WKStA-Leiterin Ilse Vrabl-Sanda (rechts) wandte sich mehrfach an Justizministerin Alma Zadić (Grüne, links), um auf Druck durch ihre Vorgesetzten aufmerksam zu machen.

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Eigentlich sollten die Polizisten der Soko Tape, die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) sowie ihre Fachaufsicht von der Oberstaatsanwaltschaft (OStA) Wien gemeinsam einen der größten Korruptionsskandale aufarbeiten, nämlich die Casinos- und die Ibiza-Affäre. Doch interne Dokumente zeigen, dass ein beträchtlicher Teil der Zeit in einen Kleinkrieg zwischen den einzelnen Behörden investiert wird. "Aus Sicht der WKStA stellt es sich so dar, dass die OStA Wien (insbesondere unter Leitung von Mag. Fuchs) und Sektionschef Pilnacek gegen die WKStA anstatt mit der WKStA arbeiten", schreibt WKStA-Leiterin Ilse Vrabl-Sanda in einem Dokument.

Einer der Knackpunkte war das Vorgehen in der sogenannten ÖVP-Schredderaffäre. Die damals zuständige Staatsanwältin Christine Jilek sollte aufklären, warum ein Mitarbeiter von Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) unter falschem Namen und ohne zu bezahlen Festplatten schreddern ließ – mittlerweile wurden die Ermittlungen komplett eingestellt.

Davor gab es aber Streit über die Vorgehensweise. Der zuständige Polizist, der für die ÖVP politisch aktiv gewesen ist, soll trotz Aufforderung von Jilek Laptop und Smartphone des Kurz-Mitarbeiters nicht beschlagnahmt haben. Die Soko behauptete, Jilek habe das nie verlangt. Seit Dienstag, 1. Dezember, ist Jilek nun nicht mehr bei der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft aktiv.

Dienstrechtliche "Ausstellung" gegen WKStA-Personal

Sie hat zuvor maßgebliche Stränge der Ibiza- und Casinos-Affäre bearbeitet. Im September erhielten Jilek sowie Behördenleiterin Vrabl-Sanda in einem anderen Zusammenhang eine sogenannte "disziplinarrechtliche Ausstellung" durch die Oberstaatsanwaltschaft, also eine Art Rüge. Eine derartige Zurechtweisung landet im Personalakt, Rechtsmittel kann man dagegen aber nicht erheben. Wie DER STANDARD aus Ministeriumskreisen gehört hat, wurden diese beiden "disziplinarrechtlichen Ausstellungen" wieder zurückgenommen – und zwar auf Weisung des Justizministeriums. Von diesem war keine Stellungnahme zu erhalten. Dem Vernehmen nach will Jilek nun einen anderen Karrierepfad in der Justiz einschlagen, abseits des Strafrechts.

Schon die ersten U-Ausschuss-Befragungen von Justizpersonal im Sommer machten Gräben und seltsame Vorgänge dieser Art deutlich. Wenig später kündigte Justizministerin Alma Zadić (Grüne) an, die "Supersektion" für Fach- und Dienstaufsicht und Legistik aufzuteilen. De facto war dies eine Entmachtung des langjährigen und oft kritisierten Sektionschefs Christian Pilnacek, der seit September nur mehr legistische Belange betraut.

Unverändert ist allerdings die Stellung von Johann Fuchs, dem Leiter der Oberstaatsanwaltschaft Wien. Gegen ihn fährt die WKStA schwere Geschütze auf. Sie beschwert sich über seine "Unsachlichkeit und damit Befangenheit dringend indizierende Vorgangsweise", berichtet von "großem Druck auf die WKStA" und dem "Eindruck, dass geradezu nach 'Fehlern' gesucht oder darauf gewartet und mit zweierlei Maß gemessen" werde.

Merkwürdige Weisungen

Was stieß der WKStA so sauer auf? In einem zehnseitigen Dokument zählte Vrabl-Sanda einige Vorfälle auf. Schon von Beginn an war die Zusammenarbeit mit der polizeilichen Soko Tape von Misstrauen geprägt, weil die WKStA einen Einfluss des türkisen Innenministeriums auf die Ermittlungen befürchtete. Sinnbild dafür war die Beziehung jenes Ermittlers, der einst für die ÖVP kandidierte, zum Beschuldigten Heinz-Christian Strache. Der Polizist schrieb ihm nach dessen Rücktritt freundschaftliche SMS, Wochen später vernahm er ihn ein. Nach Medienberichten darüber wurde er abgezogen.

Die WKStA thematisierte diesen Vorgang bis hin zum damaligen Justizminister Clemens Jabloner: Es kam zu einer Dienstbesprechung samt "aufgebrachter verbaler Reaktion" von Sektionschef Pilnacek. Es folgte die erste der WKStA je bekannte Weisung vom Ministerium mittels Beamtendienstrechtsgesetz (BDG). Im Unterschied zu einer "normalen" Weisung schien diese nicht im Akt, sondern nur im sogenannten Tagebuch auf. Bis vor wenigen Monaten soll die WKStA nicht genau gewusst haben, welche Polizisten bei der Soko Tape im Einsatz sind. Das bestreitet wiederum die Soko.

Soko soll Vorgesetzten über WKStA Bericht erstatten

Ein weiteres Beispiel, das WKStA-Leiterin Vrabl-Sanda anführt, ist das berüchtigte Treffen zwischen Pilnacek und zwei Beschuldigten im Casinos-Verfahren, die ihm im Februar 2020 – so der Sektionschef damals – "ihr Leid klagen wollten". Die WKStA unterstellt Pilnacek irreführende Aussagen: Dieser meinte, er habe keine Informationen zu Details des Ermittlungsverfahrens; die WKStA spricht hingegen von "25 (!) Berichten", die ihm dazu vorgelegen seien. Außerdem hätten die Beschuldigten – der damalige Casinos-Aufsichtsratschef Walter Rothensteiner und sein Vize Josef Pröll – "keine Rechtsmittel eingebracht", sich aber bei Pilnacek über die WKStA beschwert. Pilnacek selbst sagt dazu, dass die fehlende Beschwere darauf zurückzuführen sei, dass er Pröll und Rothensteiner erklärt habe, das Vorgehen der WKStA sei rechtmäßig. "Die Unterstellung ich hätte Rothensteiner und Pröll Verfahrensdetails weitergegeben, weise ich auf das Schärfste zurück", so Pilnacek. Ebenso dementiert er, die WKStA je unsachgemäß beeinflusst zu haben.

Die Korruptionsjäger befürchten außerdem, dass die "Soko der OStA informell Bericht über die WKStA erstattet". Das heißt, dass Ermittler, die mit der WKStA zusammenarbeiten, regelmäßig mit deren Vorsitzenden sprechen sollen.

Aber auch die Gegenseite ist unzufrieden: Soko-Chef Andreas Holzer beschwerte sich, dass die WKStA "systematisch" Ermittler durchleuchte und somit Datenschutzverletzungen begehe. Im Frühsommer lieferte die Soko der WKStA das Ibiza-Video per USB-Stick. Damals ging ein Kuvert an Vrabl-Sanda. Sie wollte wissen, was der Inhalt sei. Holzer riet ihr, dass diese Frage "durch Öffnung und Besichtigung des Verschlusskuverts relativ rasch beantwortet" werden könne. Darauf hin beschwerte sich Vrabl-Sanda bei Holzers Vorgesetzten über dessen "als impertinent zu beurteilende Ausdrucksweise". Mittlerweile sei die Zusammenarbeit mit der WKStA "ausgezeichnet", sagt Holzer.

Tiefe Gräben in der Justiz

Schon Josef Moser (ÖVP), Vorvorgänger von Alma Zadić, musste sich mit den tiefen Rissen in der Justiz beschäftigen. Damals hatten offenbar Staatsanwälte der WKStA heimlich eine Dienstbesprechung zum Thema Eurofighter mit Pilnacek und Fuchs aufgenommen. Ein Protokoll davon gelangte an die Öffentlichkeit; Pilnacek und Fuchs überlegten spätnachts, wie man gegen die WKStA vorgehen könnte. Es hagelte gegenseitige Anzeigen; Ermittlungen wurden nicht aufgenommen. Eine Mediation sollte die Beziehung reparieren, das war offensichtlich nicht gelungen.

Oder, wie OStA-Leiter Fuchs im Juli 2020 per Whatsapp an Vrabl-Sanda schrieb: "Liebe Ilse Maria, nach Lektüre eures heute bei uns eingegangenen, kritischen Ibiza-Berichtes ist mir Dir gegenüber die Betonung wichtig, dass ich mich auch dadurch nicht von meinem bisherigen Stil und meiner Vorstellung einer korrekten Amtsführung abbringen lassen werde." Heute heißt es vonseiten der OStA, man wolle vergangene Ereignisse nicht mehr kommentieren. Es ginge um die Perspektive. Die Zusammenarbeit sei gut und "sachlich produktiv". (Renate Graber, Fabian Schmid, 1.12.2020)