Im Gastkommentar fordert der Präsident des Roten Kreuzes, Gerald Schöpfer, Kommunikation auf Augenhöhe, mehr Eigenverantwortung und neue Instrumente wie eine Plattform zur Kontaktnachverfolgung.

Ich fange mit der guten Nachricht an: wir haben bald zahlreiche neue Instrumente in der Hand, mit denen wir der Pandemie Schritt für Schritt Herr werden können. Die wichtigsten Instrumente sind neue, einfach zu handhabende und dennoch verlässliche Schnelltests und die langersehnte Impfung. Die schlechte Nachricht? Es wird für die Pandemiebekämpfung entscheidend sein, diese neuen Instrumente stimmig in das Konzert der bisherigen Maßnahmen einzuordnen. Das ist herausfordernd. Aber schaffbar. Und zwar dann, wenn die Politik der Gesellschaft – uns Menschen in diesem Land – die Instrumente in die Hand gibt, die wir benötigen. Dazu braucht es Kommunikation auf Augenhöhe, die jeder nachvollziehen kann, dafür braucht es gegenseitiges Vertrauen. Wir sind ein eigenverantwortliches Leben gewohnt und Eigenverantwortung kann auch der Schlüssel in der Pandemiebekämpfung nach dem zweiten Lockdown sein. Von der Politik wünsche ich mir diesen Paradigmenwechsel.

Hier ein paar Beispiele, wie das in der Praxis funktionieren kann:

Testen Bei Verfügbarkeit von sicheren und einfach zu handhabenden Tests, soll jeder in Österreich lebende Mensch die Möglichkeit bekommen, sich einmal pro Woche selbst zu testen. Ist der Test negativ, sollte das Ansporn sein, alle Hygienemaßnahmen einzuhalten, damit das Ergebnis nächste Woche wieder negativ ist. Ist der Test positiv, gibt es ganz klare Handlungsanweisungen: isolieren und schnellstmöglich einen behördlichen, diagnostischen Test veranlassen.

Kontakte nachverfolgen Gleich nach einem positiven Schnelltest werden – eigenverantwortlich – alle Kontakte der letzten 48 Stunden verständigt. Dafür sollte es zwei Plattformen geben. Eine davon existiert bereits: die Stopp-Corona-App. Mit ihrer Hilfe können alle nicht bekannten Kontakte verständigt werden (sofern sie ebenfalls die App nutzen). Die zweite Plattform müsste erst geschaffen werden: und zwar eine Web-Plattform, zu der es einen personalisierten Zugang gibt und in die Kontakte eingetragen, kategorisiert und bestätigt werden können. Die Gesundheitsbehörden brauchen Zugriff auf diese Plattform und können so rasch wie möglich Befunde und Absonderungsbescheide zustellen und Cluster ermitteln. Diese beiden Plattformen sollen 1450 und das behördliche Contact-Tracing ergänzen und entlasten, keinesfalls ersetzen.

Selbstschutz Mittlerweile ist gesichert, dass FFP2-Masken gut vor Infektionen schützen. Daher sollten alle Angehörige von Risikogruppen kostenlos FFP2-Masken erhalten. Gleichzeitig werden für gesellschaftlich so wichtige Bereiche wie Schulen praktikable Schutzkonzepte entwickelt und umgesetzt, um Schüler und Lehrer zu schützen und trotzdem Unterricht in Präsenz abhalten zu können.

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Die Menschen sollten von der Sinnhaftigkeit einer Impfung überzeugt werden.
Foto: Reuters / Dado Ruvic

Impfen Die Behörden arbeiten bereits auf Hochtouren an Konzepten und insbesondere an der Priorisierung von Zielgruppen. Die Menschen sollten von der Sinnhaftigkeit einer Impfung überzeugt werden. Das ist aber nur möglich, wenn es eine Aufklärungskampagne gibt, bei der offen und evidenzbasiert über die Vor- und Nachteile der Impfung diskutiert werden kann. Die Entscheidung für oder gegen eine Impfung bleibt jedem selbst überlassen. Fällt sie zugunsten einer Impfung aus, sollten alle eigenverantwortlich zu einem reibungslosen Ablauf beitragen können. Zum Beispiel durch ein zentrales Anmelde- und Dokumentationssystem, das transparent alle Optionen zeigt und das den Behörden den notwendigen Überblick schafft. Um rasch so viele Menschen, die geimpft werden wollen, zu impfen, werden viele Ressourcen notwendig sein: niedergelassene Ärzte, Schulärzte, Betriebsärzte, öffentliche Impfstellen, mobile Teams und andere. Auch ihnen steht das zentrale Dokumentationssystem zur Verfügung.

Wie in allen anderen Bereichen unseres Lebens hat die Eigenverantwortung auch bei der Corona-Bekämpfung ihre Grenzen – zum Beispiel das Epidemiegesetz, das Verwaltungsrecht, das Strafrecht. In anderen Lebensbereichen fahren wir sehr gut mit den Möglichkeiten und Grenzen der Eigenverantwortung und staatlicher Kontrolle. Warum sollte das in der Pandemiebekämpfung nicht funktionieren? Es braucht "nur" einen Paradigmenwechsel. Und zwar jetzt. (Gerald Schöpfer, 2.12.2020)