Kurz könnte man meinen, es sei eine Vorweihnachtszeit wie eh und je. Vor dem Café Alt Wien steht eine kleine Menschentraube, das Lokal ist mit grünen Zweigen feierlich geschmückt, Weihnachtsbeleuchtung inklusive. Zwei große weiße Töpfe stehen auf der Fensterbank, der Kellner davor, es dampft.

Aber je näher man kommt, desto deutlicher wird, dass dieses Jahr eigentlich überhaupt nichts ist wie in den Jahren zuvor: Die Menschen tragen Maske, an der Eingangstür ist ein Spender mit Desinfektionsmittel montiert, die heißen Getränke aus dem Topf – Glühwein rot oder rosé für 3,50 Euro – gibt es im Pappbecher zum Mitnehmen. Die zwei Stehtische, die neben der Glühweinausgabe stehen, sind nicht zum Verweilen da, sondern als Ablage. Drinnen ein riesiger Tisch: Würste, Bier, Gulasch im Glas – alles to go. Ansonsten: gähnende Leere.

Beleuchtung für Hoffnung und Zuversicht

Natürlich macht Corona auch vor der Vorweihnachtszeit nicht halt. Ein Spaziergang durch Wien bei Nacht offenbart aber, wie die Stadt und ihre Bewohner sich wehren. Es gibt zwar keine Christkindlmärkte, keine Menschenmassen, die sich durch die Einkaufsstraßen schieben, kein Last Christmas, das aus jedem zweiten Geschäft dudelt. Die Weihnachtsbeleuchtung darf aber trotzdem nicht fehlen – 31 städtische Einkaufsstraßen bleiben bis Mitte Jänner hellerleuchtet.

Foto: Christian Fischer

Die Lichter sollen gerade im Corona-Jahr Zuversicht und Hoffnung ausstrahlen, meinte der Bürgermeister beim Anknipsen Mitte November. "Allen Widrigkeiten zum Trotz" solle den Menschen "die Freude an der weihnachtlichen Zeit nicht genommen" werden.

"Punschen" – auch 2020

Das ist auch das Ziel von Isi und Tabea. Die beiden Studentinnen sind richtige Fans der Vorweihnachtszeit in Wien. "Bei uns auf dem Land tut sich da wenig", sagt die 22-jährige Isi, die eigentlich aus Vorarlberg kommt. In Wien würden sie und ihre Mitbewohnerin jedes Jahr zum Start der Christkindlmärkte losziehen und in den folgenden Wochen die verschiedenen Märkte abklappern. "Punschen" nennen die beiden das, aber eigentlich gehe es nicht nur um die süßen Heißgetränke, die vor allem durch den Alkoholgehalt wärmen. "Die Stimmung einfach. Ich liebe die Weihnachtssongs, auch wenn man sie bis zum 24. Dezember hundertmal hört. Die glitzernden Lichter, die Marktstände. Hmmm", seufzt Tabea.

Foto: Christian Fischer

Punschlos glücklich müssen die Wiener trotz fehlender Weihnachtsmärkte nicht bleiben. Auch im Museumsquartier gibt es Punsch oder Glühwein zum Mitnehmen – Isi und Tabea haben zugeschlagen. Die Enzis, normalerweise zum Sitzen, sind sternförmig um kleine, beleuchtete Christbäume aufgestellt. Vereinzelt stehen Paare mit einem dampfenden Plastikbecher herum.

Polizeieinsatz am Wochenende

Direkt bei den Lokalen dürfen die Getränke nämlich nicht konsumiert werden. Erst am Wochenende gab es im ersten Bezirk einen Polizeieinsatz, weil etwa 30 Personen Punsch "unmittelbar im Nahbereich" des Geschäfts tranken, wo sie ihn zuvor gekauft hatten. Der Mindestabstand sei auch nicht eingehalten worden.

Foto: Christian Fischer

"Natürlich haben wir abgeklärt, ob das rechtlich in Ordnung ist", sagt der Kellner vor dem Alt Wien, während er einen Glühwein zapft. "Die Leute dürfen hier halt nicht stehenbleiben", sagt er und reicht den Becher einer jungen Frau. Ihre Begleiterin nippt schon an ihrem. "Ursmart eigentlich, dieses Angebot", sagt die eine zur anderen beim Gehen. "Bis später!", ruft der Kellner den beiden noch nach und lacht. Er ist sich sicher: Sie kommen wieder. "Aber viel Zeit ist nicht. Um sieben sperren wir zu, weil um acht müssen wir ja alle zu Hause sitzen."

Der vernudelte Baum am gespenstischen Platz

Christbäume fehlen im Stadtbild auch nicht. Ohne die Menschenmassen sind sie derzeit ein noch beliebteres Selfie-Motiv als sonst. Auf dem Stephansplatz posen zwei Teenies vor dem Baum. "Für Insta", sagen sie. "Urgeil – nur du und der Baum. Das haut rein." Und die 33 Meter hohe Fichte vor dem Rathausplatz sorgte ohnehin für viele Diskussionen. Der Oberforstmeister musste sogar zur Verteidigung des Baums ausrücken, gab aber zu, dass er "ein bisschen vernudelt" aussehe.

Dort, zwischen Burgtheater und Rathaus, stehen halb aufgebaute Hütten, umrandet von Absperrgittern. Der sonst so herausgeputzte Rathausplatz wirkt verwahrlost und gespenstisch. Mitten in die Aufbauphase des Christkindlmarkts platzte der Lockdown – und damit platzten alle Träume vom Markt. Vorerst. Denn vielleicht kann er doch noch stattfinden – natürlich mit Corona-Konzept (siehe Wissen).

Foto: Christian Fischer

Nicht ohne 'Last Christmas'

Isi und Tabea wären froh. Für heute Abend sind sie mit dem Punsch aus dem Pappbecher aber vollkommen zufrieden. Passende Musik haben sie selber mitgebracht. Isi kramt ihr Handy aus der Tasche, sucht Last Christmas – und drückt auf Play. (Lara Hagen, 26.11.2020)