In "Goodbye Kreisky" hat die Sozialdemokratie in einer Zeitkapsel überlebt und kommt in der Gegenwart nicht ohne Analyseteam (hier: Eva Billisich) aus.

Lorenz Tröbinger

Die Wiener Theatergruppe Nesterval kümmert sich in aufwendig entworfenen (Mit-) Spielformaten um die großen Sippen unserer Zeit – deren Dramen, Geheimnisse, Abgründe. Was ohne Pandemie üblicherweise an üppig hergerichteten Schauplätzen mit neugierig durch Gänge oder Parkanlagen ziehendem Publikum vor sich geht, findet im Seuchenjahr 2020 online statt.

Für seine im Frühjahrs-Lockdown eilig auf Digitalität umgebaute Produktion Der Kreisky Test hat Nesterval prompt den Nestroypreis in der historisch bisher einmaligen Corona-Kategorie eingeheimst. Die Folgeproduktion Goodbye Kreisky. Willkommen im Untergrund hatte soeben – es ist passenderweise wieder Lockdown – erneut als Koproduktion mit dem Brut (Regie: Martin Finnland) Premiere.

Alles dreht sich in diesem sozialdemokratischen sciencefictionhaften Epos um die 1970 spurlos verschwundene Matrone Gertrud Nesterval. Sie wird von ihrer Sippe als weibliches Pendant zum Starpolitiker Bruno Kreisky gefeiert, ist aber – Frauenschicksal! – in den 70ern plötzlich von der Bildfläche verschwunden. Bei Bauarbeiten – und hier beginnt die Handlung der aktuellen Erzählung – wurden "die Bedroten" (sic!), wie sich die Jüngerinnen und Jünger der inzwischen verstorbenen Dame nennen, nun in einer unterirdischen Wiener Bunkeranlage entdeckt. Kellergeschichte, einmal anders.

Ideologie ins Museum?

Was tun mit heillos altmodischen Sozialdemokratinnen, die noch Kassettenrekorder reparieren, aber einer Welt mit tragbaren Telefonapparaten misstrauen? Soll man sie samt ihrer politischen Ideologie und Praxis besser in ein "Kulturschutzgebiet" wegsperren oder sie doch in die Gesellschaft integrieren und mit dem Fortschritt der letzten 50 Jahre konfrontieren? Das Publikum ist gefragt und nimmt in Gruppen über die Onlineplattform Zoom auf die Handlung Einfluss.

Bis es so weit ist, heißt es, sich zu informieren und genau hinzuhören, welche Ungereimtheiten und womöglich zweifelhaften Usancen es unter den Gertrudianern gibt. Dazu betritt man, moderiert von Analysten des Nesterval-Fonds, selbst ausgewählte virtuelle Räume und Szenen: Schlafräume, Duschen, Labor, auch einen Trainingsplatz für sozialistische Aufmärsche – und man wird mit Archivmaterial versorgt. Besonders erwähnenswert ist das tolle Sounddesign von Alkis Vlassakakis und Josef Rabitsch.

Für Lockdown-Bedingungen war das gar nicht wenig Theater, auch wenn die bildschirmblaue Konferenzästhetik alles rastert. Im Jänner sind Termine an realen Schauplätzen geplant. Die Geschichte ist auch für Gruppen exklusiv zu buchen. Vielleicht für die Weihnachtsfeier? (Margarete Affenzeller, 26.11.2020)