Die Anteilnahme war groß. Wienerinnen und Wiener zündeten tausende Kerzen am Anschlagsort an.

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Da war etwas anders als bisher in der Kommunikation von Innenminister Karl Nehammer (ÖVP). Ging es um den Terroranschlag in Wien vom 2. November, war er stets der Erste, der über neue Ermittlungserkenntnisse informierte. Doch bei einer am Donnerstagvormittag eilig einberufenen Pressekonferenz hielt er sich bedeckt.

Bei dieser warnte der Innenminister zwar vor Nachahmungstaten und sagte, der Attentäter habe gezielt Opfer in Kirchen suchen wollen. Doch auf die Frage nach genaueren Ermittlungserkenntnissen, etwa ob der Täter eine bestimmte Religionsgemeinschaft anvisiert hatte, verwies der Innenminister auf die Staatsanwaltschaft. Die habe "das Exklusivrecht", wenn es darum gehe, neue Ermittlungserkenntnisse zu kommunizieren, meinte Nehammer.

Nur: Die Staatsanwaltschaft hat keine neuen Ermittlungserkenntnisse vorliegen. Dort ging kein Polizeibericht ein, der etwa die Frage nach einem gezielten Angriff auf Kirchen thematisiert, wie es vonseiten der Staatsanwaltschaft Wien gegenüber dem STANDARD heißt. Es würden "keine neuen Erkenntnisse vorliegen, insbesondere nicht im Zusammenhang mit Kirchen". Aus dem Innenministerium heißt es dazu bloß, es gebe "laufend Zwischenberichte".

Verstärkter Kirchenschutz

Nachdem Nehammer explizit davon sprach, dass der Täter Opfer "in Kirchen" suchte, steht die Frage im Raum, was genau das Ziel seines Anschlags war. Im Umkreis des Tatorts befindet sich einerseits die Hauptsynagoge von Wien, dort fielen die ersten Schüsse. Andererseits ist dort aber auch die katholische Ruprechtskirche, nur wenige Meter von dieser entfernt wurde der Attentäter von zwei Wega-Beamten erschossen. Offizielle Infos, wer oder was genau das Ziel des Täters war, wurden nicht kommuniziert.

Nehammer betonte bei der Pressekonferenz, dass zwar kein "konkretes Bedrohungsszenario gegen kirchliche Einrichtungen" vorliege, dennoch sei man noch in einer "heiklen Phase". Religiöse Einrichtungen – und zwar aller Religionen – sollen daher verstärkt geschützt werden, die Bundesregierung arbeite mit den Religionsgemeinschaften zusammen. Nehammer präsentierte das "Rapid Response Team" des Einsatzkommandos Cobra, das nun für den Schutz religiöser und anderer Einrichtungen zum Einsatz kommen soll.

Vier Wochen nach dem Terroranschlag in Wien führte das Innenministerium in der Innenstadt ein neues Einsatzteam vor. Es soll rund um Kirchen und religiöse Stätten positioniert werden.
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Eine zentrale offene Frage ist aber nach wie vor, wie der Täter in die Innenstadt kam. Ein Uber-Fahrer will ihn chauffiert haben, die Polizei hält von dieser Spur allerdings nicht viel. Ein Beitragstäter, der ihn hingefahren hat, wird nach wie vor nicht ausgeschlossen, auch wenn ein kursierendes Video – es zeigt eine Autofahrt zweier Personen und eine Waffe – sich als falsch herausgestellt haben dürfte. Aus Ermittlerkreisen heißt es nun, dass die Theorie, dass der Täter zu Fuß an den Tatort gekommen sei, sich immer weiter erhärte.

Der Umkreis des Täters

Auch zur Vernetzung des Täters gab es vom Innenminister keine neuen Informationen. Bekannt ist, dass es im Juli 2020 zu einem Treffen mehrerer Jihadisten kam. Sie sollen sich in einer Whatsapp-Gruppe befunden haben, in der IS-Terrorvideos geteilt wurden. Aus Deutschland reiste B. S. an, der auch im Rahmen eines Terrorfinanzierungsverfahrens gegen einen weiteren Beschuldigten vom Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (LVT) identifiziert worden war. Eine zentrale Rolle in der Chatgruppe soll auch der deutsche Staatsbürger Anzor W. spielen, der bis Oktober in Wien wohnte und dann nach Deutschland abgeschoben wurde.

Auch das Netz in Österreich war dicht geknüpft. Noch in der Nacht des Anschlags verhaftet, wird insgesamt gegen mindestens 20 Personen ermittelt, davon einige einschlägig vorbestraft. Mittlerweile sitzen noch zehn Personen in U-Haft. In einem Monat werden deren Hauptverhandlungen stattfinden, in denen geklärt wird, ob sie weiter im Gefängnis bleiben.

Versäumnisse der Behörden

Klar ist nach fast vier Wochen aber auch: Es kam zu einigen gröberen Ermittlungspannen, die Behörden haben den Täter gekannt und wichtige Warnsignale übersehen. Eine Untersuchungskommission wurde eingerichtet, die diese Vorgänge beleuchten soll.

Diese soll, so sagte Nehammer, nach vier Wochen einen Zwischenbericht, nach acht Wochen einen Endbericht liefern. Näherer Details verriet der Innenminister nicht.

Nun wird jedoch Kritik an der Zusammensetzung der Kommission laut. Stephanie Krisper (Neos) verwies darauf, dass Herbert Anderl, einst Generaldirektor für Öffentliche Sicherheit, "ÖVP-Kreisen zurechenbar" sei. Der Kabinettschef des damaligen Innenministers Ernst Strasser hatte Anderl einst zu "informellen ÖVP-Runden aus dem Hause" eingeladen; der jetzt angeklagte Ex-BVT-Abteilungsleiter an Anderl einen Brief als "Bundesbruder" verfasst. Auf weitere Verknüpfungen zwischen Anderl und aktuellen ÖVP-Führungskräften macht Krisper in einer parlamentarischen Anfrage aufmerksam, mit der sie mehr über die Auswahl der Kommissionsmitglieder erfahren will. (Gabriele Scherndl, Fabian Schmid, 26.11.2020)