Premier Zdravko Krivokapić muss eine diverse Regierung zusammenhalten.

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In der hübschen cremefarbenen orthodoxen Schule unweit des Klosters in der alten Residenzstadt Cetinje, dem alten urbanen Zentrum im kleinen Montenegro, ist vor dem Stiegenaufgang an der Wand auch das Foto des neuen Premiers des Landes mit 620.000 Einwohnern zu sehen. Zdravko Krivokapić unterrichtete bisher hier Informatik für die angehenden Priester, die aus einem Klassenzimmer zu hören sind, wie sie schöne alte orthodoxe Gesänge rezitieren. Und auch der neue Verteidigungsminister geht in der orthodoxen Schule ein und aus.

Der Rektor des Seminars, der freundliche und gebildete Gojko Perović, stellt gleich klar, dass die orthodoxe Kirche selbst weder im Parlament noch in der Regierung etwas verloren hätte. "Wir sind für den säkularen Staat", sagt er dem STANDARD. Er räumt aber ein, dass die neue Regierung "aus der Bewegung für die Rebellion gegen das Religionsgesetz heraus geboren wurde". Sicher ist, dass die serbisch-orthodoxe Kirche in Montenegro noch nie einen derart guten Zugang zur Macht hatte wie ab dieser Woche. Am Mittwoch wurde das neue Kabinett, das sich nach den Wahlen im August formiert hat, im Parlament vorgestellt.

Unklar ist, ob die Belgrader Politik nun stärker in den Nachbarstaat hineinwirken wird oder nur die Kirche. Die Politikanalystin Daliborka Uljarević vom Zentrum für bürgernahe Bildung sieht keine Anzeichen dafür, dass der serbische Präsident Aleksandar Vučić großen Einfluss nehmen kann. Offensichtlich ist aber die stärkere Präsenz der Nationalisten – die USA forderten, dass wenigstens ihre radikalsten Vertreter keine wichtigen Positionen in Podgorica einnehmen sollen. Bezeichnend ist aber, dass erstmals Minderheitenvertreter – Albaner, Bosniaken, Roma und Kroaten – nicht an der Regierung beteiligt sein wollen.

Koalitionskitt: Außenfeind

Auch inhaltlich wird es ein schwieriges Experiment. Die bürgerorientierte grün angehauchte Partei Ura und das moderat proeuropäische Wahlbündnis "Der Frieden ist unsere Nation" sind mit vier und zehn Parlamentariern neben der zentralen nationalkonservativen Partei "Für die Zukunft von Montenegro" von Krivokapić mit 27 Abgeordneten vergleichsweise klein und machtlos, obwohl Ura-Chef Dritan Abazović Vizepremier wurde.

Die Dreiparteienkoalition wird eigentlich nur durch den Außenfeind zusammengehalten: Milo Đjukanović, dessen Partei DPS seit dem Beginn der Demokratie vor 29 Jahren ununterbrochen an der Macht war und der zurzeit wieder einmal das Amt des Staatspräsidenten innehat. Đjukanović sah bisher relativ entspannt dabei zu, wie Krivokapić sich dabei abmühte, Minister zu ernennen. Wegen der Macht- und Grabenkämpfe entschied Krivokapić sich für ein Expertenkabinett, welches ohne Unterstützung der Parteien aber leicht zerfallen kann, wie Uljarević meint.

Sie verweist zudem darauf, dass viele der neuen Minister wenig Erfahrung haben. Einige sind umstritten. Die Ministerin für Wissenschaft und Kultur, Vesna Bratić, gilt als Vertreterin des serbischen Nationalismus, und Justizminister Vladimir Leposavić war Teil jenes Teams, das das Religionsgesetz bekämpfte. Andererseits gibt der Minister für wirtschaftliche Entwicklung, Jakov Milatović, der in Oxford studierte und für die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) gearbeitet hat, Anlass zur Hoffnung.

Bisher verlief der Machtwechsel nicht friktionslos. So sollen in den letzten Wochen viele Akten in den Ministerien geschreddert worden sein, und der serbische Botschafter wurde noch vom alten Regime schnell des Landes verwiesen, bevor die neue proserbische Regierung an die Macht kommt. Dringend notwendig wären Reformen wie die Unabhängigkeit von Institutionen wie der Antikorruptionsbehörde oder des öffentlichen Rundfunks. Die Justiz müsste aus dem Einflussbereich der Politik geholt werden. Doch dafür bräuchte man eine Zweidrittelmehrheit. Einer der ersten Schritte der Regierung wird wohl eher die Änderung des Religionsgesetzes sein. (Adelheid Wölfl aus Podgorica, 2.12.2020)