Im letzten Blogbeitrag war von Baltasar Garzón die Rede, dem spanischen Untersuchungsrichter, der gegen lateinamerikanische Diktatoren, gegen Berlusconi und die Täter des Franco-Regimes ermittelt hatte. Sehen wir uns in Österreich um, dann stoßen wir auf gar nicht wenige Juristinnen und Juristen, die oft im Alleingang aus gewohnten Bahnen ausbrechen und zur Rechtsentwicklung beitragen oder juristische Durchbrüche bewirken.

Schiff versenkt!

Etwas länger zurück liegt das sogenannte Lucona-Verfahren. Ende der 1980er-Jahre erhob die Staatsanwaltschaft Wien Anklage gegen Udo Proksch, Liebling der Wiener Szene und eng verbunden mit roten Regierungskreisen. Die Anklage warf ihm mehrfachen Mord vor – Proksch sollte einen Versicherungsbetrug begangen haben, indem er ein hoch versichertes Schiff, die Lucona, vorsätzlich zum Untergang gebracht hätte. Freilich lag zu Beginn der Hauptverhandlung nur eine Indizienkette vor, denn das Schiff war bis dahin weder gesucht noch gefunden worden. Der Richter der Hauptverhandlung, Hans-Christian Leiningen-Westerburg, holte nach, was die Staatsanwaltschaft verabsäumt hatte: Er beauftragte die US-Firma Oceaneering mit der Suche nach dem Schiff, fuhr selbst am Suchschiff mit und tatsächlich – nach einigen Wochen fand man die Lucona am Boden des Indischen Ozeans, die Sprengung des Schiffes war bewiesen. Damit war der Prozessausgang vorgegeben, Proksch wurde wegen Mordes verurteilt.

Einsprachig zu schnell gefahren

Von der Justiz zur Anwaltschaft: Seit 1955 sollten in Kärntens zweisprachigen Gemeinden slowenisch-deutsche Ortstafeln stehen, Österreich kam dieser Verpflichtung lange nicht nach. Vor rund 20 Jahren erhielt der Kärntner Rechtsanwalt Rudi Vouk, Angehöriger der slowenischen Volksgruppe, ein Strafmandat wegen Schnellverfahrens im Ortsgebiet einer zweisprachigen Gemeinde. Das brachte ihn auf eine Idee: Er bekämpfte das Strafmandat mit dem Argument, die einsprachige Ortstafel sei eine nicht gehörig kundgemachte Verordnung, das Ortsgebiet hätte zweisprachig ausgeschildert sein müssen, um eine Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h festzulegen. Er sei, so argumentierte Vouk, 60 km/h gefahren, wo er von Rechts wegen 100 km/h hätte fahren dürfen. Nach vielen Jahren landete der Fall beim Verfassungsgerichtshof, der entschied: Die Ortstafel hat zweisprachig zu sein – was die Republik Österreich noch immer nicht zur Umsetzung der Verpflichtung aus dem Staatsvertrag veranlasste.

Gegen die Datenkraken

Eine wahre David-Goliath-Geschichte sind die Verfahren, die der österreichische Jurist Max Schrems in den letzten zehn Jahren gegen den Facebook-Konzern angestrengt hat. 2015 hob der Europäische Gerichtshof über Betreiben von Schrems das Abkommen zum Datentransfer aus der EU in die USA auf (Safe-Harbor-Abkommen); im Sommer 2020 kippte der Europäische Gerichtshof die EU-US-Datenschutzvereinbarung "Privacy Shield". Diese Verfahren haben ganz maßgeblich zur Sensibilisierung für die von Facebook praktizierte Weitergabe und Verwertung privater Daten beigetragen und sie etwas eingedämmt.

Max Schrems kämpft seit zehn Jahren gegen Facebook und dessen Daten-Policy.
Foto: EPA/JULIEN WARNAND

Die Reihe ließe sich fortsetzen; beharrliche und kreative Anwendung des Rechts bewirkt oft über das Einzelverfahren hinausgehende gesellschaftliche Fortschritte und Korrekturen. So wie der Weg zur Gleichheit nicht nur über Gesetze, sondern auch viele Klagen, Verfahren und Urteile führt, so wird etwa die Klimakrise neue Wege erfordern, innerhalb und außerhalb des Rechts. Und Persönlichkeiten mit Kreativität und Mut. (Oliver Scheiber, 16.12.2020)