Miley Cyrus' Vokuhila rockt mehr als ihr neues Album.

Foto: Sony Music

Der Musikerklärbär Chilly Gonzales soll einmal gesagt haben: "Genres sind wie Länder, du musst alle bereisen, nicht das eine oder andere besser finden." Fraglich bleibt, ob er bei dieser weisen Aussage auch das Œuvre von Miley Cyrus mitgemeint hat. Cyrus, die ihre Karriere im Kindesalter als Disney-Star Hannah Montana startete, war als Tochter von Billy Rae Cyrus und Patentochter von Dolly Parton Country nie ganz abgeneigt. Immer wieder beackerte sie das ihr in die Wiege gelegte Genre.

Ihre erfolgreichste Karrierephase erlebte sie aber rund um das Erscheinen ihres großteils auf Hip-Hop-Beats angerichteten Albums Bangerz, das 2013 die Charts "like a wrecking ball" niederriss. Psychedelic Poprock gab es von ihr aber auch schon zu hören, und nun, 2020, sind wir mit Plastic Hearts bei 80er-Rock der Marke Joan Jett angekommen. Das Album feiert ganz bewusst die eigene Epigoninnenhaftigkeit, fast müsste man es als Hommage an altvordere Alphafrauen wie die bereits erwähnte Jett, die auch einen Gastauftritt auf Plastic Hearts hat, oder Blondies Debbie Harry bezeichnen. Cyrus ließ auch ihr Coverfoto von Mick Rock, der anno dazumal schon die beiden Damen ablichtete, fotografieren – lang lebe der Vokuhila!

Die Fallen des Wandels

Bei Cyrus sind die Äußerlichkeiten – man erinnere sich an die obsessiv rausgestreckte Zunge – schon eine Erwähnung wert, denn genauso wie sie sich durch die Genres wurschtelt, wandeln sich auch Kleidung, Frisur und Gehabe. Das ist ein Popverständnis der alten Schule, gänzlich madonnistisch: jede Veröffentlichung eine Neuerfindung.

Diese Strategie hat schon bessere Tage gesehen, der ewige Wandel wird paradoxerweise halt auch irgendwann fad. Vor allem, wenn die Neuerfindung darin besteht, eine Zeitreise in die niemals enden wollenden 80er anzutreten. Sie sind bereits länger Referenzpunkt für Popmusik, als sie eigentlich dauerten. Man nehme aktuell nur The Weeknd mit seiner Hitsingle Blinding Lights oder den englischen Superstar Dua Lipa, der mit Future Nostalgia dem Jahrzehnt sein aktuelles Album gewidmet hat, auch wenn Lipa, die freilich Gast auf Mileys neuem Album ist, dabei mehr auf die Disco als aufs Rockstadion schielt. Während Lipa es aber geschafft hat, die 80er frisch klingen zu lassen, muss man beim Durchhören von Mileys Plastikherzen leicht rock-’n’-augenrollen.

MileyCyrusVEVO

Zwar sind die Zitate nicht übel gewählt – Midnight Sky holt sich sein Sample von Stevie Nicks' Übernummer Edge of Seventeen –, und auch die Synths sind dort, wo sie hingehören (überall!), doch bleiben sie eben nur das: Zitate. Fraglos funktionieren diese Nummern: Never be me ist eine tolle Ballade übers zwischenmenschliche Nichtgenügen, Bad Karma mit Joan Jett kommt anregend dreckig daher, Hate Me ist einfach solider, großer Pop.

Trotzdem könnte Cyrus ja, anstatt wichtigen Frauen der Musikgeschichte die Ehre zu erweisen, versuchen, eine von ihnen zu werden. Die Stimme hätte sie. Fehlt nur noch eine etwas originellere Idee. (Amira Ben Saoud, 1.12.2020)