Geierperlhühner leben in den Steppen und Savannen Ostafrikas zwischen Äthiopien und Tansania. Die bis zu 70 Zentimeter großen Vögel leben in Gruppen von durchschnittlich 20 bis 30 Individuen mit einer strengen Hierarchie.

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Bei vielen sozialen Tieren ist der Prozess der Entscheidungsfindung komplizierter als man glauben könnte – man möchte fast schon von demokratischen Verhältnissen sprechen. Zumindest bestimmen häufig nicht alleine die Alphatiere, beispielsweise wohin die Gruppe als Nächstes gehen soll. Statt dessen haben alle Gruppenmitglieder das gleiche Mitspracherecht. Doch bei vielen in stabilen Gruppen lebenden Arten wie zum Beispiel Primaten und Vögeln monopolisieren die dominanten Gruppenmitglieder oft beispielsweise die reichsten Nahrungsgebiete und den Zugang zu Geschlechtspartnern.

Forscher haben nun an wilden Geierperlhühnern untersucht, wie Dominanz und Entscheidungen der Gruppe zusammenhängen. Ihre Ergebnisse zeigen, dass gleichsam demokratisch getroffene Entscheidungen die Übermacht der Alphatiere maßgeblich mildern. Die übrigen Mitglieder der Gruppe entscheiden vor allem dann über die Ortswahl mit, wenn die Alphatiere Ressourcen ganz allein für sich beanspruchen, also ihre Macht missbrauchen und sich egoistisch gegenüber dem Rest verhalten.

Hierarchische Geierperlhühner-Gesellschaft

Geierperlhühner sind große Vögel, die in den Savannen Ostafrikas beheimatet sind. Die Vögel leben in einer mehrschichtigen Gesellschaft, in der sich soziale Gruppen aus 15 bis über 60 Individuen untereinander austauschen. Innerhalb dieser großen Gruppen gibt es eine klare Hierarchie: Wie bei Wölfen und Primaten können die dominanten Alpha-Individuen andere Gruppenmitglieder übertrumpfen und Nahrung für sich selbst beanspruchen.

Lange glaubten Wissenschafter, dass die Alphatiere die Richtung vorgeben und entscheiden, wohin ihre Gruppe als Nächstes geht. Studien haben in den letzten zehn Jahren jedoch gezeigt, dass alle Gruppenmitglieder gleichberechtigt mitbestimmen können. Offen war jedoch noch, ob Entscheidungen deshalb demokratisch getroffen werden, um die Macht der Dominanten in Schach zu halten. "Geierperlhühner müssen als Gruppe zusammenarbeiten, da allein lebende Tiere durch ihr leuchtendes Gefieder leichte Ziele für Raubtiere wie Leoparden und Kampfadler sind", sagt Damien Farine, der leitende Autor der Studie vom Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie.

Zusammen gegen die Despoten

Den neuen Ergebnissen zufolge hängt die Entscheidung, wohin eine Gruppe als Nächstes zieht, von den letzten Aktionen der dominanten Gruppenmitglieder ab. Wenn sich die Gruppen in weitläufigen Bereichen mit für alle zugänglicher Nahrung aufhalten, sind alle Gruppenmitglieder an den Entscheidungen gleichermaßen beteiligt. Verjagen jedoch dominante Individuen andere Gruppenmitglieder von einem besonders reichhaltigen Nahrungsgebiet, tun sich die Ausgeschlossenen zusammen und drängen die Gruppe zum Aufbruch. Dies zwingt die Alphatiere schließlich, ihre reichen Nahrungsressourcen aufzugeben und der Gruppe zu folgen.

Dies deutet darauf hin, dass sich die demokratische Entscheidungsfindung im Gegensatz zur despotischen Führung entwickelt hat, damit alle Gruppenmitglieder Ressourcen wie Nahrung und Wasser erhalten. Wenn immer nur die dominanten Individuen entscheiden, würden nur diese selbst profitieren.

In ihrer im Fachjournal "Science Advances" veröffentlichten Studie haben die Forscher mehrere Jahre die Bewegungen verschiedener Gruppen von Geierperlhühnern zu Fuß, per Video und mit hochauflösenden GPS-Sensoren verfolgt. Zunächst zeichneten sie alle Streitigkeiten zwischen einzelnen Vögeln auf, um jedem Tier einen Rang in der Hierarchie zuzuweisen. Sie benutzten dafür ein im Schach, Fußball und Tischtennis übliches Verfahren, um die Ränge der Spieler danach zu bestimmen, gegen wen sie verloren und gegen wen sie gewonnen haben. Die Wissenschafter dokumentierten auch, welcher Vogel den Abflug von und zu neuen Futterstellen veranlasste, und in welcher Reihenfolge die restlichen Tiere der Gruppe folgten.

Auch Paviane beugen sich der Mehrheit

In einer Studie an Pavianen hatte Damien Farine zusammen mit Kollegen zuvor festgestellt, dass einzelne Tiere "mit den Füßen" abstimmen können und sich von der Gruppe entfernen, wenn sie eine andere Richtung einschlagen wollen. Die Untersuchung hatte zudem ergeben, dass der Rest der Gruppe in diese Richtung folgt, wenn sich eine Mehrheit der Gruppenmitglieder den Initiatoren anschließen.

Tiergruppen können also demokratisch darüber entscheiden, wohin sie sich bewegen, und so zusammenhalten, auch wenn der Zugang zu Ressourcen zwischen den Einzelnen sehr ungleich verteilt ist. Auch wenn die Alphatiere zu viel Macht erlangt haben, können die übrigen Individuen so die Kontrolle über Gruppenentscheidungen zurückerlangen. Sie können sogar ranghöhere Tiere dazu zwingen, einen Futterplatz zu verlassen, der für diese am besten geeignet ist.

"Dass Untergebene ihre Gruppe führen, nachdem sie den Zugang zu Ressourcen verloren hatten, ist natürlich sehr spannend. Wir sprechen dabei von einem 'Verlierer-Führungsmechanismus'", sagt Danai Papageorgiou, Doktorandin am Max-Planck-Institut und Leiterin der Studie. "Unsere Ergebnisse zeigen, wie Gruppen auf eine zunehmende soziale Ungleichheit reagieren können. Demokratische Entscheidungsfindung ist ausschlaggebend dafür, dass Gesellschaften, die nur als Gruppe überleben können, ein Machtgleichgewicht aufrecht erhalten können", fügt Papageorgiou hinzu. (red, 1.12.2020)