Monika Helfer, "Die Bagage". Roman. 19,60 Euro / 160 Seiten. Hanser-Verlag, München 2020

Cover: Hanser

Vom Prekariat würde man heute sprechen, von der Unterschicht. Monika Helfer nennt ihren Roman und die Familie, die sie beschreibt, Die Bagage. Arme Leute sind das, am unteren Rand der Gesellschaft, im hinteren Bregenzerwald leben sie mit ein wenig Vieh auf einem abgelegenen Hof.

1914 muss der Vater, Josef Moosbrugger, in den Krieg ziehen, Maria und die vier Kinder bleiben zurück. Marias Aussehen wird zum Ballast, denn sie ist wunderschön. "Nicht einen kennt sie, bei dem sie nicht sicher ist", schreibt Helfer.

Aber da ist ja der Bürgermeister, und der hat dem Moosbrugger-Josef versprochen, auf die Maria gut aufzupassen – natürlich ganz und gar nicht uneigennützig. "Ist es fein so nah an mir dran", fragt sie den Bürgermeister, als die beiden gemeinsam zum Viehmarkt fahren.

Aber der Tadel ist leise, der Bürgermeister hat nicht nur die Macht, sondern auch Kartoffeln, Zwiebeln und Wurst. Maria wird schwanger, das Misstrauen wuchert üppig. Kann Josef der Vater sein? Oder ist es doch der Bürgermeister? Oder vielleicht Georg aus Hannover, den das Schicksal ins Dorf gespült hat?

Päckchen zu tragen

Als Josef heimkommt, rechnet er und rechnet, blickt auf Fronturlaube zurück – und schweigt. Nie hat er mit diesem letzten Kind, der Grete, ein Wort gesprochen, zeit seines Lebens nicht, obwohl Maria versicherte, immer treu gewesen zu sein. "Sie wollte nicht auffallen, wollte unsichtbar sein", heißt es in dem Buch über das Kind. Grete ist die Mutter der Erzählerin Helfer.

Die Letztgeborene wird wie ihre eigene Mutter, die schöne Maria, nicht alt. Helfer aber belässt es nicht bei der Beschreibung der beiden, sondern zieht die Geschichte weit ins 20. Jahrhundert herauf, in dem sie erzählt, was aus den Nachkommen geworden ist.

Dieses dichte und bunte und trotz der Zeitsprünge doch so leicht erzählte Familienporträt zeigt: Eine Bagage verschwindet so schnell nicht. Auch wenn es den nachfolgenden Generationen finanziell besser geht, haben auch sie allerhand an Bagage – im Sinn von Päckchen – zu tragen. (Birgit Baumann, 18.12.2020)