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Ursula von der Leyen kennt Videokonferenzen ganz gut, wie hier bei anderer Gelegenheit.

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Sebastian Kurz wurde die Dringlichkeit des Breitbandausbaus bewusst.

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Wien – Es beginnt wie die meisten Videotelefonate, auch acht Monate nachdem ein sehr großer Teil aller Meetings plötzlich auf dieses Medium umgestellt worden ist: "Hallo, können Sie mich hören?" Da sitzen aber noch nicht der österreichische Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU), sondern deren Mitarbeiter. Das Bild aus Brüssel ist noch etwas dunkel, besprechen sie – die Sterne auf der europäischen Flagge schauen fast orange aus.

Einige Minuten und eine kleine Belichtungskorrektur später sitzen einander nun Kurz und von der Leyen für ihre "medienöffentliche Videokonferenz" gegenüber. Das Thema sind die in Entwicklung befindlichen Corona-Impfstoffe. Die anwesenden Journalisten dürfen nicht mitschneiden oder -filmen, wohl aber in einem eigenen "Listening Room" zuhören und im Anschluss berichten. Sie sehen von der Leyen und Kurz dabei, also handelt es sich eigentlich auch um einen "Watching Room".

"Danke", "beeindruckend", "Game-Changer"

Man redet ein bisschen anders, wenn man weiß, dass andere zuhören. Und so loben der Politiker und die Politikerin einander zu Beginn des Gespräches ausführlich: Kurz will von der Leyen ein "ganz ganz großes Danke" sagen, wie sie den europäischen Beschaffungsprozess für die Impfstoffe aufgesetzt hat, sei "beeindruckend" gewesen. Die Impfung sei "der echte Game-Changer in dieser Krise". Das weiß die Kommissionspräsidentin zwar sicher selbst, aber es schadet auch nicht, es noch einmal zu sagen.

Von der Leyen empfängt die Lorbeeren nicht vorbehaltlos, "du weißt selber: Das ist ein Team-Effort gewesen. Da hat sich auch die Stärke Europas gezeigt." Sie nutzt die Gelegenheit, um die Beschaffung der Impfstoffe zu reflektieren: Die Marktmacht mit 450 Millionen Einwohnern sei da sehr wichtig gewesen.

Impfstoff für den Balkan

Und mit sechs verschiedenen Entwicklern konnte man auch das Risiko von Ausfällen gut streuen. "Wir haben heute das weltweit breiteste und überzeugendste Portfolio an Impfstoffen", sagt von der Leyen – "und das war sehr gut". Das weiß wohl auch Sebastian Kurz, aber es schadet auch nicht, es noch einmal zu sagen.

Die Kommissionspräsidentin geht von zwei Milliarden Impfdosen aus, die Europa vertraglich zustehen, sie rechnet damit, dass für die Immunität zwei Dosen pro Person nötig sind. Was Europa übrig bleibt, bekommen Nachbarländer. Darauf habe Kurz ja im Vorfeld gedrängt (was er wahrscheinlich weiß), erklärt von der Leyen dem Kanzler: Vor allem der Westbalkan soll mit Impfungen versorgt werden – wegen der geografischen Nähe, aber auch weil Österreich eng mit diesen Ländern verbunden ist.

"Sebastian, das Bild ist jetzt frozen"

Lob von von der Leyen für Österreich gibt es für die rasche Übermittlung eines Impfplans und eines Kommunikationskonzepts; sie glaube, das sei wichtig und könne auch Vorbild für andere Länder sein. Man sehe jetzt "Licht am Ende des Tunnels", verwendet von der Leyen eine Formulierung, die Kurz schon kennt.

Während Kurz ansetzt, von der Leyen noch einmal zu danken, wird sein Gesicht immer pixeliger, es bleibt stecken, dann fällt auch der Ton immer wieder aus. Anfangs nur kurz, dann länger. Bis die Kommissionspräsidentin irgendwann sagt: "Sebastian, ich höre dich jetzt fast gar nicht." Wenig später: "Sebastian, das Bild ist jetzt frozen."

"Wir erzählen ihnen nachher alles"

Der Kanzler versucht, sich neu einzuwählen. Er wechselt auf ein anderes Gerät in seinem Büro. Es hilft nichts. Der Kanzler und die Kommissionspräsidentin wechseln aufs Handy. Einmal ist er im Listening Room noch gut zu hören, da sagt er zu einem Mitarbeiter: "Sag' der Presse, da funktioniert's – aber draußen leider nimmer. Aber wir erzählen ihnen nachher alles."

Nicht viel später betritt der Kanzler den Listening Room und verwandelt ihn dadurch in einen Saal für eine Pressekonferenz. Er bittet um Entschuldigung für die technischen Probleme und beginnt mit einem gewohnten Appell an die Bevölkerung: Man möge sich an die Maßnahmen halten. Er sei zwar froh, dass es anders als von ihm angekündigt nicht so weit gekommen sei, dass "jeder jemanden kennen wird, der an Corona gestorben ist". Aber er selbst kenne so jemanden. Und einen weiteren, der lange auf der Intensivstation gelegen ist. Und einen weiteren, der "gar nicht so alt ist und keiner Risikogruppe angehört, aber dann ganz schön damit gekämpft hat".

"... dass wir die Pandemie für beendet erklären können"

Kurz verteidigt dann die geplanten Massentests: Weil man auf einen Schlag Millionen Antigentests kaufen könne, seien diese möglich. "Es gab einige, die gesagt habend: Das ist niemals innerhalb von einigen Wochen zu organisieren." Nun könne man die Massentests "schneller umsetzen als gedacht". Das sei "hundertmal billiger, hundertmal weniger Grundrechtseingriff, hundertmal weniger Schaden für die Wirtschaft als Lockdown und harte Maßnahmen", argumentiert der Bundeskanzler.

Logistisch sei das auch eine Vorbereitung auf die Impfungen. Damit könne man vielleicht sogar schon im Dezember beginnen, sicher aber im Jänner. Er hoffe, "bis zum Sommer einen so hohen Anteil der Bevölkerung geimpft zu haben, dass wir die Pandemie für beendet erklären können".

"Mehr Impfdosen, als wir brauchen"

Die Vorkaufsrechte mit sechs Herstellern stimmen ihn (und von der Leyen) zuversichtlich. "Wir werden am Anfang eine Knappheit haben, aber wir werden nach einigen Monaten wahrscheinlich mehr Impfdosen haben, als wir selbst brauchen", die könne man dann an andere Länder weiterreichen. Das werde aber seine Zeit brauchen: "Machen Sie sich bitte keine Sorgen, dass wir in den nächsten Monaten zu viele Impfstoffe haben."

Übers Skifahren habe er mit von der Leyen übrigens nicht gesprochen, antwortete Kurz auf die Frage eines Journalisten – das sei in den Medien gerade stärker Thema als in der Politik. Angesichts der abgebrochenen Verbindung kann man das Kurz nur glauben. Für die Frage, ob der Kanzler mit der Kommissionspräsidentin bei dieser Gelegenheit auch über den Breitbandausbau gesprochen hat, war leider keine Zeit mehr. (Sebastian Fellner, 27.11.2020)