Megan Thee Stallion bei der Arbeit. Sie gilt als Rapperin der Stunde – man darf gespannt sein, wie lange diese dauert.

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Anlässlich des Coverkunstwerks kommt einem der US-amerikanische Alltagspoet Al Bundy in den Unsinn. Als er als Hauptfigur der Sitcom Eine schrecklich nette Familie zu Hause Stunk wegen eines Besuchs in einer Nacktbar kriegt, rechtfertigt sich Bundy damit, dass die dort arbeitenden Damen ja gar nicht nackt seien. Ein mitangeklagter Freund blickt ihn unsicher an und fragt: "Du meinst – die Schuhe?"

Auf dem Cover ihres Debütalbums ist Megan Thee Stallion nach genau dieser Mode gekleidet: Sie trägt Schuhe, den Rest versteckt eine aufgeschlagene Zeitung. Auf dem Blatt steht der Albumtitel Good News, und dahinter versteckt sich mit feuerroten Haaren die Rapperin der Stunde.

Das Leben ist ein Projekt

Diese Zeitrechnung ist beinahe wörtlich zu nehmen, denn nur die Zuschreibung "Ikone" wird noch inflationärer verbraucht. Außerdem scharrt schon Rico Nasty in den Startlöchern, sie könnte die nächste Empfängerin dieses ephemeren Ehrenzeichens werden. Zurzeit aber trägt es, wenn schon sonst nicht viel, Megan Thee Stallion.

Die 25-jährige Rapperin aus Texas hat gerade einen Lauf. Zuletzt war sie wegen des gemeinsam mit Cardi B vollzogenen Hits WAP ("Wet Ass Pussy") in den Schlagzeilen aller anständigen und unanständigen Blätter. Sie ist eine jener Rapperinnen, die sich ausziehen, wenn sie sich umziehen, weil sie auf die Bühne ziehen. Zumindest weitgehend. Das signalisiert einen legeren Umgang mit der von der Natur zur Verfügung gestellten Behausung. Und was nicht passt, wird passend gemacht. Das Leben ist ein Projekt, lehrt die Universität Hornbach.

Keine Fesseln

Good News ist über weite Strecken eine Aneinanderreihung von Absichtserklärungen, was Megan mit ihrem Body zu tun gedenkt, wenn sie eines Buben ansichtig würde, der sich ihrer als würdig erwiese. Da akzeptiert ihre Fantasie keine Fesseln, bleibt aber in ihren Versprechungen letztlich konventionell. Ein Bube jedenfalls zählt sicher nicht zu den Auserwählten. Es ist der kanadische Rapper Tory Lanez.

US Trill Music

Der soll sie im Juli angeschossen und am Fuß verletzt haben. Die als Megan Jovon Ruth Pete in San Antonio geborene Rapperin musste operiert werden, soll aber verschwiegen haben, wer sie verletzt hat. Erst nachdem Lanez über den Zwischenfall wiederholt die Unwahrheit gesagt haben soll, ging sie zur Polizei und soll klargestellt haben, wie es tatsächlich gewesen sein soll. Eine Ansammlung an Konjunktiven, die ein Gericht auf den Boden der Tatsachen wird stellen müssen.

"Pussy Nigga!"

Megan macht auf Good News jedenfalls ihre Sicht der Dinge schon im ersten Titel klar. Shots Fired heißt der und lässt kein gutes Haar an Lanez. Sie nennt ihn einen "pussy nigga with a pussy gun", der nur deshalb davonkam, weil sie zuerst dichtgehalten habe.

Von sich leitet sie über zu der im Frühjahr von der Polizei erschossenen Breonna Taylor – was möglicherweise kein Vergleich ist, aber Hinkebemerkungen über jemanden mit einer Schusswunde im Fuß verbieten sich.

Allein die erschossene Krankenschwester zu erwähnen gilt schon als politisches Statement, mit dem sich Megan Thee Stallion ins Zentrum der momentanen gesellschaftlichen Diskussionen in den USA reklamiert. Aber gehört sie dort wirklich hin? Oder ist diese vermeintliche Politisierung bloß das Feigenblatt einer Musik, die sich wie das Protokoll einer Geberkonferenz der Großspender "Pussy" und "Dick" liest? Und das in einer Deutlichkeit, die dieser Kunst – sicher ist sicher – reflexartig die Zuschreibung Feminismus einbringt.

Megan Thee Stallion

Denn was kann es denn anderes sein, wenn eine Frau genauso derb über Sex fantasiert wie ein Macho-Rapper, dessen durchtrainierter Bauch mehr Windungen aufweist als sein Denkmuskel?

Verweise in die 1990er

Diese Diskussion hängt an dieser die Feuchtgebiete des Hip-Hop durchmessenden Musik wie ein aufgemascherltes Schoßhündchen mit Gucci-Leine. Derweil variiert die Qualität der Kunst dorthin, wo der Begriff "durchwachsen" schon fett und satt wartet.

Für den vieldiskutierten Revanche-Track Shots Fired verwendeten Megans Produzenten ein Sample aus dem Track Who Shot Ya des Notorious B.I.G., der bei einer Fehde zwischen Ost- und Westküsten-Rappern 1997 erschossen wurde.

Megan Thee Stallion

Es ist nicht der einzige Verweis auf die 1990er. Der Track Girls in the Hood bemüht John Singletons Coming-of-Age-Drama Boyz n the Hood von 1991. Diese Rückbesinnung auf die goldene Ära des Fachs beschert dem mit 17 Tracks über die Maßen ehrgeizig ausgefallenen Werk seine besseren Momente.

Gastauftritte und ein Schwarm Produzenten

Andernorts schaut Beyoncé aus der Nachbarschaft für einen Gastauftritt und eine Respektbezeugung vorbei, ein Schwarm an Produzenten sorgt für einen Mix, der vom Gangster-Rap bis zum Trap reicht.

Das mag auf Kosten der Kohärenz des Albums gehen, doch das ist bei dieser heiteren Beckenbodenübung eher egal. Und der gemeine One-Track-Hörer auf dem Smartphone wird diese gar nicht erst erahnen. (Karl Fluch, 2.12.2020)