Situation in der Pandemie. Nachdem ihr Album aber – wie es der Zufall nun einmal wollte – an jenem Tag erschien, der später zur Terrornacht werden sollte, wurde das Besuchen ihr unbekannter Menschen zwischen Tür und Angel noch intimer und emotionaler. Kuchen wurden für die Musikerin gebacken, man kümmerte sich um einander, fragte einander, wie man mit der Situation zurechtkommt. Bei den Übergaben der Platten gab es kaum ein anderes Thema als den Anschlag, erzählt Anschütz, die auf der Universität für angewandte Kunst bei Brigitte Kowanz transmediale Kunst studiert.

Das religiöse Moment

Votive erschien nicht nur an einem der düstersten Tage der jüngeren Stadtgeschichte, es ist auch ein Album, das der Dunkelheit verpflichtet scheint. Mit Drones, Industrial, Cold Wave kann man das genretechnisch schon beschlagworten. Als Goth im Herzen liebt Anschütz an Popmusik im weitesten Sinne freilich die Inszenierung, das Ritual, das religiöse Moment. Zwar bezeichnet sie sich selbst nicht als religiös, war aber schon als Kind, das in Ostdeutschland aufwuchs, fasziniert vom Chor, vom weiten Hall der Kirche, der auch auf ihrem Album Raum schafft und einnimmt.

Sie lernte einige Jahre Querflöte und Klavier, wobei sie immer lieber improvisierte, als nach Noten zu spielen. Später machte sie Bekanntschaft mit dem modularen Synthesizer. Natürlich musste es der – schon durch seinen Namen Magisches verheißende – Doepfer Dark Energy sein, den sie in Tokio endlich in die Finger bekam. In Berlin hatte sie sich noch nicht in die von Männern dominierten Fachgeschäfte getraut.

Auch bei ihren Auftritten wurde sie als junge Frau auf der Bühne anfangs anders behandelt als ihre männlichen Kollegen. Wenn technisch etwas nicht funktionierte, wurde der Fehler wie selbstverständlich bei ihr gesucht. Dass auch die ganz junge Generation immer noch mit diesem Sexismus kämpfen muss, ist bitter. Fehler gibt es auf Votive jedenfalls keine. (Amira Ben Saoud, 25.11.2020)