Janet Yellen: Finanzministerin. Anthony Blinken: oberster US-Diplomat. Avril Haines: Geheimdienstdirektorin. John Kerry: Klimabeauftragter des Präsidenten. Und, und, und. Auf Joe Bidens Regierungsliste gerät niemand aus Zufall oder aufgrund von Gefälligkeiten: Jede und jeder ist für den Job hoch-, wenn nicht sogar höchstqualifiziert.

Dennoch vernimmt der President-elect für seine Personalpolitik kritische Stimmen aus dem eigenen Lager: Er hole bloß Barack Obamas Gefolgsleute aus dem Ausgedinge zurück, er berücksichtige nicht den linken Flügel der Partei, er ignoriere die Jungen. Dabei seien es gerade sie – von Bernie Sanders bis Alexandria Ocasio-Cortez – gewesen, die Bidens Sieg erst möglich gemacht hätten. Das müsse gewürdigt werden, es müsse ein Signal geben, dass die demokratische Partei mehr sei als eine Fata Morgana vergangener, vermeintlich besserer Zeiten.

Joe Biden vernimmt für seine Personalpolitik kritische Stimmen aus dem eigenen Lager.
Foto: AFP/CHANDAN KHANNA

Stimmt alles. Mehr frischer Wind wäre wünschenswert. Und dennoch: Joe Biden weiß genau, was er da tut. Schon in seiner ersten Ansprache nach der Wahl sagte er: Er wolle ein Präsident aller Amerikanerinnen und Amerikaner sein – also auch jener 74 Millionen, die für den republikanischen Amtsträger Donald Trump gestimmt hatten. Ihnen muss er entgegenkommen, sollen das nicht leere Worte gewesen sein. Ihnen muss er klarmachen, dass auch er ein großartiges Amerika will – und nicht nur Trump. Bloß ein bisschen anders.

Mit der Nominierung von Personen, deren Qualifikation unbestritten ist, und zwar auf beiden Seiten des momentan sehr tiefen politischen Grabens, betreibt Biden besonnene Realpolitik. Was hätte er davon, jetzt alles anders zu machen und ein demonstrativ progressives Regierungsteam aufzustellen, das bei den Hearings im wohl auch künftig republikanisch dominierten Senat scheitert? Eben. Also lieber gleich ein Angebot machen, zu dem der Gegner nur schwer Nein sagen, mit dem er vielleicht sogar halbwegs gut leben kann. Schließlich kann Biden nicht am Senat vorbeiregieren.

Das wissen Bidens Gegner. Sie treiben den Preis hoch und lassen ihre Muskeln spielen, etwa indem sie sich auf Neera Tanden einschießen: Die nominierte Chefin der Budget- und Verwaltungsbehörde ist die Republikaner via Twitter wiederholt hart angegangen. Die konservativen Senatoren um Hardliner Mitch McConnell sind vorerst Bidens größtes Problem. Ihnen gilt daher die primäre Aufmerksamkeit eines Präsidenten, der schon als Senator und als Vizepräsident bewiesen hat, dass man mit Pragmatismus Erfolg haben kann. (Gianluca Wallisch, 3.12.2020)