Die meisten denken bei "Welterbe" vermutlich an monumentale Weltwunder, die Pyramiden, den Taj Mahal oder die Chinesische Mauer. Dagegen rücken die Schätze der Menschheitsgeschichte und faszinierenden Natur- und Kulturlandschaften vor der eigenen Haustür oft in den Hintergrund der Wahrnehmung. Vor allem, wenn man sie nicht sieht, weil sie versteckt unter Wasser liegen.

Ein Winter voller Entdeckungen

Ein damals noch nie dagewesener niedriger Wasserstand in den Schweizer Voralpenseen führte im Winter 1853/1854 zu der einmaligen Gelegenheit, die nun trockenen Ufer nach urgeschichtlichen Spuren zu untersuchen. Der Altertumsforscher Ferdinand Keller schrieb schon 1854 in seinem ersten Bericht zu den damals vermeintlich keltischen Anlagen: "So nachtheilig sich diese Verhältnisse dem Betriebe der Schifffahrt und dem Gange der Mühlenwerke erwiesen, so günstig waren sie für Wasserbau-Unternehmungen – besonders erwünscht aber den Alterthumsforschern, indem eine Menge interessanter Lokalitäten an's Licht trat, die sich seit Jahrhunderten den Blicken entzogen hatten, und ohne Zweifel auch den kommenden Geschlechtern nicht so bald wieder zugänglich sein werden."

Keller hatte bereits damals "the bigger picture" im Auge und appellierte an die damalige Forschungs-Community, die Gewässer zu erkunden. Er trat damit auch außerhalb der Schweiz eine Lawine los und setzte den Grundstein zu einem besonderen Unesco-Welterbe, das erst mehr als 150 Jahre später im Jahr 2011 verwirklicht werden sollte. Er sollte aber auch auf einer anderen Ebene recht behalten. Seit diesen ersten Entdeckungen entziehen sich die Pfahlbauten den Blicken der Öffentlichkeit. Das ist gut für die Erhaltung dieser archäologisch herausragenden Fundstellen, aber ungünstig, um die Faszination dieses Welterbes zu vermitteln.

111 Pfahlbau-Welterbestätten

Seit 1992 ist Österreich Teil der Unesco-Welterbekonvention und zurzeit mit zehn Welterbestätten auf der Welterbeliste vertreten. Eine davon ist das serielle Welterbe "Prähistorische Pfahlbauten um die Alpen", von dem fünf Fundstellen in Österreich liegen. Die restlichen 106 sind auf die Länder Deutschland, Frankreich, Schweiz, Slowenien und Italien verteilt. Alle österreichischen Pfahlbau-Welterbestätten liegen verborgen in Seen, im Attersee und Mondsee im oberösterreichischen Salzkammergut und dem Keutschacher See in Kärnten.

Erst nach dem Abtauchen entdeckt man das verborgene Welterbe, wie hier im Keutschacher See.
Foto: Kuratorium Pfahlbauten
Das Unesco-Welterbe "Prähistorische Pfahlbauten um die Alpen" verteilt sich auf sechs Länder.
Foto: Kuratorium Pfahlbauten

Die Besonderheiten dieser Siedlungsüberreste unter Wasser haben klare Vor- und Nachteile. Der Vorteil ist, dass unter Wasser – im Gegensatz zu den meisten anderen Fundumständen – Alltagsgegenstände aus organischem Material wie Holz, Textilien, Pflanzen oder Knochen in oft erstaunlicher Qualität und Unversehrtheit erhalten bleiben. Diese Funde ermöglichen einen unvergleichlichen Blick in den Lebensalltag der Menschen in der Jungsteinzeit, Bronze- und Eisenzeit.

Einen Nachteil unter Wasser liegender Fundstellen hatte schon Keller erkannt, denn die Erforschung dieser Siedlungen ist aufwendig und wurde eigentlich erst mit der Erfindung der Presslufttauchgeräte in der Mitte des 20. Jahrhunderts wissenschaftlich vertretbar. Aber auch der Einsatz moderner Technologie ändert nichts daran, dass die Fundstellen sehr gut versteckt, schwer zu erreichen und noch schwerer zu erleben sind.

Die Unesco-Welterbe-Idee

Die Grundgedanke des "Unesco-Übereinkommens zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt", das 1972 von der internationalen Staatengemeinschaft ins Leben gerufen wurde, ist es, diese Natur- und Kulturdenkmäler in einen gesamtgeschichtlichen Kontext der Menschheit zu stellen und sie daran teilhaben zu lassen. Diese Gemeinsamkeit soll den Schutzgedanken für das über Ländergrenzen hinausgehende Erbe der Menschheit festigen. Das Label "Welterbestätte" ist also nicht nur Auszeichnung, sondern auch Verpflichtung: Ein zielgerichtetes Management und nationale Schutzmaßnahmen sollen den Fortbestand und den verantwortungsvollen Umgang mit dem Welterbe garantieren.

Vor allem organische Funde wie diese Apfelhälften erhalten sich unter Wasser besonders gut und erlauben einen Einblick in den Alltag der Pfahlbaubewohnerinnen und -lbewohner.
Foto: Kuratorium Pfahlbauten

Das Kuratorium Pfahlbauten

In Österreich kümmert sich das Kuratorium Pfahlbauten um das Welterbe "Prähistorische Pfahlbauten um die Alpen". In dessen Vorstand sitzen Mitglieder aus dem Bundesministerium für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport, den Ländern Oberösterreich und Kärnten sowie Archäologinnen und Archäologen. Über die Internationale Koordinierungsgruppe (ICG) sind die nationalen Managements aller am Welterbe beteiligten Ländern miteinander vernetzt und stehen in stetigem Austausch miteinander.

Die Geschäftsführung in Österreich ist als eigenständige Organisation im Naturhistorischen Museum Wien angesiedelt und für die strategische Entwicklung und die Kontrolle der Managementziele zuständig. Site-Manager sowohl in Oberösterreich als auch in Kärnten, dienen als Ansprechpartner vor Ort und kümmern sich um die Durchführung von Projekten in den Gemeinden. Neben den als Unesco-Welterbe deklarierten Fundstellen versuchen wir vom Kuratorium Pfahlbauten auch alle weiteren Pfahlbauten in Österreich mit zu betreuen.

Unterwasserarchäologische Zustandskontrolle einer Fundstelle im Attersee.
Foto: Kuratorium Pfahlbauten
Unterwasserarchäologische Ausgrabung an der Fundstelle Seewalchen im Attersee.
Foto: Kuratorium Pfahlbauten

Aufgaben und Ziele

Das oberste Ziel besteht im Schutz und Erhalt der prähistorischen Siedlungsreste. Unsere archäologisch ausgebildeten Forschungstaucherinnen und Forschertaucher kontrollieren regelmäßig die Fundstellen. Aus diesen Untersuchungen entwickeln wir Schutzkonzepte und -maßnahmen, die auf die individuellen Gefährdungspotenziale abgestimmt sind. Hier wird intensiv mit dem Österreichischen Bundesdenkmalamt zusammengearbeitet. Maßnahmen können beispielsweise die Überdeckung von besonders gefährdeten Stellen mit Schutzmatten sein oder die Errichtung von Schutzzonen, in denen das Ankern untersagt ist. Alle Maßnahmen werden durch Kommunikationskonzepte begleitet, um dafür zu sorgen, dass die Gründe und Auswirkungen möglichst verständlich und gut angenommen werden.

Doch auch die Erforschung der vorrangig neolithischen und bronzezeitlichen Siedlungen wird vorangetrieben, neue Forschungsaspekte werden eröffnet und kompetenter Nachwuchs auf diesem Gebiet gefördert und ausgebildet. Denn nach dem von den Schweizer Altertumsforschern auch in Österreich angeheizten Hype bei Entdeckung der ersten Pfahlbauten im 19. Jahrhundert und Anfang des 20. Jahrhunderts wurde diese Forschung bei uns seit Mitte der 80er-Jahre recht stiefmütterlich behandelt.

Nicht zuletzt sehen wir es als eine unserer Hauptaufgaben, das Wissen um die prähistorischen Pfahlbauten bekanntzumachen, die Wichtigkeit des Schutzes im Bewusstsein der Menschen zu verankern und die Bevölkerung an "ihrem" Welterbe teilhaben zu lassen. Denn nur mit dem Einverständnis und der Unterstützung der Menschen vor Ort ist es möglich, diese Archive der Menschheitsgeschichte auch für künftige Generationen zu bewahren.

Das Thema "Kinder zur Zeit der Pfahlbauten" erarbeiteten Schülerinnen und Schüler der Volksschule Loibichl gemeinsam mit dem Kuratorium Pfahlbauten.
Foto: Kuratorium Pfahlbauten

Dazu fokussieren wir auch auf die Zusammenarbeit mit Schulen in den Regionen, wie zum Beispiel bei dem über das letzte Jahr laufenden Projekt "Kinder zur Zeit der Pfahlbauten", wo Schülerinnen und Schüler der Volksschule Loibichl am Mondsee Inhalte zum Leben und Arbeiten prähistorischer Kinder erarbeiteten. Obwohl die geplante Abschlusspräsentation Corona-bedingt abgesagt werden musste, ist dabei ein Info-Journal entstanden, dass die Schülerinnen und Schüler dieser Schule noch einige Jahre begleiten wird und damit nachhaltig das Bewusstsein der nächsten für das Welterbe verantwortlichen Generation stärkt und wenigstens auf dieser Ebene den Zugang für die "kommenden Geschlechter" ermöglicht. (Fiona Poppenwimmer, Cyril Dworsky, 26.11.2020)