Kabarettartiges, pointierte Vermittlung und Bühnenwitz sind üblicherweise nicht die gängigen Zuschreibungen für Wissenschafterinnen und Wissenschafter – genau diese sind jedoch gefragt bei einem "Science Slam", einem innovativen Format der Wissenschaftskommunikation. Wissenschafterinnen und Wissenschafter präsentieren auf der Bühne in nur wenigen Minuten ihre Forschung so unterhaltsam und verständlich wie nur möglich, ohne klassische Präsentationsregeln und -tools. Dafür mit viel Kreativität, Witz und ungewöhnlichen Hilfsmitteln, einer plüschigen Kleiderlaus zum Beispiel.

Die Textilarchäologin Karina Grömer und die Biologin Andrea Krapf qualifizierten sich bei der Länder-Vorausscheidung des Science Slam im November 2019 dazu, das Bundesland Wien bei der Österreichischen Staatsmeisterschaft zu vertreten. Die Teilnahme von Wissenschafterinnen aus dem Naturhistorischen Museum Wien an diesem Event bot nun die Möglichkeit, die spannende und qualitativ hochwertige Forschung abseits klassischer Vorträge und Fachartikel, zu präsentieren.

Am 27. November fand im Rahmen der European Researchers‘ Night die Staatsmeisterschaft im Science Slam in der Aula der Wissenschaften statt – zum ersten Mal online als Livestream. Die Veranstaltung fand im Auftrag des Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung und unter organisatorischer Leitung der ARGE Wissenschaftskommunikation statt.

ScienceSlamAustria

Grömer erzählt: "Es hat viel Spaß gemacht, die Gegenstände für die Performance vorzubereiten, zu überlegen was man alles verwenden kann und wann – weil man eben nicht auf eine Powerpoint zurückgreifen kann, wie das für uns Forschende üblich ist. Schwierig ist es auch, die Zeit einzuhalten – sechs Minuten sind verdammt kurz!".

Als Models für die Performance wurden auch zwei Jugendliche von der HTL Spengergasse herangezogen, die sich bereits beim FFG Talentepraktikum in den Sommerferien bewährt hatten, wo sie Kleidung aus der Urgeschichte mit unterhaltsamen Filmen visualisiert hatten. Die 16-jährige Sophie Klein meint dazu: "Es war aufregend, bei so etwas dabei zu sein. Das Stachelscheibengewand ist wirklich gefährlich – ich hab‘ mir die Arme zerkratzt mit den Nadeln. Es ist das perfekte Gewand für Social Distancing, da knuddelt dich keiner!". Auch Gerald Grömer sagt: "Mein Bronzezeitgewand hat wirklich gekratzt und ich habe gern wieder meine Hose angezogen. Ich war froh, dass es ein Livestream und kein Publikum da war, da waren wir nicht so nervös."

Die textilarchäologischen Requisiten für den Science Slam,
bereit für ihren Auftritt.
Foto: Karina Grömer

Der Forschung Leben einhauchen

An der Prähistorischen Abteilung des Naturhistorischen Museums Wien wird unter anderem an Kleidung und Textilien aus längst vergangenen Zeiten geforscht. Aus Textilien hergestellte Kleidungsstücke sind ein wichtiger Teil unseres Lebens – nicht nur heute, sondern bereits seit tausenden von Jahren. Wie Grömer erklärt: "Kleidung wird schon seit mindestens 3.500 Jahren gezielt für nonverbale Kommunikation eingesetzt, als Mittel für Repräsentation und Status, aber auch um Zugehörigkeiten sichtbar zu machen, zu einer Gruppe, zu einem Berufsstand, auch zu einem bestimmten Geschlecht oder zu einer Altersgruppe. Die Menschen haben sich quer durch die Geschichte durch ihre Kleidung miteinander identifiziert oder voneinander abgegrenzt. Das Thema Kleidung und Identität ist also eines, das uns nicht nur heute stark begleitet und durch den Blick in historische Tiefen kann man so Manches verständlich machen".

Wissenschaftskommunikation als Performance

Verschiedenen Formen der Wissenschaftskommunikation sind am Naturhistorischen Museum Wien gelebte Praxis. Im Bereich Archäologie werden die Forschungsaktivitäten für die breite Öffentlichkeit mit Ausstellungen, Vorträgen, Pressearbeit (Radio-, Fernseh- und Zeitungsinterviews, Mitarbeit an Fernsehdokumentationen, Blogs, Podcasts, Youtube-Videos, Instagramauftritten et cetera) aufbereitet. Forschungsinhalte werden auch mittels Events (zum Beispiel Archäologie am Berg, Lange Nacht der Museen, Historische Modeschauen, NHM on Tour), sowie im Rahmen von "Young Science Botschafter"-Aktivitäten und Praktika für interessierte Schüler vermittelt. Bei den verschiedenen Aktivitäten wird auf verständliche Vermittlung von Forschungsinhalten, Inklusion und partizipative Elemente großer Wert gelegt. Nach diesen Prinzipien ist im NHM Wien nun auch ein als Kommunikationsplattform der Wissenschaft konzipierter Vermittlungsraum auf dem neuesten Stand der Technik, das "Deck 50" entstanden.

Am Science Slam wurde bei der Performance von Grömer und Krapf zu "Distancing in der Bronzezeit & hallstattzeitliches It-Girl mit Soundeffekt" nicht nur vorgestellt, wie archäologische Textilforschung funktioniert. Auch wenn mit dem Bekenntnis seitens der Textilarchäologin "Ja, ich spinne!" ein denkwürdiger Einstieg geschaffen war, der von einer plüschigen Kleiderlaus, deren reale Artgenossen die Identifikation eines Textils als Kleidungsstück erlauben, fortgeführt wurde. Es wurden vor allem rekonstruierte Schmuckstücke und Gewänder aus der Zeit zwischen 1.500 und 500 v. Chr. in Szene gesetzt. Die nach Originalfunden gestalteten Outfits regen dabei durchaus zu Fragen an, die auch heute bewegen, wie etwa ob nun Schmuckstücke aus der Bronzezeit in Zusammenhang mit Social Distancing gesehen werden können, oder wie eine reiche Dame mit gezielter Geräuschentwicklung auf sich aufmerksam machte.

Social Distancing in der Bronzezeit mit Stachelscheiben.
Foto: martin lusser
Die Kleidung des bronzezeitlichen Mannes, rekonstruiert nach
3.500 Jahre alten Vorbildern.
Foto: martin lusser

Harte Konkurrenz aus unterschiedlichsten Disziplinen

Die Konkurrenz beim Österreichfinale des Science Slam 2020 war hart, das Team des NHM musste gegen die Sieger der Vorausscheidungen in Linz, Graz, Innsbruck und Salzburg antreten, die vielfältige Themen zu bieten hatten, "Mein Tattoo weiß, wann ich sauer bin" von Katrin Unger, Materialphysik, Technische Uni Graz; "Anleitung zum perfekten Sehnenriss" von Herbert Tempfer, Zellbiologie, Medizinische Uni Salzburg; "Gallium Nitrid: der Klugscheißer unter den Halbleitern" von Andrea Navarro Quezada und Anna Spindlberger, Festkörperphysik, Uni Linz; "Die Post-Schnitzel-Ära" von Claudia Paganini, Christliche Philosophie, Universität Innsbruck.

Umso mehr freute sich das Team um Grömer über den Sieg, der mittels Online-Voting erzielt wurde. Ganz eindeutig zeigt sich jedenfalls, wie effizient man mit Witz, Charme und vor allem persönlicher Begeisterung die Menschen erreichen und die eigene Forschung präsentieren kann. Auch für Wissenschafterinnen und Wissenschafter eine willkommene Abwechslung im Forschungsalltag. (Fiona Poppenwimmer, Karina Grömer, Andrea Krapf, 3.12.2020 )