Carmen Thornton ist selbstständige Rechtsanwältin in Wien. Ihre Kanzlei ist spezialisiert auf Trennungen und Scheidungen sowie Obsorge- und Unterhaltsverfahren. Auf derStandard.at/Familie beantwortet sie rechtliche Fragen bezüglich des Familienlebens.

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Am 25. November fand der Internationale Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen statt, von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt, ebenso wie die Gewaltvorfälle selbst. Und das, obwohl häusliche Gewalt in allen Gesellschaftsschichten vorkommt und nach wie vor jede fünfte Frau in Österreich ab ihrem 15. Lebensjahr von körperlicher und/oder sexueller Gewalt betroffen ist. Durch die Corona-Pandemie hat sich das Problem nochmals verschärft. Abgesehen davon, dass bei den dokumentierten Fällen häuslicher Gewalt ein deutlicher Anstieg verzeichnet wird, ist auch die Hemmschwelle, sich Hilfe zu suchen, für viele Frauen nochmals größer geworden.

Und selbst wenn es gelingt, sich aus einer Gewaltbeziehung zu lösen, müssen mache Frauen sich oft noch jahrelang vor Gericht mit ihrem Ex-Mann herumschlagen. Ein klassisches Muster ist, dass der – finanziell meistens stärkere – Mann versucht, die Frau durch zahlreiche Anträge zu zermürben. Besonders häufig geschieht dies in Kontaktrechtsverfahren. Dabei geht es in der Regel gar nicht um die Kinder selbst, das Kontaktrecht wird vielmehr als Instrument zur Machtausübung missbraucht. Solche Fälle stellen auch die Gerichte vor eine große Herausforderung, vor allem wenn der Mann die Gewaltvorfälle verharmlost oder – was leider noch häufiger vorkommt – überhaupt leugnet und behauptet, die Vorwürfe seien nur erfunden.

Kein Kontaktrecht gegen den Willen der Kinder nach Gewalterfahrung

Die gängige Praxis ist, dass nach Gewaltbeziehungen eine Besuchsbegleitung angeordnet wird. Die Kontakte finden dann in einer geschützten Umgebung (zum Beispiel in Besuchscafés oder Kinderschutzzentren) und in Anwesenheit einer neutralen Person statt. Leider kommt es immer wieder auch vor, dass das begleitete Kontaktrecht sogar gegen den Willen der Kinder eingeräumt wird, vor allem wenn sich die Gewalt nicht gegen die Kinder selbst, sondern "nur" gegen die Mutter gerichtet hat. Frauen, die gerade einer Gewaltbeziehung entkommen sind, werden dann manchmal sogar dazu verpflichtet, die Kinder selbst zum Besuchscafé oder einem vom Besuchsbegleiter festgelegten Übergabeort zu bringen, und müssen sich oft auch noch den Vorwurf gefallen lassen, sie hätte die Kinder beeinflusst, wenn diese den Kontakt ablehnen. Oft wird sogar versucht, die Besuchskontakte durch Androhung oder Verhängung von Zwangsstrafen durchzusetzen. Die Tatsache, dass es für die Kinder höchst traumatisch ist, wenn sie ansehen müssen, wie die Mutter geschlagen oder misshandelt wird, wird dabei ebenso wenig beachtet wie der Umstand, dass Kinder manchmal erst im Nachhinein realisieren, dass die Gewalt, die sie jahrelang erleben oder mitansehen mussten, eben nicht normal ist. Und da sich häusliche Gewalt oft über Generationen fortsetzt, stellt sich schon die Frage, ob ein gewalttätiger Elternteil tatsächlich der richtige Umgang für ein heranwachsendes Kind ist.

Antigewalttherapie sollte für Täter verpflichtend sein

Wesentlich sinnvoller wäre es daher, wenn man den Kindern ausreichend Zeit gibt, das Erlebte zu verarbeiten, und der gewaltbereite Elternteil in der Zwischenzeit zur Teilnahme an einem Antigewalttraining verpflichtet wird. Ob und in welcher Form ein Kontakt nach Gewaltvorfällen möglich ist, sollte daher auch davon abhängig gemacht werden, ob der Täter bereit ist, ein Täterprogramm erfolgreich zu absolvieren und sein Verhalten zu bessern. Denn ein dauerhaftes Kontaktrecht "unter Aufsicht" ist dem Kindeswohl nicht unbedingt förderlich und sicherlich nicht der Weisheit letzter Schluss. Die Besuchsbegleitung ist zwar, wenn sie richtig eingesetzt wird, ein sinnvolles Instrument, aber sicherlich kein Allheilmittel. Solange die Traumata, die eine Gewaltbeziehung auch bei Kindern – selbst dann, wenn diese nicht unmittelbar Opfer der Gewalt wurden – verursacht, nicht verarbeitet sind, ist es unmöglich, wieder eine funktionierende Eltern-Kind-Beziehung aufzubauen. (Carmen Thornton, 1.12.2020)