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Hashim Thaçi hat auch in Den Haag Anhänger.

Foto: AP Photo/Peter Dejong

Für den Kosovo, den jüngsten Staat Europas, hat eine neue Zeit begonnen. Nun werden jene Männer zur Verantwortung gezogen, die verdächtigt werden, während des Kosovokriegs 1999 Verbrechen begangen zu haben. Viele der ehemaligen Kommandanten der Kosovo-Befreiungsarmee UÇK haben in den vergangenen 20 Jahren politische Karriere gemacht. Sie gestalteten auch das Selbstverständnis der Nation. Sie ließen Denkmäler erbauen und übten sich in Heldenverehrungen für die UÇK.

Das Heroische der Verteidiger wurde hervorgekehrt, die grausamen Abrechnungen mit internen Feinden – vor allem nach dem Krieg – oder mit jenen Albanern, die nicht mit der UÇK zusammenarbeiten wollten, und mit Angehörigen von Minderheiten, etwa Serben und Roma, sollten unter den Teppich gekehrt werden.

Folter und Morde

Doch nach jahrelangem Warten – das Kosovo-Sondergericht für Kriegsverbrechen wurde bereits 2016 gegründet – haben nun die Prozesse gegen einige führende UÇK-Kommandanten begonnen. Angeklagt sind Ex-Staatspräsident Hashim Thaçi, der frühere Chef der Partei PDK, Kadri Veseli, der frühere Vize-Chef der Partei Vetevendosje, Rexhep Selimi, und der frühere Parlamentspräsident Jakup Krasniqi von der Partei Nisma. Ihnen werden illegale Gefangennahme, Folter, Morde und Verfolgung zwischen März 1998 und September 1999 vorgeworfen. In der Anklage ist von einer "gemeinsamen verbrecherischen Unternehmung" die Rede, der diese Personen angehört haben sollen.

Die meisten Verbrechen fanden in Gefangenenlagern der UÇK im Kosovo und in Albanien statt. Vor Gericht sollen nun auch Opfer und Angehörige von Opfern aussagen. Insgesamt soll es mindestens 416 Personen geben, die den Verbrechen der vier Angeklagten zum Opfer fielen. Für die Angehörigen ist es vor allem wichtig, dass die Verbrechen als solche benannt werden. Das war auch für die meisten Menschen beim Jugoslawien-Tribunal prioritär. Nun sollen die Opfer aber auch offizielle Bestätigungen bekommen – was im Jugoslawien-Tribunal noch nicht der Fall war. Ansuchen um Reparationszahlungen können danach eingereicht werden.

Kampagne gegen das Gericht

Das Sondergericht hatte die Anklage gegen Thaçi bereits im Juni bekannt gemacht, bevor sie bestätigt war, weil Thaçi immer versucht hatte, das Gericht zu unterlaufen. "Es wird angenommen, dass Herr Thaçi und Herr Veseli eine geheime Kampagne durchgeführt haben, um das Gesetz zur Schaffung des Gerichtshofs aufzuheben und die Arbeit des Gerichtshofs auf andere Weise zu behindern, um sicherzustellen, dass sie nicht vor Gericht gestellt werden", hieß es in einer Aussendung des Gerichts. Mittlerweile sind die Anklagen bestätigt, die Angeklagten wurden bereits einvernommen.

Aber auch jetzt wieder hat die Staatsanwaltschaft in Den Haag Dokumente veröffentlicht, aus denen hervorgeht, dass Thaçi versucht hat, mögliche Zeugen zu beeinflussen. Die ehemaligen Kommandanten können nach wie vor viel Druck ausüben und Leute einschüchtern, weil es im Kosovo einen Art Schulterschluss gibt, wenn es um den Krieg geht. Viele fürchten für sich und ihre Familien Konsequenzen, wenn sie aussagen. Den Dokumenten zufolge soll Thaçi auch versucht haben, mögliche Zeugen mit Bestechungsgeldern oder Vorteilen zu beeinflussen. Sogar Posten sollen diesen Leuten angeboten worden sein.

Zeugen fürchten Druck durch Veröffentlichung

Die Ex-Kommandanten sollen auch Mitglieder des früheren kosovarischen Geheimdiensts Shik engagiert haben, um Zeugen einzuschüchtern. Personen, die für Rexhep Selimi arbeiteten, sollen sogar einen Mordversuch gegen einen Zeugen begangen haben. Selimi steht unter US-Sanktionen. Einige Zeugen wurden bereits außer Landes gebracht, weil sie als gefährdet erachtet werden. Zeugeneinschüchterung spielte bereits in früheren Verfahren gegen UÇK-Kommandanten eine Rolle. Aber nun wurden zudem noch Dokumente aus dem Sondergericht an frühere UÇK-Leute geleakt, und die Zeugen fürchten sich, dass die UÇK ihre Namen nun veröffentlichen könnte. Zwei Personen von UÇK-Veteranen-Verbänden wurden wegen der Leaks festgenommen.

Die Verfahren gegen die Ex-Kommandanten finden zu einem Zeitpunkt statt, an dem Politiker populär sind und viel Rückhalt in der Bevölkerung genießen, die mit den alten Kriegern nichts zu tun haben, sondern vor allem gegen Korruption ankämpfen wollen. Dazu gehört die Parlamentspräsidentin und Interims-Staatspräsidentin Vjosa Osmani und Ex-Premier Albin Kurti von der Vetevendosje, die die Wahlen kommendes Jahr gewinnen könnte. Dann könnte Kurti auch wieder an die Macht kommen. Jedenfalls könnten andere Themen als die Kriegsvergangenheit in den Vordergrund rücken. (Adelheid Wölfl, 26.11.2020)