Carl Laszlo überlebte die NS-Vernichtungsmaschine, wurde Kunsthändler, war mit Warhol befreundet und beherbergte selbst 15.000 Werke.

andreas-baier.format.com

Wie über den Holocaust schreiben? Die Beantwortung dieser Frage hat insbesondere einer nicht abgewartet, der selbst mehrere Konzentrationslager überlebt und bereits 1955 seine Erinnerungen publiziert hat: Carl Laszlo (1923–2013), ungarischer Jude aus der Nähe von Pécs, aus dessen Familie 53 Personen in Auschwitz ermordet wurden und der nach dem Krieg im Furor des Überlebens ein schillerndes Leben als Kunsthändler und Psychoanalytiker in der Schweiz begonnen hat.

Carl Laszlo, Panderma

Das Echo auf sein bescheiden schmales Bändchen war damals, zehn Jahre nach dem Kriegsende, gleich null. 1955 blickte man lieber nicht zurück auf eine traumatisierende Vergangenheit. Auch ein zweiter Publikationsanlauf 1998 (im Doppelpack mit dem Memoirenband Der Weg nach Auschwitz) blieb resonanzlos. Jetzt aber will der Wiener DVB-Verlag den fiktionalisierten Erlebnisbericht dem Vergessen entreißen. Völlig zu Recht.

"Herrliche Wälder"

Das Buch heißt Ferien am Waldsee und konfrontiert die Leser mit einem für die Zeit seiner Entstehung ungewöhnlichen Understatement-Stil. Um keinen Preis wollte sich Carl Laszlo von der Geschichte die Rolle des Leidenden überstülpen lassen. Und das, obwohl er nach seiner Deportation 1944 nach Auschwitz noch in weitere vier Konzentrationslager (Buchenwald, Sachsenhausen, Ohrdruf, Theresienstadt) verschleppt worden war.

Laszlos Prosa zeichnet das Grauen sachlich auf, der Ich-Erzähler befreit sich aber in kunstvollen Überblendungen bis hin zu geradezu schelmischen Tonlagen und einem erschütternden Purismus gänzlich vom Opfer-Narrativ.

Hier unternimmt ein Überlebender eine Selbstermächtigung im Angesicht des Horrors und seiner Erzählweisen. Der einzige wahre Zynismus in diesem Buch kommt vom Naziregime selbst. Denn der Titel Ferien am Waldsee ist jenem Poststempel entnommen, den die zwangsweise aus den Vernichtungslagern an Verwandte versendeten Grußkarten trugen.

Krematorien und Shakespeare

Das Buch enthält Sätze wie "Alle Nichtvergasten wurden in eine große Baracke geführt". Es erzählt vom "prächtigen Reichtum der Gesichter" beim Appell, von der Schönheit der dressierten Schäferhunde und von den "herrlichen Wäldern", die das Konzentrationslager umgaben. Die Beschreibungen wischen alle Schemata der Angemessenheit weg. Formulierungen stapeln tief, was einen ungeheuer befreienden Effekt hat: "Ich konnte mich weder an die unhygienische Ernährung noch an das Verhungern gut gewöhnen", so der Ich-Erzähler. Das spottet jeder Vernichtungsmaschinerie.

Der Lagergenosse Aliego, eine immer wiederkehrende Figur, das Alter Ego des Autors, übertrifft es noch. Er betont, nicht unglücklich darüber zu sein, im Konzentrationslager gelandet zu sein und dass er auch "um keinen Preis darauf verzichten würde, all das hier gesehen zu haben". Er wird es nicht überleben. Eine der frappierendsten Szenen, vielleicht sogar der gesamten Holocaust-Literatur, ist jene, in der der Erzähler den Anblick der rauchenden Krematoriumsschlote geheim vom Abort aus mit der Lektüre von Romeo und Julia überblendet.

Mitbegründer der Art Basel

Carl Laszlo hat nach dem Krieg Psychologie bei Léopold Szondi studiert, hat auch Theaterstücke und Prosa geschrieben. Aber seine Rolle als Kunsthändler wurde schließlich die größte. Er ist nach Basel gezogen und baute eine enorme Sammlung auf, die heute zu einem Teil in seiner ungarischen Heimatstadt Veszprém, wo er auch begraben liegt, ausgestellt ist. Diese ist 2023 übrigens Europäische Kulturhauptstadt.

Laszlo ist einer der Mitbegründer der Art Basel und war Herausgeber des Kunstmagazins Panderma. Seine Villa in Basel beherbergte über 15.000 Werke und glich zeit seines Lebens einem Museum.

Carl Laszlo lebte auch kurze Zeit in New York und zählte u. a. William S. Burroughs und Andy Warhol zu seinen Freunden. Einblicke in das riesige soziale Biotop dieses schillernden Menschen bietet im nun erschienenen Buch das umfangreiche Nachwort von Alexander von Schönburg. Auf dessen homophobe Feststellung (Laszlo war schwul) hätte man aber doch gern verzichtet. (Margarete Affenzeller, 26.11.2020)