Die Aktivitäten des Vulkans Pacaya wurden im vergangenen Sommer fotografisch festgehalten.

Foto: AFP / Johan Ordonez

Rund eineinhalb Stunden marschiert man durch Pinienwälder, über aschebedeckte Pfade einem Hochplateau entgegen. Kaum ein Kilometer Luftlinie trennt einen hier vom rauchenden Krater des Volcán Pacaya im Südwesten Guatemalas. Der Aufstieg darf nur mit Guide angetreten werden.

Neben seinen teils dramatisch aufragenden vulkanischen Brüdern im Umkreis wirkt der Pacaya mit seiner abgerundeten Kuppe plump. Dabei ist er höchst geschäftig, seine täglichen Ausbrüche werden von hunderten kleinen Explosionen begleitet. "Er sieht nicht wild aus", schmunzelt Guide Mateo. Genau diese Fehleinschätzung mache ihn aber brandgefährlich. Abenteuerlustige Besucher haben Ausflüge schon mit dem Leben bezahlt.

Verstärkte Aktivität

Gefahr und Nutzen der vulkanischen Aktivität liegen am Pacaya nahe aneinander. Die Hitze, die auch aus den Ritzen des erkalteten Lavafelds aufsteigt, wird nicht nur von Touristen zum Marshmallowrösten genutzt. Am Fuß des Vulkans erzeugt ein Kraftwerk aus der Wärme im Untergrund Strom, gleichzeitig bieten die fruchtbaren Hänge Ackerfläche für die meist arme Bevölkerung.

Der mehr als 2200 Hektar große Nationalpark Volcán de Pacaya verspricht Tourismus als verlässliche Einkommensquelle – so es der Vulkan zulässt. Seit Mitte November bleibt man ihm besser fern, denn seither hat er seine Aktivität verstärkt.

Um neue Messgrößen für die Gefahrenbewertung aktiver Vulkane zu gewinnen, ging eine Forschergruppe an den Hängen des Pacaya auf Probensuche. "Die mechanischen Eigenschaften des Gesteins um Vulkane sind relativ unerforscht und werden oft unterschätzt oder zu vereinfacht dargestellt", schrieb die Gruppe. Mal messerscharf und ineinander verkeilt, mal abgerundet und rutschig präsentiert sich, was der Vulkan an Material in seiner Umgebung verteilt.

Gesteinstypen

Die Forschenden analysierten dessen Beschaffenheit und maßen Reibungs- sowie Abriebverhalten verschiedener Gesteinstypen. Weiterführende Studien sollen anhand dieser Parameter die Auslöser für vulkanische Hangrutschungen identifizieren.

Für den Schutz der lokalen Bevölkerung spielen solche Modelle eine zentrale Rolle, da starke Eruptionen meist mit einer Reihe von Bedrohungen einhergehen. Bei heftigen Vulkanausbrüchen sind das austretende Gase wie Stickstoff und Schwefeldioxid oder abrutschende Hänge und Gerölllawinen.

Starke Ausbrüche kündigen sich oft über Tage und Wochen durch hunderte kleine Erdbeben innerhalb kürzester Zeit im Umkreis des Vulkans an. Erdbebenschwärme zeugen von verstärkten Dynamiken im Untergrund, die sich häufig zwischenfallsfrei beruhigen.

Ständige Bewegung ist auch ein Markenzeichen des Pacaya. Der derzeit 2552 Meter hohe McKenney-Cone-Krater wächst seit 1961 aus dem alten Cerro-Chico-Krater, der auf 2265 Höhenmetern lag. In den vergangenen zehn Jahren hob sich der Vulkan stellenweise mehrmals um bis zu 25 Zentimeter.

Erfasst werden solche Höhenverschiebungen mittels GPS, Radar oder Radarinterferometrie (InSAR), die millimetergenaue digitale Geländemodelle errechnet. Als Ursache gelten unterirdische Magmabewegungen, die vulkanische Strukturen bedeutend destabilisieren können.

Worst-Case-Szenario

Wiederholte Magmabewegungen setzen über lange Zeiträume Kräfte frei, die potenzielle Auslöser für Aus- und Einbrüche sind. Der Einbruch eines Vulkans gilt als Worst-Case-Szenario, das verheerende pyroklastischen Strömen auszulösen vermag. Auch der Pacaya hat in seiner Vergangenheit große sektorale Einbrüche erlebt.

Neben unmittelbaren Gefahren können Vulkanausbrüchen klimatische Veränderungen bedingen, die Monate und sogar Jahre nachwirken. "Sie können die Atmosphäre um bis zu zwei Grad kühlen, Missernten verursachen und ganze Länder ökonomisch destabilisieren", erklärt Gerhard Wotawa, Experte für Vulkanausbrüche und nukleare Unfälle an der Zentralanstalt für Geologie und Meteorologie (ZAMG), einer Forschungseinrichtung des Wissenschaftsministeriums. Manche Eruptionen schleudern Schwefelpartikel bis zu 30 Kilometer hoch, wo diese eine dünne Aerosolschicht bilden.

Virtueller Kontrollraum

"Um humanitäre Hilfe im Krisenfall zu koordinieren, müssen auch derart weitreichende Konsequenzen einkalkuliert werden", weiß Wotawa. Er hat maßgeblich am Aufbau des internationalen, virtuellen Kontrollraumes für Naturkatastrophen "Aristotle" mitgewirkt.

Dabei kooperieren 18 Forschungsinstitute. Im Katastrophenfall erhält das Europäische Krisenkoordinationszentrum (ERCC) innerhalb von drei Stunden eine erste wissenschaftliche Einschätzung der Lage und möglicher Entwicklungsszenarien.

In Guatemala beobachten staatliche Stellen den Pacaya mit Argusaugen, seit einigen Tagen überschlagen sich die Ereignisse. Eruptionen schleudern glühendes Gestein bis zu 300 Meter hoch und 100 Meter weit, mehr und mehr Lavaströme dringen aus Spalten im Kraterrand.

Seismische Daten lassen auf Magmabewegungen im Vulkan schließen, zudem zeigen Satellitenbilder starke thermische Anomalien. Rund 20.000 Menschen leben in einem Fünf-Kilometer-Radius um den Vulkan – und sind damit besonders bedroht. Die Koordinationsstelle für Katastrophenvorsorge (Conred) rät, das Gebiet zu verlassen, wenn man das eigene Leben in Gefahr sieht.

Evakuierungen nötig

Seit 1961 haben gut zehn Ausbrüche des Pacaya zu Evakuierungen geführt, zuletzt im Mai 2010. Hunderte Häuser wurden zerstört, unzählige Nutztiere getötet und in einigen Gemeinden die gesamte Ernte vernichtet. Dennoch wollte oder konnte es sich nicht jeder leisten, Sicherheit in der Ferne zu suchen.

In einer Umfrage gaben 41 Prozent der Ortsansässigen an, ihren Haushalt nicht evakuiert zu haben. Als entscheidend nannten Befragte ihre körperliche Verfassung, das (fehlende) Wissen um Notunterkünfte und die Chance, dorthin zu gelangen.

Viele Menschen blieben zuletzt, um den vom Himmel fallenden Schutt von Hausdächern zu schaufeln – damit diese nicht einstürzen. Allerdings kam es dabei zu einer Fehleinschätzung, weshalb lediglich Orte südlich des Kraters evakuiert wurden.

Um schneller reagieren zu können, wurde nun die mit Vulkanausbrüchen betraute Einheit der Conred eingeschaltet. Selbst empirische Modelle bleiben nur Schätzungen, wie der Pacaya lehrt. (Marlene Erhart, 5.12.2020)