Bild nicht mehr verfügbar.

Stehen Europas Skilifte über Weihnachten still? Daran scheiden sich derzeit die Geister.

Foto: AP / Will Lester

Weihnachten in den Bergen soll heuer tabu sein. Zumindest wenn es nach Italiens Regierungschef Giuseppe Conte geht. Er fordert, dass die Skilifte in der gesamten EU bis Mitte Jänner stillstehen. Auch Deutschland will Skiurlaube bis zum 10. Jänner unterbinden. Denn der Wintertourismus hat bereits einmal dazu beigetragen, das Coronavirus über den Kontinent zu verteilen. Die Bilder aus Ischgl sind frisch: volle Après-Ski-Bars, enge Schlangen an den Liften – und dann ein Covid-Cluster. Vor allem aus Österreich kommt entschiedener Einspruch.

Frage: Was sagt man in Österreichs Regierung dazu?

Antwort: Italiens Vorstoß hat hierzulande für wenig Verständnis gesorgt: "Ich kann dem italienischen Vorstoß nichts abgewinnen", sagte ÖVP-Tourismusministerin Elisabeth Köstinger. Ähnliche Worte kamen auch von ihrem Parteikollegen Gernot Blümel. Der Finanzminister nannte als Voraussetzung für eine Schließung der Skigebiete, dass die EU die Kosten dafür übernimmt.

Frage: Was hält Deutschland von dem Vorstoß?

Antwort: Angesichts der Corona-Krise wollen Bund und Länder in Deutschland eine abgestimmte europäische Regelung erreichen, um Skitourismus bis zum 10. Jänner zu unterbinden. Darauf verständigten sich die Ministerpräsidenten der Länder am Mittwoch mit der deutschen Kanzlerin Angela Merkel (CDU), wie aus ihrem Beschlusspapier hervorgeht. Merkel allerdings räumte ein, dass dies "wahrscheinlich nicht einfach" werde.

Frage: Wie wird die Idee in Italien aufgenommen?

Antwort: Italiens Gesundheitsminister hält ein Skiverbot im eigenen Land für "unvermeidbar". Die Präsidenten der norditalienischen Regionen fordern nun ein Treffen, um die Covid-Auflagen für die Weihnachtszeit zu diskutieren. Der Trentiner Landeshauptmann Maurizio Fugatti warnte am Mittwoch vor "illoyaler Konkurrenz" aus dem Ausland. Entweder sollten alle Skigebiete in Europa schließen oder alle offenhalten. Fugatti hält Blümels Forderung nach EU-Hilfen bei einer Schließung für sinnvoll.

Frage: Und wie sehen andere Länder den Vorstoß?

Antwort: Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hält eine Öffnung der Skigebiete vor Jänner im eigenen Land für "unmöglich". Sie sollen erst im Laufe des Jänners geöffnet werden. Unterhändler einiger andere Länder sollen bei Beratungen auf EU-Ebene aber heftig widersprochen haben. Im Brüsseler Rat werden neben Österreich die Slowakei, Slowenien, Schweden, Polen und Spanien genannt. Auch die EU-Kommission hält demnach nichts von der Initiative. Es wird auf die Gefahr verwiesen, dass sich die Schweiz die Hände reibt. Dort dürften die Skigebiete jedenfalls öffnen, und angesichts sinkender Infektionszahlen könnten bis kurz vor Weihnachten auch die Reisewarnungen fallen.

Frage: Ist eine Skigebiet-Sperre aus medizinischer Sicht sinnvoll?

Antwort: Wenn ein Corona-Konzept gewährleistet wird, könnten Skigebiete schon öffnen, meint Eva Schernhammer, Leiterin der Epidemiologie an der Med-Uni Wien. Das habe sich etwa bei den Salzburger Festspielen gezeigt. Die Anzahl der Menschen müsste aber begrenzt, es müssten Hygienekonzepte für Sessellifte und Warteschlagen erstellt werden. Auch für die Unterbringungen und den Transport wären Sicherheitskonzepte notwendig. Schwieriger sei es bei Gondeln. Hier kann sich Schernhammer nicht vorstellen, wie ein Covid-Konzept aussehen könnte. Touristiker fragen hingegen, warum Straßenbahn oder U-Bahn weniger gefährlich sein sollen als Gondeln. Nicht zu vernachlässigen ist die Verletzungsgefahr beim Skisport. Sollte die Auslastung in Spitälern weiter so hoch bleiben, seien nötige Behandlungen durch Skiunfälle "nicht sehr hilfreich".

Bild nicht mehr verfügbar.

Weniger das Skifahren als die Feier danach begünstigt die Verbreitung des Virus.
Foto: Roland Mühlanger / picturedesk

Frage: Wie sieht es mit Skihütten oder Après-Ski aus?

Antwort: "Après-Ski kann man vergessen", sagt Schernhammer. Die Verpflegung in Skigebieten wird nur sitzend, mit Abstand und wenigen Menschen auf einmal stattfinden können. "Massentourismus wird es in nächster Zeit nicht geben", meint die Epidemiologin. "Es wird eine andere Erfahrung des Skifahrens."

Frage: Was würde Österreich eine Sperre kosten?

Antwort: Wenn tatsächlich Skigebiete geschlossen würden, dann bedeute das Kosten von bis zu zwei Milliarden Euro, sagte Finanzminister Gernot Blümel. Bereits Anfang des Jahres war der vorzeitige Abbruch der Wintersaison durch Anti-Corona-Maßnahmen ab Mitte März spürbar: Die Nächtigungszahlen gingen im Winterhalbjahr 2019/20 um 18 Prozent auf 60 Millionen im Vergleich zum Vorjahr zurück. Auch wenn Skigebiete nur für heimische Gäste geöffnet hätten, bedeutet das massive Verluste: Die Prodinger-Beratungsgruppe hat in einem Worst-Case-Szenario berechnet, was passiert, wenn Reisebeschränkungen die Gäste aus dem Ausland ähnlich wie im Frühjahr fernhalten sollten. Demnach würden die Nächtigungen um 45 Prozent zurückgehen. Das entspricht einer knappen Milliarde Euro an Umsatzverlusten.

Frage: Kann die EU überhaupt eine Sperre verhängen?

Antwort: Die EU kann von sich aus keine Sperre der Skigebiete verhängen. Wie der Europarechtsexperte Walter Obwexer betont, darf die EU in Gesundheitsfragen die Länder unterstützen und koordinieren, aber keine Regeln vorschreiben. Für die Forderung nach finanzieller Entschädigung gibt es daher weder einen Präzedenzfall noch eine rechtliche Grundlage. Allerdings muss die EU nicht juristisch belangbar sein, um Entschädigungsgelder zu zahlen. Die Mitglieder können sich einigen, den betroffenen Skinationen finanziell unter die Arme zu greifen, wenn sie zum Wohle der Gesundheit auf die Saison verzichten. In Italien wird dementsprechend recht vage von einer Koordinierungsrichtlinie gesprochen. Selbst wenn eine derartige Initiative kommen sollte, bleibt fraglich, dass ein Konsens hergestellt werden kann.

Frage: Wie könnte eine Entschädigung aussehen?

Antwort: Die Regierung sieht Brüssel in der Pflicht, falls die EU die Schließung veranlassen sollte. Ob nun die Kommission die für die Entschädigung der Betriebe notwendige Summe aufbringt oder der heimische Mitgliedsbeitrag an die Union sinkt, sei einerlei, heißt es in Regierungskreisen. Wichtig sei jedenfalls, dass die EU-Kommission die Hilfen auch beihilferechtlich zulasse.

Frage: Käme der EU-Wiederaufbaufonds infrage?

Antwort: Der mit 750-Milliarden Euro dotierte Wiederaufbaufonds könnte für Entschädigungszahlungen für gesperrte Skigebiete herangezogen werden. Die Mittel sollen der Digitalisierung, der Umwelt, aber auch dem Wirtschaftswachstum zugutekommen. Allerdings hat die EU eine Reihe von Fördertöpfen, aus denen Hilfsgelder verteilt werden könnten, betont Obwexer. Derzeit sind aber das EU-Budget und der Wiederaufbaufonds noch nicht beschlossene Sache. Polen und Ungarn blockieren den Beschluss. Solange kein neues Budget steht, muss die Kommission jeden Monat mit einem Zwölftel des alten Jahresbudgets auskommen. Das könnte es erschweren, schnelle Hilfsgelder für Skiregionen auszuschütten.

Frage: Wie wird der Verstoß in Österreichs Tourismusbranche und in den Bundesländern angenommen?

Antwort: Nicht besonders gut. Die steirischen Seilbahner haben sich am Mittwoch für einen raschen Start in die Skisaison ausgesprochen. Die Vorstöße aus Italien und Bayern seien "völlig unverständlich". Walter Veit, Vizepräsident der Österreichischen Hoteliervereinigung, kritisierte Contes Vorschlag in einer Aussendung als "wenig durchdacht". Auf einer Piste sei mehr Platz als unter dem Christbaum; Weihnachten im Hotel sei aufgrund der bestehenden Maßnahmen sicherer als zu Hause, meint Veit. Noch sei es zu früh, sich für Schließungen auszusprechen, hieß es seitens zweier ÖVP-Landesräte in Vorarlberg. In Tirol spricht man sich für ein "behutsames Öffnen" aus; in Salzburg will man die Skigebiete ein paar Tage vor Weihnachten öffnen. Wiens Gesundheitsstadtrat Peter Hacker sagte am Mittwoch, er teile "die Einsicht vieler Länder rund um Österreich, die sagen, Skiurlaub und Skifahren wird es heuer nicht geben." (Nora Laufer, Andreas Schnauder, Leopold Stefan, 26.11.2020)