Die Sportstadt Innsbruck will bis 2030 den Radverkehrsanteil verdoppeln.

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Innsbruck – 100 Seiten stark ist der "Masterplan Radverkehr 2030", den die Stadt Innsbruck diese Woche präsentiert hat. Die hehre Absicht hinter dem Papier: den Radverkehrsanteil in Tirols Landeshauptstadt in den kommenden zehn Jahren auf 20 Prozent zu verdoppeln. Um das zu erreichen, sollen rund 38 Millionen Euro investiert werden. So weit die Theorie. In der Praxis steht und fällt dieser Masterplan mit dem politischen Willen dahinter. Und der ist überschaubar.

Teresa Kallsperger und Christian Schoder von der städtischen Fuß- und Radkoordination haben den Masterplan in langwieriger und akribischer Arbeit erstellt. Dazu führten sie Gespräche mit Bürgern, den im Gemeinderat vertretenen Fraktionen sowie den von den geplanten Maßnahmen betroffenen Magistratsabteilungen. Im Fokus dieser Gespräche stand der Alltagsradverkehr, wie die beiden betonen, und nicht das Freizeitradeln. Das war eine Vorgabe der Politik. Zugleich wurde damit allerdings eine der am besten organisierten Gruppen von Radlern in Innsbruck ausgeklammert: die Mountainbiker. Im Plan selbst werden sie dennoch zur Illustration genutzt.

Autoverkehr bleibt unberührt

Weitere Vorgaben des Plans waren, dass der Radverkehrsanteil ganzjährig auf 20 Prozent erhöht werden soll, was einer Verdoppelung des zuletzt erhobenen Status quo von 2014 entsprechen würde. Und die dazu geplanten Maßnahmen dürfen nicht zulasten des öffentlichen Verkehrs sowie der Fußgänger gehen, sondern ausschließlich auf Kosten des motorisierten Individualverkehrs. So weit, so gut.

Auf Nachfrage, welche Projekte bereits konkret geplant sind, bei denen Platz vom motorisierten Verkehr zugunsten des Radverkehrs abgezwackt wird, bleiben die beiden Projektverantwortlichen jedoch Antworten schuldig. So weit ist man noch nicht. Denn im Moment sind erst zwei Projekte in der Planungsphase: ein Fuß- und Radweg entlang des Südrings, einer der Hauptverkehrsrouten Innsbrucks – allerdings verhandle man dazu mit privaten Grundeigentümern entlang der Strecke, da man keine der vier Fahrbahnen der Autos beschneiden darf. Das zweite Vorhaben betrifft die Anbindung des Mittelgebirges an die Stadt, man verhandle dazu ebenfalls noch mit Grund- und Waldbesitzern.

Gefahrenstellen sollen "analysiert" werden

Kallsperger und Schoder verweisen darauf, selbst nur ausführende Beamte zu sein. Die Entscheidung, was umgesetzt wird, fälle die Politik. Und die traut sich offenbar in Innsbruck weiterhin nicht, den Platz, den Autos in der Stadt einnehmen, zugunsten schwächerer Verkehrsteilnehmer zu beschneiden.

Mit fatalen Folgen, wie regelmäßige, für Radfahrer tödlich endende Unfälle beweisen. Ob man im Masterplan auch die Entschärfung dieser Kreuzungen, die wegen Rechtsabbiegern über den Radstreifen seit Jahren als Unfall-Hotspots gelten, plant? Im Moment nicht. Man werde die Unfälle aber künftig "systematisch analysieren" und eine "Nachsorge organisieren".

Lähmende und zahnlose Viererkoalition

Wie wenig Bewusstsein in Innsbrucks Stadtpolitik für diese Gefahren besteht, zeigt die erste Reaktion des Genossen Klubobmann Helmut Buchacher auf das Papier, betitelt mit "Ja zu Radmasterplan, nein zu Rowdytum!". Der SPÖ-Politiker sorgt sich, weil es "im Zusammenhang mit dem Radfahr-Masterplan auch allerlei Schattenseiten gibt". Konkret lässt er dazu wissen: "Sorgen bereiten mir die unerträglichen Zustände im alltäglichen Straßenverkehr, wo es erst jüngst wieder zur Verletzung eines Fußgängers durch einen Radfahrer gekommen ist, der dann noch Fahrerflucht begangen hat." Die zahlreichen toten Radfahrer der vergangenen Jahre werden mit keinem Wort erwähnt.

Zumindest die Grünen, aus deren Verkehrsressort der Plan stammt, stehen voll hinter dem Programm. Doch in der Viererkoalition wurden sie schon oft überstimmt – man denke nur an die Verbotsregime betreffend Randgruppen. Neben der SPÖ sind ÖVP und Für Innsbruck Teil der Stadtregierung, und die beiden bürgerlichen Listen halten traditionell wenig vom Radverkehr, wie ihre Politik seit Jahren immer wieder beweist.

Als Erfolg kann gewertet werden, dass für das Budget 2021 sieben Millionen Euro für den Radverkehr beschlossen wurden. Der Weg zu den restlichen 31 Millionen wird ein harter werden. Doch bei vielen Beobachtern bleibt die Skepsis, ob der Masterplan mehr wird als nur eine schöne Absichtserklärung.

Radlobby Tirol vorsichtig optimistisch

Bei der Radlobby Tirol wird "die Entscheidung des Gemeinderats in Innsbruck, den Radmasterplan 2030 mehrheitlich zu unterstützen", begrüßt. Viele Punkte würden langjährige Forderungen der Radlobby beinhalten und aufzeigen, wie der Radverkehr in Innsbruck ausgebaut werden könne. "Jedoch sind die Zahlen und Maßnahmen mit Vorsicht zu genießen, denn eine konkrete Zusage zu einzelnen Projekten ist die Ausarbeitung des Strategiepapiers nicht", so die Kritik.

In der Gemeinderatsdebatte über den Masterplan – den alle Fraktionen mit Ausnahme der FPÖ unterstützen – betonten mehrere Parteien, dass jede einzelne Maßnahme separat beschlossen werden muss. Das lasse darauf schließen, dass es zu weiteren Verzögerungen kommen wird, befürchtet man bei der Radlobby. "Dabei wäre umgehender Handlungsbedarf gegeben, was sich an steigenden Radfahrendenzahlen und zunehmenden Unfallzahlen, vor kurzem auch mit einer Schwerverletzten und einem Todesopfer, zeigt", sagt Radlobby-Tirol-Sprecherin Christine Jank.

"Mangelndes Verständnis" der Politik

Außerdem kritisiert sie, dass auf den Bereich rund um den Innsbrucker Hauptbahnhof und die dringend benötigte Rad-Infrastruktur kaum eingegangen werde: "Das zeugt von einem mangelnden Verständnis der Koalitionsparteien für die Anliegen der Radfahrenden in Innsbruck." Insgesamt fühle man sich als Interessenvertretung der Radfahrer zu wenig gehört: "Wir haben als Radlobby stets versucht, mit Ideen, konstruktiver Kritik und Verbesserungsvorschlägen für die Radwegenetzstruktur sowie zur Entschärfung neuralgischer Punkte mitzuarbeiten. Auch für den Radmasterplan haben wir Ideen besprochen und geliefert."

Wie schwerfällig Radverkehrspolitik in Innsbruck ist, zeigt die Auflistung geplanter Projekte, Lückenschlüsse und zu entschärfender Gefahrenstellen im Masterplan. Die meisten dieser Stellen werden seit Jahren und Jahrzehnten von Radfahrern benannt und kritisiert. Passiert ist – auch nachdem das Verkehrsressort der Stadt seit 2012 in grüner Hand ist – wenig bis gar nichts. Man verkauft die Öffnung von Einbahnen für Radler, das Aufmalen von Piktogrammen und das Errichten von kombinierten Fuß-Rad-Wegen als Erfolge.

Angstfrei radeln als Ziel

Christian Gratzer vom Verkehrsclub Österreich (VCÖ) erklärt, was es für eine echte Radfahrerstadt bräuchte: "Wenn sich Familien mit Kindern am Rad angstfrei in der Stadt bewegen können, hat man es richtig gemacht." Davon ist Innsbruck weit entfernt, wie auch die beiden Radkoordinatoren einräumen. Grundsätzlich begrüßt Gratzer den Innsbrucker Masterplan, betont aber zugleich: "Jeder Masterplan ist nur so gut wie seine Umsetzung." Gerade das Entschärfen der bekannten Gefahrenstellen müsse allerdings sofort passieren und erlaube keinen weiteren Aufschub.

Doch es scheitert an Banalem, wie die Radkoordinatoren erklären. So sei zwar geplant, die unfallträchtigen Kreuzungen durch neue Bodenmarkierungen zumindest etwas zu entschärfen, doch dazu sei es bereits zu kalt. Die Farbe muss bei mindestens fünf Grad Celsius Außentemperatur aufgetragen werden. Auch die schon oft angekündigte gleichberechtigte Schneeräumung von Radwegen wird es diesen Winter noch nicht geben. Dazu müsse man erst in der zuständigen Magistratsabteilung die nötigen Voraussetzungen schaffen.

Erfolg ist, wenn Autoverkehr beschnitten wird

Für Gratzer vom VCÖ gibt es sehr einfache Gradmesser für den Erfolg einer Radstrategie: "Wo parkenden Autos mehr Platz gegeben wird als dem Fuß- und Radverkehr, läuft etwas falsch." Dieser Missstand wird in Innsbruck trotz Masterplans nicht angegangen. Es gibt kein einziges geplantes Projekt, bei dem auf Kosten des Autoverkehrs Platz für schwächere Verkehrsteilnehmer geschaffen wird.

Die beiden Radkoordinatoren werden viel Ausdauer und Energie brauchen, um den von ihnen erstellten Masterplan in die Realität umzusetzen. Auf die Unterstützung der radelnden Innsbrucker können sie zählen, wie die Radlobby versichert. Offen bleibt, ob sich die Politik zu mehr als nur Lippenbekenntnissen aufraffen wird können. (Steffen Arora, 25.11.2020)