Es ist eines der Leitsymptome der Corona-Infektion: Plötzlich ist der Geruchs- und damit auch der Geschmackssinn verschwunden. Das ist bei circa 60 bis 80 Prozent der Corona-Infizierten der Fall. Das Virus hat dann die Riechzellen in den oberen Atemwegen als Andockstelle genutzt.

Durch die Entzündung können die olfaktorischen Sinneswahrnehmungen von dort nicht über die Nervenzellen ins Gehirn weitergeleitet werden. Dort werden sie dann registriert. Weil auch die Aromen in Nahrungsmitteln über den Riechkolben ins Gehirn geleitet werden, funktioniert auch das Schmecken nicht.

Acht bis zehn Tage nach einer Infektion ist das meist vorbei, nur bei zehn Prozent dauert es Wochen oder sogar Monate. "Es gibt nur wenige Einzelberichte, die von einer nachhaltigen Schädigung des Hirnnervs berichten", sagt Neurologe Thomas Berger von der Med-Uni Wien.

Während die Beeinträchtigung des Geruchssinns verschwindet, wenn das Immunsystem das Virus abgewehrt hat, kann eine Anosmie, so der medizinische Fachbegriff, die durch eine mechanische Erschütterung verursacht wurde, wesentlich nachhaltiger oder sogar dauerhaft sein.

Denn dann ist der Riechkolben ganz oder teilweise abgerissen, die Nervenzellen können die Geruchs- und Geschmackswahrnehmungen nicht ins Gehirn leiten. "In jedem Fall lässt sich der Geruchssinn trainieren", sagt Berger und empfiehlt, dass sich Betroffene verstärkt angenehmen Gerüchen aussetzen und sie so im Gehirn "in Erinnerung rufen". (Karin Pollack)


Protokoll 1: Der Sternekoch, der nichts schmeckte

Lukas Mraz: "Wir haben das Gehirn ausgetrickst"

Lukas Mraz hat Corona ganz gut überstanden.
Foto: Mraz

"Es war just, als der "Lockdown light" in Kraft getreten ist, als meine Freundin und ich uns testen ließen. Nicht, weil wir etwas spürten, aber weil ein Bekannter von mir positiv war. Wir wollten deshalb auf Nummer sicher gehen. Am nächsten Tag merkte ich, dass etwas nicht in Ordnung war: Meine Beinmuskulatur schmerzte extrem, und ich fühlte mich unendlich schlapp und müde.

Gut, das hätte auch noch eine normale Grippe oder Verkühlung sein können. Man kennt das ja aus Erfahrung: Kaum ist der Stress in der Arbeit vorbei, kommt alles raus. Allerdings hatte ich kein Fieber, keinen Schnupfen, keine Halsschmerzen. Auch mit dem Atmen hatte ich keinerlei Probleme.

Stutzig gemacht hat mich dann aber die Tatsache, dass ich mir beim Abschmecken eines Salatdressings ungewöhnlich schwergetan habe. Mein Geschmackssinn war plötzlich beeinträchtigt. Eine ungewöhnliche Erfahrung für einen Spitzenkoch! Tatsächlich konnte ich süß, sauer, bitter usw. einigermaßen bestimmen. Wenn man mir aber die Augen verbunden hätte, wäre ich nicht mehr in der Lage gewesen, eine Sachertorte von einem Krapfen zu unterscheiden. Zudem spielte der Geruchssinn nicht mehr mit. Ich konnte nichts mehr riechen, dabei war meine Nase komplett frei.

Ich habe in dieser Zeit eine interessante Erfahrung gemacht: Eine Mandarine riecht und schmeckt trotz einer sensorischen Beeinträchtigung, wie eine Mandarine nun einmal riechen und schmecken sollte – weil das Gehirn es genauso abgespeichert hat. Meine Freundin kam dann auf die Idee, das zu überprüfen. Sie arbeitet als Keramikerin und benutzt bei ihrer Arbeit einen speziellen, übelriechenden Kleber. Daran ließ sie mich schnüffeln. Und ich meinte: Der riecht nach nichts.

Gibt’s nicht, erwiderte sie: Der stinkt doch total nach Schwefel! Mein Gehirn hatte dazu keinerlei Erfahrung abgespeichert, deshalb konnte es mir auch nichts vorgaukeln. Jetzt war klar: Es muss Corona sein. So gesehen kam mir der Lockdown eigentlich weit weniger tragisch vor, als wenn im Restaurant gerade Vollbetrieb geherrscht hätte.

Das Testergebnis, das übrigens sehr lange auf sich warten ließ und anfangs scheinbar "verlorengegangen" war, bestätigte letztendlich die Selbstdiagnose: positiv. Erstaunlicherweise war meine Freundin, obwohl immer mit mir zusammen, negativ.

Man hat mich in der Zeit öfters gefragt, ob ich Angst gehabt hätte, schließlich ist für einen Koch der Verlust des Geschmackssinns klarerweise eine Katastrophe. Aber ich habe mich davon nicht verrückt machen lassen. Ich musste ja nicht kochen. Es ist, wie es ist, dachte ich mir.

Und tatsächlich kam mein Geschmackssinn nach rund anderthalb Wochen zurück. Ich bin jetzt wieder gesund. Nur mit dem Riechen hapert es noch: Da bin ich momentan schätzungsweise erst wieder bei 50 Prozent." (Markus Böhm)

LUKAS MRAZ (30) ist als Koch an der Seite seines Vaters und Bruders im mit zwei Michelinsternen ausgezeichneten Wiener Restaurant Mraz und Sohn tätig.


Protokoll 2: Der Skispringer mit dauerhaftem Sinnesverlust

Thomas Diethart: "Ich schau ständig aufs Ablaufdatum"

Thomas Diethart freut sich über Kokosduft.
Foto: APA / Georg Hochmuth

"Schädel-Hirn-Trauma, Einblutung ins Gehirn, eine Lungenquetschung, zwei gebrochene Rippen, eine Rissquetschwunde im Gesicht. Es hat nicht gut ausgeschaut, ich hab nicht gut ausgeschaut. Passiert ist es am 29. November 2017 bei einem Trainingssturz in der Ramsau. Mein dritter schwerer Sturz, danach hab ich die Karriere beendet.

Aber erst Monate später bin ich draufgekommen, dass ich durch das Trauma den Geschmacks- und den Geruchssinn verloren hab. Eigentlich hat’s meine damalige Freundin bemerkt, weil ich das Essen extrem gewürzt hab und mit viel zu viel Parfüm herumgelaufen bin.

Sollte ich Corona kriegen, würde ich jedenfalls nicht merken, dass ich nichts mehr schmecke und rieche. Das geht ja jetzt vielen so, aber bei den meisten geht’s schnell vorüber. Ich hab auch wieder Hoffnung geschöpft, seit circa einem Jahr rieche ich vor allem wieder etwas mehr. Der erste Geruch, den ich wieder wahrgenommen hab, war Kokos. Meine Freundin hat ein Raffaello genascht, ich hab das nicht gesehen, aber ich hab es gerochen – und mich irrsinnig darüber gefreut. Jetzt hab ich sogar ein Duschgel mit Kokosduft.

Beim Essen erkenne ich maximal in Ansätzen, ob etwas süß oder scharf oder salzig ist. Und doch ernähre ich mich, seit ich kein aktiver Sportler mehr bin, also eigentlich, seit ich kaum mehr etwas schmecken kann, viel besser als vorher. Obwohl ich mehr esse, hab ich immer noch das gleiche Gewicht. Essen ist kein Stress mehr für mich. Früher gab’s immer das Thema, dass ich zu schwer bin, um gut zu springen, und ich hatte immer ein schlechtes Gewissen, wenn ich zu viel gegessen habe.

Jetzt kann Essen für mich ein Genuss sein, auch wenn ich kaum etwas schmecke. Ich kann mich ja noch erinnern, wie etwas geschmeckt hat, das hab ich abgespeichert. Deshalb ess ich immer noch gerne, was mir früher, vor dem Sturz, geschmeckt hat. Ich achte sehr auf die Konsistenz der Speisen, und mir ist besonders wichtig, wie mein Essen aussieht. Ich esse auch mit den Augen, sicher mehr als andere.

Aufpassen muss ich auch mehr als andere. Ich würde nicht merken, wenn ein Lebensmittel verdorben ist. Ich schau ständig aufs Ablaufdatum. Und ich schreib auf jede Verpackung, an welchem Tag ich sie aufgemacht hab. Alkohol trink ich sehr selten, ich trinke hauptsächlich Wasser. Alkohol würde ich auch nur bemerken, wenn er brennt.

Zur Routine ist geworden, dass ich fünfmal nachschaue, ob alles abgedreht ist. Vor allem der Herd. Ich würde es nicht riechen, wenn’s irgendwo brennt. Es gibt auch Orte, wo es, zugegeben, ganz gut ist, wenn man nichts riechen kann, das stille Örtchen ist ein solcher Ort. So gesehen hat die Sache auch ihre Vorteile. Aber die Nachteile überwiegen klar. (Fritz Neumann, 28.11.2020)

THOMAS DIETHART (28) aus Michelhausen bei Tulln gewann sensationell die Vierschanzentournee 2013/14. Da feierte er auch in Garmisch und Bischofshofen seine zwei Weltcupsiege, Olympiasilber holte er 2014 mit dem Team. Seit Sommer ist er als Trainer für den Deutschen Skiverband tätig.