750 Milliarden Euro hat die EU erstmals gemeinschaftlich an Schulden aufgenommen.

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Die einen sprachen euphorisch von einem "Hamilton-Moment" für die Europäische Union, die anderen sinngemäß eher von der Büchse der Pandora. Gemeint ist der Aufbauplan, der Europa nach der Corona-Pandemie wieder auf die Beine helfen soll. Auf diesen hatten sich die EU-Länder im Frühjahr geeinigt, als kurzfristige Corona-Hilfen für angeschlagene Mitgliedsstaaten.

Obwohl sich die sogenannten "Frugalen Vier" – Österreich, Schweden, die Niederlande und Dänemark – querstellten, stand am Ende fest: Die EU wird erstmals massenhaft eigene Schulden aufnehmen und zwei Drittel der insgesamt 750 Milliarden Euro in Form von Zuschüssen an ihre Mitglieder ausschütten. Der Rest soll in Form von Krediten vergeben werden. Die frugalen Länder wollten, dass es ausschließlich Kredite werden.

Warum der Aufbauplan nach Ansicht vieler ein "Hamilton-Moment" für Europa ist? Der etwa vom deutschen Finanzminister Olaf Scholz (SPD) oder dem EU-Kommissionsvertreter in Wien, Martin Selmayr, gewählte Begriff spielt auf Alexander Hamilton an, der 1790 als US-Finanzminister die Schulden der amerikanischen Einzelstaaten zu Bundesschulden machte. Die Botschaft: So wie die Vergemeinschaftung der amerikanischen Schulden ein wichtiger Schritt bei der Staatswerdung der USA war, sei der Aufbauplan der EU ein wichtiger Schritt zu einer vertieften Europäischen Union.

Schuldenunion

Kritiker wie Österreichs Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP), der den Kompromiss letzten Endes aber mittrug, pochen darauf, dass der Aufbauplan nicht der erste Schritt Europas in eine Schuldenunion sein dürfe. Der milliardenschwere Geldtopf müsse eine Einmalmaßnahme für Investitionen nach der Corona-Krise bleiben.

Es bestehe die Gefahr, dass Staaten nicht mehr die Verantwortung für ihre Schulden tragen, wenn sie gemeinsam für europäische Schulden haften. "Eine Schuldenunion kann dazu führen, dass immer mehr Schulden gemacht werden und das System irgendwann in sich zusammenbricht", sagte Kurz jüngst dem deutschen Fernsehsender ZDF. Eine Schuldenunion sei der Anfang vom Ende.

Wie die EU-Kommission ihre Schulden begleichen wird, ist noch offen. Geht es nach der Brüsseler Behörde, sollen neue Einnahmequellen für die Kommission die Schulden decken. Bis Mitte 2021 sollen Vorschläge für Einnahmen aus einem CO2-Grenzausgleichssystem und aus dem EU-Emissionshandelssystem sowie eine Digitalabgabe vorgelegt werden.

In weiterer Folge schwebt der Kommission etwa auch eine Finanztransaktionssteuer vor, die in den europäischen Haushalt fließen soll. Setzt Brüssel diese Vorhaben nicht oder nur teilweise durch, dürfte es andere Geldquellen für die Deckung der neuen Schulden brauchen. Laut Experten dürften das neue Schulden sein. Der Aufbaufonds wäre dann keine Einmalmaßnahmen mehr. Auch die Europäische Zentralbank überdenkt ihr Mandat, etwa beim Inflationsziel. (Aloysius Widmann, Magazin "Portfolio", 22.12.2020)