Besonders die Arktis erlebte heuer ungewöhnliche Hitzeperioden.
Grafik: Copernicus Climate Change Service, ECMWF

Genf – Noch ist das Jahr nicht ganz vorüber, aber eines zeichnet sich jetzt schon mehr als deutlich ab: 2020 dürfte nach vorläufigen Analysen der Weltwetterorganisation (WMO) eines der drei heißesten Jahre seit Beginn der Temperaturaufzeichnungen Mitte des 19. Jahrhunderts werden. Was die Durchschnittstemperaturen in Europa in den ersten zehn Monaten betrifft, führte dieses Jahr sogar die Statistiken an. Und noch ein Rekord lässt sich aus dem vorläufigen Klimareport 2020 der WMO herauslesen: Die Jahre seit inklusive 2015 sind die sechs wärmsten seit Messbeginn. Die Plätze eins und zwei nehmen dabei 2016 und 2019 ein.

Um den durchschnittlichen Temperaturanstieg für ihren Bericht zu ermitteln, greifen die WMO-Experten auf Daten aus fünf verschiedenen globalen Datensätzen zu und vergleichen sie mit Temperaturaufzeichnungen aus den Jahren 1850 bis 1900. Diese Basiszahl ist jene, die in diesem Zusammenhang stets als "vorindustrielles Temperaturniveau" bezeichnet wird.

Video: Der vorläufige Klimareport der WMO in einer kurzen Zusammenfassung.
World Meteorological Organization - WMO

Rekorde trotz La Niña

Auf Grundlage der Messungen von Jänner bis Oktober dürfte die globale Durchschnittstemperatur 2020 laut WMO 1,11 bis 1,23 Grad Celsius über dem Basiswert des 19. Jahrhunderts liegen. Geht es nur nach den Temperaturen bis einschließlich Oktober, weisen alle fünf Datensätze 2020 sogar als das zweitwärmste Jahr nach 2016 aus, basierend auf Vergleichen mit ähnlichen Zeiträumen in früheren Jahren.

Die Wissenschafter gehen jedoch davon aus, dass die Temperaturen von November und Dezember ausreichend abkühlen, um 2020 auf den dritten Platz zurück rutschen zu lassen. Besonders brisant werden diese Zahlen, wenn man bedenkt, dass das alle paar Jahre im Pazifik auftretende Wetterphänomen La Niña im September in Erscheinung trat, was eigentlich mit Temperaturabkühlungen einhergeht.

Die Fieberkurve der Welt weist in allen fünf verwendeten Datensätzen steil nach oben.
Grafik: WMO

Besonders drastisch waren die Messergebnisse nördlich des Polarkreises in Sibirien: Die Temperatur lag dort von Jänner bis Oktober mehr als fünf Grad Celsius über dem Durchschnitt von 1981 bis 2010. Am 17. Juni registrierte man in der sibirischen Teilrepublik Jakutien, genauer in der Kleinstadt Werchojansk, einen Spitzenwert von 38 Grad Celsius. Noch dramatischer klingt das in Anbetracht der Tatsache, dass der Ort mit einer Tiefsttemperatur von −67,8 Grad Celsius als Kältepol aller bewohnten Gebiete der Erde gilt.

Kühler in Kanada, Brasilien, Nordindien und Südostaustralien

Außer in Europa war es nach Angaben der WMO auch im Südwesten der USA, im Westen Südamerikas und in Teilen Zentralamerikas sehr warm. Niedrigere Temperaturen als im Durchschnitt erlebten dagegen Kanada, Teile Brasiliens, Nordindien und Südostaustralien. "Rekordwarme Jahre fielen bisher normalerweise mit einem starken El-Niño-Ereignis zusammen, wie dies 2016 der Fall war", sagte Petteri Taalas, Generalsekretär der WMO. "Wir erleben jetzt jedoch eine La Niña, die die globalen Temperaturen kühlt, was aber nicht ausreicht, um die diesjährige Hitze zu reduzieren."

Nach den Prognosen der Wissenschafter bestünde laut Taalas sogar eine 20-prozentige Chance, dass die weltweiten Durchschnittstemperatur bereits im Jahr 2024 zeitweise um 1,5 Grad Celsius über dem vorindustriellen Wert liegen. Das ist jener Temperaturzuwachs, den die UN-Klimakonferenz in Paris 2015 als Untergrenze definiert hat.

Marine Hitzewellen nehmen zu

Der Großteil der überschüssigen Wärme wird von den Ozeanen aufgenommen, was deren Bewohner fraglos zusätzlich belastet: In diesem Jahr waren rund 80 Prozent der weltweiten Meere mindestens einer Hitzewelle ausgesetzt. Diese Ereignisse gleichen Hitzewellen in der Atmosphäre und führen regional zu längeren Temperaturanstiegen mit entsprechend verheerenden Auswirkungen auf Meerestiere und Ökosysteme. So hat etwa in den Jahren 2013 bis 2015 eine als "The Blob" bekannte langanhaltende Hitzewelle vor der kalifornischen Küste bis zu eine Million Seevögel das Leben gekostet.

Marine Hitzewellen im Jahr 2020.
Grafik: Robert Schlegel, IMEV

Meeresspiegel leicht gesunken

Forscher konnten zeigen, dass derartige Ereignisse in den letzten 40 Jahren mehr als 20-mal häufiger geworden sind. "Ungefähr 90 Prozent der Wärme, die sich durch den anthropogenen Klimawandel im Klimasystem ansammelt, wird im Ozean gespeichert", sagte John Church von der Universität von New South Wales in Sydney, Australien. "Das neueste Update der WMO zeigt deutlich, dass sich die Ozeane weiter erwärmen, was mit zunehmender Geschwindigkeit zu ihrem Anstieg beiträgt."

Der mittlere globale Meeresspiegel erhöhte sich seit Beginn der Messungen 1993 um durchschnittlich 3,3 Millimeter im Jahr, so die WMO – doch das ist nur Statistik. In der Realität hat sich der Anstieg seit den 1960er-Jahren beschleunigt. 2018 lag er im globalen Durchschnitt schon bei 3,7 Millimeter. Dass es heuer ausnahmsweise zu einem leichten Rückgang gekommen ist, dürfte – wie schon 2011 – auf La Niña zurückzuführen sein, am langfristigen Trend ändert das freilich nichts. Während der La-Niña-Monate fällt mehr Regen in tropischen Flussgebieten als über dem Meer, was den mittleren Meeresspiegel global vorübergehend senkt. Nachdem das Wasser ja nicht einfach verschwindet, wird es sich über die Flüsse bald schon einen Weg zurück in die Ozean gebahnt haben. La Niña dürfte noch bis Frühjahr 2021 zu spüren sein, meint die WMO. Am stärksten stieg der Meeresspiegel seit 1993 auf der Südhalbkugel jeweils östlich von Madagaskar, von Neuseeland und von Südamerika.

Drastische Veränderungen in der Arktis

Neben der Wärmeausdehnung des Meerwassers trägt hauptsächlich schmelzendes Eis rund um den Nord- und Südpol zum Anstieg des Meeresspiegels bei. Die Insel Grönland verlor nach den Angaben von September 2019 bis August 2020 etwa 152 Gigatonnen Eis. Das war weniger als 2019, als 329 Gigatonnen schmolzen. "Die Arktis erlebt mit dem globalen Temperaturanstieg drastische Veränderungen. Seit Mitte der 80er-Jahre steigen die Temperaturen dort mindestens doppelt so schnell wie im globalen Mittel", warnt die WMO.

Der Eisverlust in der Arktis (links) und Antarktis (rechts) zwischen 1980 und 2020.
Grafik: WMO

Im September schrumpfte in der Arktis die Meereisausdehnung auf den Tiefstwert von 3,74 Millionen Quadratkilometern, was die zweitkleinste (nach 2012) Sommerfläche war, die je gemessen wurde. Im Juli und im Oktober war die Ausdehnung des Meereises sogar kleiner als je zuvor in diesen beiden Monaten. Das Schmelzen der schwimmenden arktischen Eismassen trägt zwar nicht unmittelbar zum Anstieg des Meeresspiegels bei. Indirekt verstärkt ihr saisonales Verschwinden aber sehr wohl die Erwärmung, weil die dabei frei werdende wachsende Meeresfläche deutlich weniger Licht und Wärme zurück ins All reflektiert.

Auch Hurrikan-Saison verzeichnet Rekord

Die Hurrikan-Saison im Nordatlantik verzeichnete in diesem Jahr mit 30 mit Namen versehenen Wirbelstürmen so viele starke Stürme wie nie zuvor. Sie ging theoretisch am 30. November zu Ende. Teile Afrikas und Asiens erlebten starken Regen und Überschwemmungen, darunter die Sahel-Region, das Horn von Afrika, der Indische Subkontinent sowie China, die Koreanische Halbinsel, Japan und Teile Südostasiens. Dagegen erlebten in Südamerika etwa Nordargentinien, Paraguay und Westbrasilien schwere Dürren.

30 namentlich bekannte Wirbelstürme traten heuer im Atlantik in Erscheinung, sechs davon waren besonders stark.
Fotos: NOAA

Bedrohung für Weltnaturerbe

Wie die Weltnaturschutzunion (IUCN) am Mittwoch berichtete, hat sich der Klimawandel mittlerweile zur größten Gefahr für die Weltnaturerbestätten weltweit entwickelt. Die globale Erwärmung ist bei einem Drittel der Gebiete eine "hohe oder sehr hohe Bedrohung", 2014 war das erst bei einem Viertel der Fall.

Als Weltnaturerbe zeichnet die UN-Kulturorganisation Unesco Regionen mit einzigartiger und erhaltenswürdiger Natur aus. Die IUCN hat den Zustand des Weltnaturerbes nun nach 2014 und 2017 zum dritten Mal geprüft. Der Klimawandel beeinträchtige jetzt 83 der heute 252 Stätten. Vor drei Jahren waren es 62, vor sechs Jahren 35. Es gibt viele Bedrohungen neben dem Klimawandel, darunter Tourismus, Abholzung oder Straßenbau. Die IUCN beurteilt zudem die Überlebenschancen aller Stätten nach vier Kategorien: "gut", "gut mit Bedenken", "erhebliche Bedenken" und "kritisch".

Great Barrier Reef in kritischem Zustand

Alarm schlagen die Wissenschafter beim größten Korallenriff der Welt, dem Great Barrier Reef vor der Ostküste Australiens. Es befindet sich bei den Überlebensaussichten neu in der höchsten Kategorie "kritisch". Die Erwärmung und Versauerung des Meeres führt dort zum Absterben der Korallen. Ebenso neu gelistet sind dort die zu Mexiko gehörenden Inseln im Golf von Kalifornien. Schon vor drei Jahren waren in dieser Kategorie auch der Everglades-Nationalpark in Florida, der Nationalpark am Turkana-See in Kenia und der tropische Regenwald auf Sumatra in Indonesien.

Der Zustand des Great Barrier Reef im Jahr 2020.
Grafik: ARC Centre for Excellence in Coral Reef Studies

Eine Erfolgsgeschichte ist dagegen der Comoe-Nationalpark in der Elfenbeinküste. Mit einem besseren Management und internationaler Hilfe hat sich die Lage dort seit 2014 kontinuierlich verbessert. Der Nationalpark ist jetzt bei den Zukunftsaussichten aufgerückt in die Kategorie "gut mit Bedenken". Verbessert haben sich auch der Landschaftspark Wulingyuan in China und der Giant's Causeway ("Damm des Riesen"), ein fünf Kilometer langer Damm in Nordirland, wo tausende Basaltsäulen aus dem Wasser ragen.

Negative Corona-Folgen

Die Folgen der Corona-Pandemie machen sich auch beim Weltnaturerbe bemerkbar. Das Ausbleiben der Touristen hat zwar einigen Orten gutgetan, aber insgesamt überwiegen die negativen Auswirkungen, wie die IUCN schreibt. Ohne Touristen bleibe etwa das Geld für Ranger in Nationalparks aus und illegale Aktivitäten blühten auf. (tberg, red, 2.12.2020)