Medizinisches Personal soll den russischen Impfstoff bereits erhalten haben.

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Hohn oder Hilfe? Der britisch-schwedische Pharmakonzern Astra Zeneca muss sich nach einer verpatzten Impfstudie gerade heftiger Kritik erwehren. Da kommt aus Moskau ein unerwartetes Angebot: Man könne doch den Impfstoff aus Cambridge mit dem russischen Sputnik V aufpolieren, schlug das Gamaleja-Institut für Epidemiologie und Mikrobiologie vor.

"In der derzeitigen Verabreichungsform zeigt Astra Zeneca bei der Gabe der vollen Dosis eine Effizienz von 62 Prozent. Wenn sie eine neue klinische Studie starten, schlagen wir vor, die Injektion von AZ mit der von Sputnik V zu kombinieren, um die Effizienz zu erhöhen", teilte das Institut auf dem Twitter-Account des Impfstoffs mit.

Seit Sommer registriert

Das Gamaleja-Institut hat als weltweit erstes Forschungszentrum seinen Impfstoff bereits im Sommer registrieren können. Russlands Präsident Wladimir Putin verkündete die Zulassung damals persönlich und erklärte zur Verdeutlichung der Wirksamkeit nebenher, seine eigene Tochter habe sich bereits mit dem Serum impfen lassen.

Russische Offizielle sprachen daraufhin von einem Sputnik-Moment – in memoriam an den Schock, den 1957 das Piepen des ersten sowjetischen Satelliten im Weltraum als Beweis der technischen Überlegenheit Moskaus bei den westlichen Großmächten ausgelöst hatte. Der Impfstoff bekam folgerichtig kurz darauf den Namen Sputnik V.

Freiwilligen verabreicht

Allerdings erfolgte die Zulassung von Sputnik V noch vor der entscheidenden dritten Testphase. Diese durchläuft das Mittel gerade, indem es tausenden Freiwilligen in Russland verabreicht wird. Der Prozess zieht sich auch deshalb in die Länge, weil das russische Serum in zwei Etappen im Abstand von drei Wochen gegeben wird.

Ungeachtet mehrerer Berichte über Infektionen bei Probanden sind offiziellen Angaben nach die Ergebnisse hervorragend: War zunächst von einer Effizienz von über 90 Prozent die Rede, verbesserten die Entwickler die statistischen Angaben noch, sobald die Konkurrenz von Pfizer/Biontech und Moderna höhere Ergebnisse vermeldete. So teilte der Russische Fonds für Direktinvestitionen, einer der Geldgeber des Projekts, mit, dass die Effizienz nach 28 Tagen bei 91,4 Prozent liege. Inzwischen wurde auf dem offiziellen Twitter-Account die Effizienz sogar mit 95 Prozent angegeben.

Asiatische Abnehmer

"Die Angaben zur hohen Effizienz des Vakzins Sputnik V geben uns Hoffnung, dass wir bald ein hochwichtiges Instrument im Kampf gegen die Pandemie der neuen Corona-Infektion zur Verfügung haben", kommentierte Russlands Gesundheitsminister Michail Muraschko die Ergebnisse.

Im Vergleich zur Konkurrenz soll Sputnik V zudem deutlich billiger sein. Laut den russischen Behörden kostet der Impfstoff weniger als zehn Dollar. Gerade aus dem asiatischen Raum gebe es daher große Bestellungen. Als Abnehmer und Partner werden Korea, China und Indien genannt. Letzteres will 100 Millionen Dosen des Serums selbst herstellen.

Heuer noch Impfungen

Nachdem die russischen Gesundheitsbehörden zuletzt den Termin für den Beginn der Massenimpfungen immer wieder hinausschieben mussten – von zunächst Oktober auf inzwischen Jänner/Februar –, hat Moskaus Oberbürgermeister Sergej Sobjanin nun den Start wieder nach vorne verlegt. In der russischen Hauptstadt sollen die Impfungen noch vor Neujahr beginnen, kündigte er an.

Warum angesichts der offiziellen Erfolgsmeldungen Sputnik V mit Astra Zeneca kooperieren soll, erschließt sich nicht auf den ersten Blick. Allerdings machte das Gamaleja-Institut bei seiner Offerte in einem Satz auf eine mögliche Schwäche des russischen Serums aufmerksam: Während es hauptsächlich seine Hilfe zur Steigerung der Effizienz des Astra-Zeneca-Serums anpries, setzte es unscheinbar hinterher: "Die Kombination der Impfstoffe könnte wichtig bei der Durchführung von Nachimpfungen sein."

Auffrischung fraglich

Im Gegensatz zu den westlichen Impfstoffen ist Sputnik nur für einen einmaligen Impfzyklus ausgelegt. Das heißt, eine Auffrischung des Impfstoffs, wenn die Antikörper verschwinden, ist nicht möglich. Das Problem daran: Derzeit ist klinisch nicht erprobt, wie lange der Impfstoff seine Wirkung behält und die Patienten schützt.

Das könnte ein Grund für das Interesse der russischen Impfstoffhersteller an der internationalen Kooperation sein. Ein zweiter besteht in den niedrigen Produktionskapazitäten der russischen Pharmaindustrie. Um den Impfstoff tatsächlich an Millionen Menschen zu verteilen, muss er in entsprechender Menge hergestellt werden. Dazu werden große Bioreaktoren benötigt, an denen es in Russland mangelt. (André Ballin aus Moskau, 27.11.2020)