Gesichter "korrekter" erkennen: Die Doku "Coded Bias" beschäftigt sich mit den rassistischen Implikationen von Gesichtserkenungssoftware.

Foto: This Human World

Die Pandemie hat nicht nur unsere Lebenswirklichkeit im Griff, sie drängt auch Menschen ins mediale Abseits, die mit ganz anderen humanitären Bedrohungen, ja Gewalt zurande kommen müssen. Schon deshalb war es eine richtige Entscheidung, das Wiener Menschenrechtsfilmfestival This Human World nicht abzusagen, sondern ins Netz zu verlagern. Rund ein Drittel des Programms, 86 Filme, wird per Video on Demand bis 12. Dezember abrufbar sein. Für ein bisschen Festivalstimmung sorgen aufgezeichnete Gespräche mit Filmschaffenden und Livediskussionen.

Produktionen auf Menschenrechtsfilmschauen haben gerne eine stark aktivistische Agenda, das bedeutet aber nicht, dass ästhetische Raffinesse fehlt. Ein gutes Beispiel dafür ist schon der Eröffnungsfilm The Earth Is Blue as an Orange von Iryna Tsilyk, der den Krieg im Donbass durch einen weiblichen Familienverbund filtert. Der Titel entstammt einem Gedicht des Surrealisten Paul Éluard, auch im Film geraten Wirklichkeitsfragmente in Widerstreit: In das Treiben im Haus, wo über Männer gelästert wird und noch im Schutzkeller der Humor nicht ausgeht, bricht wiederholt das Außen gewaltvoll ein.

Albatros Communicos

Tsilyk, die auf dem Sundance-Festival ausgezeichnet wurde, gelingt zugleich eine Auseinandersetzung mit dem Bildermachen selbst. Ihre Protagonistinnen filmen ihren Alltag im Ausnahmezustand, sogar Szenen mit Soldaten werden regelrecht inszeniert. Die Kamera wird so zum Instrument, die Realität ein Stück weit zu überschreiben.

Aufzeichnungen sind auch in Sunless Shadows zentral, wenn sich Frauen per Videobotschaft an ihre Nächsten (und an ihre Opfer) richten. Die meisten von ihnen haben ein männliches Familienmitglied ermordet und büßen nun ihre Strafe in einem iranischen Gefängnis ab. Mehrdad Oskouei porträtiert sie in seinem erstaunlichen Film nicht als stigmatisierte Täterinnen, sondern holt ihre Vorgeschichten ein: Frauen, die von Vätern und Ehemännern so lange drangsaliert wurden, bis sie zum äußersten Mittel griffen.

IDFA

Die Themen der Festivalfilme sind immer wieder überraschungsreich. Coded Bias beschäftigt sich etwa damit, wie man den Sinn für Diversität von Gesichtserkennungssoftware verbessert. In Mia Donovans Dope Is Death lernt man dagegen eine neue Facette der Black Panthers kennen. In den 1970ern waren sie Pioniere der Bekämpfung von Drogensucht – und zwar durch Akupunktur. (Dominik Kamalzadeh, 3.12.2020)