Oben: Natürlich gewachsene Arabidopsis-Keimlinge. Unten: Die Wirkung von Ibuprofen auf das Wachstum der Wurzeln ist nicht zu übersehen

Fotos: Shutang Tan / IST Austria

Klosterneuburg/Wien – Schmerzmittel, die den natürlichen Wirkstoff Acetylsalicylsäure enthalten, sind im Medikamentenschränkchen praktisch jedes Haushalts zu finden und werden häufig gegen Kopfschmerzen oder bei Erkältungssymptomen eingenommen. Bei Haustieren wie Hund und Katze können diese Substanzen dagegen schon in sehr geringen Dosen tödlich wirken, wie man aus der tiermedizinischen Praxis weiß. Aber was passiert, wenn man Pflanzen mit Schmerzmitteln wie Aspirin oder Ibuprofen behandelt?

Wissenschafter des Institute of Science and Technology (IST) Austria sind dieser Frage nachgegangen. Es ging den Forscher allerdings nicht etwa um die Befriedigung einer kuriosen Neugier, sondern vielmehr um neue Erkenntnisse über das Pflanzenwachstum – immerhin handelt es sich bei Salicylsäure um ein Pflanzenhormon, das in zahlreichen Arten vorkommt.

Unerwartete Ergebnisse

Bei ihren Experimenten entdeckten die Forscher unerwartete Auswirkungen von rund 20 verschiedenen Medikamenten. Sie störten alle den Transport des Wachstumshormons Auxin in den Pflanzen, die sich dadurch nicht richtig entwickeln konnten, berichten die Wissenschafter im Fachjournal "Cell Reports".

Pflanzenzellen schütten Methylsalicylsäure aus, wenn Krankheitserreger eindringen. Dieses Alarmsignal wird dann in Salicylsäure umgewandelt und löst eine Reaktion des Immunsystems aus. Das Pflanzenhormon Salicylsäure ist aber nicht nur ein Stresssignal der Pflanze, sondern auch an der Regulierung des Wachstums und der Entwicklung beteiligt.

Ibuprofen für die Ackerschmalwand

Schon in prähistorischer Zeit haben Menschen erkannt, dass sie mithilfe von Weidenrindentee und anderen Weidenrinden-Präparaten Fieber senken und Schmerzen lindern können. Verantwortlich dafür ist der darin enthaltene Wirkstoff Salizylsäure. Dieser konnte Mitte des 19. Jahrhunderts erstmals synthetisch hergestellt werden und Ende des 19. Jahrhunderts dann als Heilmittel vertrieben, etwa unter dem Markennamen "Aspirin".

Als Shutang Tan, damals Doktorand bei Jirí Friml am IST Austria in Klosterneuburg (NÖ), auf die Idee kam, die Wirkung von Schmerzmittel auf Pflanzen zu untersuchen, "hatte ich wirklich starke Zahnschmerzen und ich hatte Ibuprofen zu Hause", erklärte er. Er verwendete einfach die Tabletten aus der Apotheke und beobachtete die Wirkung des Ibuprofens auf Keimlinge der Ackerschmalwand (Arabidopsis).

Es zeigte sich, dass die Hauptwurzeln der so behandelten Pflanzen deutlich kürzer als jene der unbehandelten Kontrollgruppe waren, und sich zusammenrollten, statt nach unten zu wachsen. Sie konnten offensichtlich nicht mehr auf die Schwerkraft reagieren. Außerdem entwickelten die Keimlinge weniger oder gar keine Seitenwurzeln.

Gestörter Auxinfluss

Mit Kollegen untersuchte Shutang Tan daraufhin die Auswirkungen von rund 20 verschiedenen Schmerzmitteln auf Arabidopsis-Keimlinge und stellte fest, dass alle den Auxinfluss in den Pflanzen stören. Das Wachstumshormon Auxin ist von der Wurzel- bis zur Sprossspitze für die Entwicklung der Pflanzen verantwortlich, es koordiniert aber auch ihre Wachstumsänderungen bei Umweltreizen wie Licht und Schwerkraft.

Die Schmerzmittel dürften für den Transport von Auxin von einer Zelle zur nächsten verantwortliche Proteine (PIN) beeinflussen, sodass der Auxintransport gestört wird und sich die Pflanze nicht richtig entwickeln kann. Zudem stellten die Forscher fest, dass die Medikamente in das gesamte Endomembransystem – das sind die von Membranen umschlossenen Räume in Zellen – eingreifen und so die Bewegung und den Transport von Substanzen innerhalb der Zellen stören.

Die Wirkstoffe in Schmerzmitteln wie Aspirin oder Ibuprofen gehören zu den sogenannten nicht-steroidalen Entzündungshemmern. Diese wirken ähnlich wie sogenannte Auxin-Transport-Inhibitoren. Das sind wichtige chemische Werkzeuge in der Zellbiologie, die den Auxinfluss stören. "Es wäre sehr interessant zu erfahren, ob diese Auxin-Transport-Inhibitoren auch als Schmerzmittel bei Tieren eingesetzt werden könnten", so Tan, der mittlerweile sein eigenes Labor an der University of Science and Technology of China aufbaut. Er untersucht gemeinsam mit Friml, auf welche weiteren Proteine die Schmerzmittel abzielen. (red, APA, 3.12.2020)