Andrea Witzmann, "wien.herzschlag". 41,– Euro / 216 Seiten. Böhlau-Verlag, 2020

Cover: Böhlau

Es ist menschenleer, das Wien auf diesen Bildern. Nur manchmal streunt eine Katze von links nach rechts. Heimelig scheint auch ihr nicht zu sein.

Auf 215 Seiten hat die Wiener Fotografin Andrea Witzmann die Stadt eingefangen, wie sie sich selten präsentiert: die Kaffeehäuser leer, die Plätze ausgestorben, die Parkbänke verwaist. Selbst im Wurstelprater lässt sich keine Seele blicken. Bilder, die während des Lockdowns eine andere Bedeutung bekommen als zu Zeiten, in denen Zeit nicht stillzustehen scheint.

In Witzmanns in den vergangenen Jahren entstandenen Analogfotografien spielt Bewegung (auch jene der Zeit) keine Rolle. Es sind Stillleben, die manchmal perfekt arrangiert, aber meistens mit einem genauen Blick für die Schönheit der Zufälligkeit ausgewählt sind.

Die Trostlosigkeit mancher Motive korrespondiert mit der Faszination, die die Hässlichkeit bereithält. Die in dickes Zellophan eingewickelten Blumengärten in Hirschstetten erscheinen als futuristischer Skulpturenpark. Der Blick unter die Autobahnbrücken der Donaustadt als Poussin’sches Landschaftsbild.

Fahles Licht

Die Repräsentationslust und der Grind liegen in Wien bekanntlich nah beieinander. Die vielen Wien-Klischees durchziehen Witzmanns wunderbaren Fotoband aber nur als leises, leicht atonales Echo. Wenn sie die Klebebänder ins Visier nimmt, mit denen im Kaffee Heumarkt die Polsterbänke repariert werden. Oder wenn sie in die Glyptothek der Akademie hinabsteigt.

Es ist ein fahles Licht, das in Witzmanns melancholischen Bildern dominiert. Selbst ihre Sommerbilder fangen eine Herbststimmung ein. Der Bodennebel kriecht genauso durch den Lainzer Tiergarten wie durch die Gstätten des Nordbahnhofs. Die Orte, an die es Witzmann zieht, sind nicht jene, mit denen die Tourismuswerbung viel anzufangen wüsste. Sie nimmt Un- und Zwischenorte, Absonderlichkeiten und Abseitigkeiten ins Visier.

Wo andere wegschauen, schaut Andrea Witzmann hin. Sie entdeckt Korrespondenzen (Teerspuren und Baumranken), zieht Parallelen (anatomischer Hörsaal und Parkbänke auf dem Konstantinhügel), und manchmal erlaubt sie sich sogar einen feinen Witz (die Ziegen von Kaiserebersdorf und jene vom Skaterpark). Höchste Empfehlung! (Stephan Hilpold, 23.12.2020)