Der ORF muss jungen Mitarbeitern Muskeln auftrainieren und "Digital Nerds" ansprechen, so der SPÖ-Stiftungsrat Heinz Lederer im Gastkommentar.

2021 wird ein neuer ORF-Chef gewählt. Über Alexander Wrabetz’ Strategiekonzept bis 2025 berät am Donnerstag der Stiftungsrat.
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Was braucht der ORF, um in Österreich als Marktführer in Zukunft bestehen zu können? Der ORF braucht Öffnung, Veränderung und Gebührenfinanzierung. Das "Sparen, sparen, sparen"-Mantra der Regierung führt zum sicheren Ende des unabhängigen Rundfunks. Wer die längst überfällige digitale Veränderung vernachlässigt, wird ganz schnell vom Marktführer zum kleinen Marktteilnehmer.

Die Frage, ob die Verschmelzung analoger und digitaler Medienkanäle sinnvoll ist, wurde bereits 2013 im Journalisten-Report IV von 85 Prozent der Medienmanager als essenzielles Thema für die Zukunft angesehen.

Geschehen ist bisher wenig! Aber worauf warten? Der ORF hat bereits jetzt genügend Tools für eine Neupositionierung. Klar ist: Digitalisierung, wirtschaftlicher und inhaltlicher Konkurrenzdruck und die technologische Konvergenz alter und neuer Kommunikationskanäle erfordern den größten Change-Prozess, den der ORF je gemacht hat. Der ORF muss alte Denkmuster durchbrechen und auf inhaltlicher, personeller und struktureller Ebene Veränderungen dynamisieren. Der Druck auf die gesetzliche Veränderung im digitalen Bereich – Stichwort ORF-Player, Cross-Promotion-Verbot oder "Digital first" – muss von allen Verantwortlichen im ORF gegenüber den Gesetzgebern verstärkt werden.

Muskeln auftrainieren

Gerade die personelle Öffnung muss rasch angegangen werden. Nicht falsch verstehen – es gibt viele kluge Köpfe, die seit Jahrzehnten maßgeblich am Erfolg des ORF beteiligt sind. Aber in den nächsten fünf Jahren wird sich ein Viertel dieser klugen Köpfe in die Pension verabschieden. Der ORF täte daher gut daran, den jetzt 30- bis 40-jährigen Mitarbeitern mehr Muskeln aufzutrainieren, und zwar technisch und inhaltlich gesehen. Gerade seit "Ibiza" hat der ORF eine junge Generation an Top-Journalisten aufgebaut und eine Brücke zwischen arrivierten Journalisten und jungen Redakteuren geschlagen.

Aber Journalisten müssen immer mehr zu Allround-Talenten mit kommunikativen und technischen Fertigkeiten werden. Gerade in Krisenzeiten geht es darum, Informationen so schnell wie möglich über diverse Kanäle zu vermitteln. Dieses "Speed kills" erfordert bei ORF-Mitarbeitern aber auch ein hohes Maß an öffentlich-rechtlichem Verständnis, damit der ORF seinem Auftrag gerecht und nicht zum Vermittler von Fake-News wird. Die Terrornacht vom 2. November hat uns gezeigt, dass Videos mit verstörenden Inhalten ganz schnell dort landen, wo sie es nicht sollten.

Ideen von außen

Dieser personelle Change-Prozess muss aber auch Platz für digitale Newcomer aus anderen Medienbereichen machen, ganz nach dem Motto "To learn with the best". Das bedeutet eine bessere Vernetzung mit Fachhochschulen und Universitäten. "Wer die besten Leute haben möchte, muss auch an den besten Stellen nach ihnen suchen", so hat Netflix-Gründer Reed Hastings diesen Prozess beschrieben. Menschen von außen kommen mit Ideen von außen.

Aktuell kann sich der ORF auf allen Kanälen über einen Quotenzuwachs freuen, und zwar über alle Alters- und Bildungsgruppen hinweg. 87 Prozent der Bevölkerung erreicht der ORF täglich. Das gilt es zu halten und auszubauen. Was an der Berichterstattung zu Corona und an Formaten wie Vienna Blood und 9 Plätze – 9 Schätze zeigt: Der regionale Content wird immer wichtiger und es braucht frische Formate, die nicht nur die Generation 50+, sondern auch die jungen "Digital Nerds" auf die Customer-Journey mitnehmen.

USP Österreich

Medienmacher Gerhard Zeiler hat treffend formuliert: "Der USP des ORF ist Österreich." Der ORF wird praktisch als Brückenbauer zwischen der Tour de France und dem Kitz-Race fungieren. Dazwischen passt auch noch die Salzkammergut Trophy. Der ORF hat von ORF 1, ORF 2, ORF 3 über FM4, Ö3 bis zu Ö1 jetzt schon viele Möglichkeiten, die verschiedensten Infos zielgerecht an analoge und digitale Consumer zu verbreiten. Der Gesetzgeber muss ihm aber rasch mehr rechtlichen Freiraum geben.

Gerade die jüngsten Angriffe des britischen Premiers Boris Johnson auf Inhalt, Personal und Finanzierung der BBC dürfen in Österreich nicht fortgesetzt werden. Die Stabsstelle des Medienkanzlers darf nicht die inhaltliche Richtschnur öffentlich-rechtlichen Rundfunks sein. Personellen Umbauwünschen aus dem Umfeld des Medienkanzlers muss die Geschäftsführung des ORF massiv entgegentreten. Das duale Finanzierungsmodell ist hierzu ein Garant.

Falsches Silodenken

Organisatorische Veränderungen bedingen eine transparente Finanzierung. In den nächsten fünf Jahren wird der neue ORF-Campus dazu beitragen, Kosten zu sparen und Arbeitsabläufe zu erleichtern. Was durch organisatorische Effizienz gespart wird, darf aber nicht am Konto liegen bleiben, sondern muss sofort wieder in personelle und technische Weiterentwicklung investiert werden. Wie eingangs erwähnt: Stillstand bedeutet nichts Gutes. Die durch den Campus mögliche inhaltliche Vernetzung ist gut. Ein Silodenken im ORF darf nicht Platz greifen. Neben dem zentralen Campus wird der zentrale Newsdesk diese gemeinsame Sichtweise aller Bereiche sicher befruchten.

Die Zukunft des ORF liegt in drei Eckpunkten: inhaltliche, programmliche Leadership, personelle Leadership und wirtschaftliche Leadership. Die wichtigste Basis dieses Dreiecks muss aber die Kontinuität sein. Das sind nicht nur die Parameter für eine Strategie ORF 2025, sondern auch die Anforderungen an einen neuen Generaldirektor. (Heinz Lederer, 2.12.2020)