Betroffene, die ein erhöhtes Risiko für Krebserkrankungen haben, sollten sich häufiger und bereits in jüngeren Lebensjahren untersuchen lassen.

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Fünf bis zehn Prozent aller Krebserkrankungen sind erblich bedingt, ein erhöhtes Risiko liegt also in der Familie. Betroffene, die einen solchen Verdacht hegen, etwa weil Angehörige erkrankt sind, können Gewissheit bekommen und sich genetischen Tests unterziehen.

Diese Untersuchungen werden häufig dann gemacht, wenn eines der drei folgenden Kriterien zutrifft, wie Michael Speicher vom Institut für Humangenetik an der Med-Uni Graz erklärt.

Erstens spielt das Erkrankungsalter eine Rolle. Die meisten Tumoren, etwa in Darm, Brust, Prostata oder Lunge, treten in späteren Lebensjahren auf. Gibt es eine vererbte Prädisposition, kann es sein, dass sie bereits früher diagnostiziert werden, "etwa Dickdarmkrebs mit 40 oder Brustkrebs mit 35 Jahren", sagt Speicher.

Zweitens kann ein Hinweis sein, wenn eine Person in zwei unterschiedlichen Organen Tumoren entwickelt. Drittes Kriterium ist die Familiengeschichte. Wurde bei mehreren Blutsverwandten Krebs diagnostiziert, könnte dies ebenfalls ein Hinweis sein. "Das gilt allerdings nicht, wenn jemand mit 90 Jahren an Krebs erkrankt", sagt Speicher. Eine konkrete Altersgrenze gebe es zwar nicht, so der Experte, man sehe aber in den betroffenen Familien, dass das Erkrankungsalter im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung "nach vorn geschoben ist".

Verändertes Vorsorgeschema

Nur wenn es nach diesen Kriterien eine klare Indikation gibt, werden genetische Tests durchgeführt und von den Krankenkassen bezahlt. Denn das Wissen über ein erhöhtes Risiko verändert das Vorsorgeschema. Betroffene sollten sich häufiger und bereits in jüngeren Lebensjahren untersuchen lassen.

Denn dann ist die Wahrscheinlichkeit, eine Tumorerkrankung zu entwickeln, drastisch erhöht. Bei vererbbarem Brust- und Eierstockkrebs liegt sie bei 80 Prozent – in der Allgemeinbevölkerung sind es acht bis zehn Prozent. "Allerdings bekommen 20 Prozent auch keinen Brustkrebs, somit können auch Generationen übersprungen werden: Die Mutter kann erkranken, die Tochter nicht. Hier ist jedoch keine Systematik dahinter, etwa dass jede zweite Generation übersprungen wird, wie oft fälschlich angenommen wird", sagt Speicher.

Recht auf Nichtwissen

Der Experte spricht einen wesentlichen Punkt an: das Recht auf Nichtwissen. Wer von seiner Prädisposition weiß, dem kann ein Vorsorge- und Früherkennungsprogramm angeboten werden, sodass, wenn ein Tumor auftreten sollte, dieser früher diagnostiziert und damit besser behandelt werden kann.

Manche Menschen entscheiden sich aber dennoch gegen die Untersuchung, weil sie befürchten, das Wissen über ihr erhöhtes Risiko könnte ihnen im Alltag große Sorgen bereiten. "Es ist daher immer eine individuelle Entscheidung, und eingehende Beratung ist nötig", so Speicher und weiter: "Die meisten haben aber aufgrund der Erkrankungsgeschichte in der Familie schon das belastende Wissen, dass etwas sein könnte."

Next-Generation-Sequencing

Untersucht wird, je nach Fragestellung und Wunsch der Ratsuchenden, eine unterschiedliche Anzahl an Genen mittels Next-Generation-Sequencing, einer schnellen Technologie, bei der Millionen DNA-Fragmente gleichzeitig untersucht werden können. Ist das Ergebnis positiv, wird mit den Betroffenen besprochen, für wen in der Verwandtschaft der Befund noch relevant ist. "Oft sind Familien ja auch kompliziert. Aber wenn der Informationsaustausch gut ist, untersuchen wir oft viele weitere Familienmitglieder", so Speicher.

Und welche Auswirkungen hat das Wissen über die Veranlagung abgesehen von den genannten Früherkennungsprogrammen? "Wir würden niemals raten, keine Kinder zu bekommen", sagt Speicher. Denn trotz erhöhten Risikos sind Krebserkrankungen heute gut behandelbar, und eine lange Lebenszeit ist möglich – "man weiß ja dann, worauf man achten muss". (Bernadette Redl, 17.12.2020)