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Mäuse, die blind waren, erhielten dank Zellreprogrammierung das Sehvermögen zurück. Diese Methode könnte eine neue Ära der regenerativen Medizin einläuten.

dpa / picturedesk.com / Bodo Marks

Es klingt auf den ersten Blick wie eine der vielen Erfolgsmeldungen aus der Medizin des frühen 20. Jahrhunderts. So hatte beispielsweise der Wiener Physiologe Eugen Steinach in den 1920er-Jahren behauptet, alte Mäuse, aber auch alte Menschen durch bestimmte hormonelle Veränderungen verjüngen zu können. Steinach wurde damit zwar zum Pionier der Hormonforschung. Die angepriesenen Verjüngungseffekte waren dann aber doch eher nur eingebildet.

Nun aber hat eine Verjüngungskur tatsächlich wundersame Wirkung gezeigt und bei alten erblindeten Mäusen zur Wiederherstellung der Sehfähigkeit geführt. In diesem Fall ist wirklich etwas dran. Denn zum Einsatz kamen neueste Methoden der Reprogrammierung von "alten" Zellen. Diese Eingriffe in die sogenannte Epigenetik der Mäusezellen könnten aber auch für den Menschen genützt werden – und womöglich zur Verjüngung alter Gehirne zum Einsatz kommen.

Konzept der "epigenetischen Uhr"

Die spektakulären Experimente eines internationalen Forscherteams um David Sinclair (Harvard Medical School) basieren auf der Idee der sogenannten epigenetischen Uhr. Dieses Konzept geht davon aus, dass man das biologische Alter eines Organismus anhand bestimmter epigenetischer Muster auf der DNA wie den sogenannten Methylierungen bestimmen kann.

Diese Muster regeln ähnlich wie ein Mischpult die Aktivität der Gene, die verstärkt oder abgeschwächt werden. Diese Methylierungen und damit auch die Zellfunktionen verändern sich im Laufe des Lebens, da gewisse Gene nur in bestimmten Lebensabschnitten gebraucht werden. Manche Funktionen gehen beispielsweise im Alter verloren, obwohl die eigentliche Information weiterhin in den Genen verankert ist.

Genau da setzen nun die Experimente von Sinclair und Kollegen an, konkret: bei den Sehnerven älterer Mäuse. Diese Sehnervenzellen sind mittels sogenannter Axone, also schlauchartiger Nervenfortsätze, mit dem Gehirn verbunden. Können sich diese Axone im jugendlichen Alter bei früher Schädigung regenerieren, so ist das aufgrund der epigenetischen Uhr im späteren Erwachsenenleben unmöglich.

Reprogrammierung der Zellen

Doch nun gelang es dem Team um David Sinclair, diese epigenetische Uhr zurückzudrehen, wie die Forscher im Fachblatt "Nature" berichten, das die Studie auch zur Titelgeschichte machte. Durch eine spezielle Umprogrammierung der Zellen mithilfe von drei Transkriptions- oder Yamanaka-Faktoren – also Proteinen, die Gene ein- und ausschalten können – wurden die epigenetischen Muster so verändert, dass sie jenen junger Mäuse glichen.

Die neue Studie schaffe es auch auf das Cover der aktuellen Ausgabe von "Nature".

Dadurch erlangten die reprogrammierten Zellen augenscheinlich ihre ursprüngliche Fähigkeit zurück, sich nach einer Verletzung regenerieren zu können – im Fall der Experimente nach einer Augenerkrankung oder einer mechanischen Verletzung. Labormäuse mit einem altersbedingten grünen Star (Glaukom) reagierten nach der Behandlung wieder auf optische Reize und konnten sich immerhin anhand von Mustern in einem Raum orientieren, woraus die Wissenschafter auf ein wiedergekehrtes Sehvermögen schließen.

Neue Ära der Medizin?

Damit liefert die Studie zwei einigermaßen bahnbrechende Ergebnisse: Zum einen zeigt sie einen möglichen therapeutischen Ansatz, um altersbedingt schwach gewordene Sehnerven zu regenerieren, was bei Menschen helfen könnte, die unter altersbedingter Blindheit leiden. Zum anderen könnte die Studie aber auch eine neue Ära der Medizin einleiten, wie Andrew Huberman (Stanford) in einem Kommentar in "Nature" schreibt: Sie liefert nämlich auch ganz konkrete Ansätze, wie sich gealterte und geschädigte Gehirne womöglich therapieren lassen könnten.

Unabhängige Experten bestätigen die hohe Qualität der Studie. Sie geben aber auch zu bedenken, dass es bis zur Anwendung beim Menschen noch ein weiter Weg sei. So ist unklar, ob die Methode bei allen Geweben – zumal den menschlichen – funktioniere, wie Peter Tessarz (MPI für Biologie des Alterns) zu bedenken gibt. Und der Biochemiker und Epigenetikexperte Holger Bierhoff verweist darauf, dass solche Reprogrammierungen genau dosiert erfolgen müssten, da sie sonst zu Krebserkrankungen führen könnten, für die es im Alter ein besonders hohes Risiko gibt. (Klaus Taschwer, 3.12.2020)