Das freundliche Monster "Myx" erstreckt seine Gliedmaßen über den Schulhof Lessinggasse in Wien.

Foto: Regine Hendrich

Neben den Anstrengungen des Lernens sollten an einer Schule auch Leichtigkeit, Fantasie und Humor einen Platz bekommen, finden Tobias Urban, Ali Janka, Florian Reither und Wolfgang Gantner (v. li.), besser bekannt als Gelatin.

Foto: Regine Hendrich

Auf kräftigen Beinen stemmt sich das grüne Monster wie ein Krake in die Luft. Und ein langer Rüssel schlängelt sich über den asphaltierten Boden. Das jüngste Werk der Künstlergruppe Gelatin heißt Myx und steht mitten im Innenhof des neuen Schulzentrums BG/BRG/BORG Lessinggasse im zweiten Wiener Gemeindebezirk. Dieses ging aus der Fusion zweier Schulen hervor und wurde erst im Herbst bezogen. 46 Klassen sind hier nun auf 16.100 Quadratmetern untergebracht.

Um auch die Fläche des neuen Schulhofs zu nutzen und künstlerisch zu bespielen, wurde 2017 ein Wettbewerb für das Kunst- und Bauprojekt der Bundesimmobiliengesellschaft (BIG) ausgeschrieben. Der BIG Art Fachbeirat (BAF) – bestehend aus Architekten und Künstlerinnen, wie Nicole Six oder Manfred Wakolbinger – entschied sich für das Monster von Gelatin. Nach wochenlanger Arbeit breitet sich das fulminante Geschöpf nun im Lichthof aus: Zehn Meter zieht es sich in die Länge, fast sechs ragt es in die Höhe. Mit acht Glubschaugen blickt es neugierig um sich. Diese Woche soll das Schulmaskottchen fertig werden, nur noch trocknen muss die giftgrüne Farbschicht.

Acht Glubschaugen

Die Architektur, die es umzingelt, spricht hingegen eine nüchterne Sprache. Alles ist neu, aus Beton und Glas. Die Künstler wollten etwas Farbiges in den bisher kargen Hof setzen. "Wir haben uns gefragt, was uns denn gefallen würde, wenn wir hier in die Schule gehen würden", sagt Tobias Urban von Gelatin. "Myx soll keinen Respekt einflößen, sondern zum Verlieben sein." Dass man es auch benutzen darf, sei ohnedies klar, so die Künstler.

Die massive Stahlkonstruktion, die mit Styropor umzogen und mit Epoxidharz sowie farbigem Lack beschichtet ist, soll den Jugendlichen der Schule als "identitätsstiftendes Überwesen" in ihrem Schulalltag beistehen. Der Name Myx beziehe sich auf das griechische Wort "myxa" und bedeutet "Schleim". Damit möchte Gelatin auf die Lehre von den Körpersäften anspielen, in denen in der Antike der Humor lokalisiert wurde. Das Fantasietier will "einen spielerischen Zugang zu Mythologie, Literatur und deduktivem Denken" ermöglichen und steht für Leichtigkeit, Fantasie und Humor, die es neben dem Lernen auch brauche, so Gelatin. Myx soll die Schüler und Schülerinnen animieren, mutig zu sein und über Normen und Grenzen hinauszudenken.

Wer die Künstlergruppe kennt, weiß, dass es sich dabei auch um ihre eigenen Dogmen handelt. Bereits seit 1993 treten Wolfgang Gantner, Ali Janka, Florian Reither und Tobias Urban als Gelatin auf (2005 nannten sie sich in Gelitin um, was aber eigentlich als Gag gemeint war). Sie bespielten 2001 den österreichischen Pavillon auf der Biennale Venedig und sind unter anderem für ihre künstlerischen Aktionen sowie wilden Performances international bekannt.

Begehbare Artefakte

Erst vergangenes Jahr bauten sie in die Wiener Kunsthalle eine eigene Stadt aus gigantischen Styropor-Quadern, die ihnen als Filmkulisse diente. Auf der Parallel 2016 formten sie mit Human Elevator einen lebendigen Aufzug aus Personen, in Rotterdam setzen sie überdimensionale Kothaufen ins Museum, gern treten sie in Kostümen mit aufgenähten Stoffgenitalien auf. Nicht immer gefallen ihre Arbeiten: Ihre Springbrunnen-Plastik Arc de Triomphe in Salzburg wurde 2003 zum Politikum und musste entfernt werden. In Mailand hatte die skandalisierte Arbeit mehr Glück und wurde dort vor drei Jahren ausgestellt.

Öffentliche Installationen wie ihr gigantischer rosa Stoffhase im Piemont oder ihre meterhohe Wachauer Nase sind seit Jahren als begehbare Kunstwerke Teil ihrer Umgebung – und aus dieser kaum mehr wegzudenken. Im Idealfall wird das auch mit dem grünen Monster in Wien passieren. Wenn die Schülerinnen und Schüler nach dem Lockdown zurückkehren, wartet Myx jedenfalls schon. (Katharina Rustler, 30.11.2020)