Stets glamourös gekleidet und gut gelaunt? "Im Endeffekt sitzen auch wir Schauspieler fad und stinkend im Jogginganzug vor dem Fernseher", bekennt Michael Niavarani.

Karl Schöndorfer/TOPPRESS

Seine beiden Spielstätten – das Globe im Wiener Stadtteil St. Marx und das legendäre Simpl im ersten Bezirk, das er vor eineinhalb Jahren übernommen hat – sind Corona-bedingt weiter geschlossen. Aus der Not hat Michael Niavarani aber rasch eine Tugend gemacht und im Sommer das Festival Theater im Park im Belvederegarten aus der Taufe gehoben. Dort bekam er im Sommer auch den Publikumspreis des Nestroy verliehen. Das zum Anlass nehmend, opferte der Kabarett-Generalunternehmer ein paar Tage Lockdown-Zeit und schrieb ein Buch mit CD über seine Beziehung zu Johann Nepomuk Nestroy. Es ist eine Liebesgeschichte.

STANDARD: Wie manövrieren Sie als Kabarett-Großunternehmer bisher durch die Krise?

Niavarani: Man ist natürlich besorgt wegen der Angestellten, wegen der Menschen, die gern ins Theater gehen, und wegen der finanziellen Situation. Andererseits bin ich aber auch sehr hoffnungsfroh, weil es mittlerweile finanzielle Unterstützung seitens der Stadt Wien und vom Bund gab. Damit sind wir zwar noch nicht über den Berg, aber es ist ein Rettungsfloß, auf dem die ganze Branche jetzt sitzt.

STANDARD: Wird Sie das Theater im Park finanziell herausreißen können?

Niavarani: Es ist definitiv ein Lichtblick. Wir wollen es ja im kommenden Sommer schon mit Beginn im Mai wiederholen. Damit ein Privattheater wie das Simpl wieder gewinnbringend betrieben werden kann, brauchen wir aber 360 Leute pro Vorstellung. Durchstarten können wir also erst dann wieder, wenn Theatermachen nicht mehr als gesundheitsschädlich gilt. Wobei man dazusagen muss, dass es schon vor Corona viel gesundheitsschädliches Theater gegeben hat.

STANDARD: Verspürt man in der Pandemie als Satiriker eine Art Verpflichtung, die Leute gerade jetzt zum Lachen bringen zu müssen?

Niavarani: Man sagt so landläufig: Wenn die Zeiten schlecht sind, ist es gut fürs Kabarett. Ich halte das für einen kompletten Blödsinn. Die Zeiten sind dann gut fürs Kabarett, wenn es viele Satiriker und gute Autoren gibt, die arbeiten können, denen lustige und g'scheite Sachen einfallen. Nur weil gerade Scheiße auf der Welt vorgeht, heißt das nicht, dass daraus gute Satire entsteht. Was man nicht darf, ist, sich zurückzuziehen.

STANDARD: Gab es bei Ihnen keinen Rückzug?

Niavarani: Doch. Das ist ein menschlicher Reflex. Man stellt sich vielleicht das Leben eines Schauspielers nur glamourös vor, aber im Endeffekt sitzen wir auch fad und stinkend im Jogginganzug vorm Fernseher. Auch bei mir gab es das drei Wochen lang im März, wo ich wie gelähmt war vor Schreck. Aber dann ist die Kreativität eigentlich fast mehr angesprungen als früher.

STANDARD: Daraus ist jetzt ein Buch mit CD über Johann Nestroy entstanden. Eine willkommene Ablenkung vom Thema Nummer eins?

Niavarani: Ja. Ich habe den Nestroy-Publikumspreis bekommen, und meine Mutter hat gesagt, ich soll jetzt endlich einmal etwas arbeiten im Leben und Nestroy spielen. Jetzt sind aber die Theater zu, also ist die CD-Idee entstanden. Und dann hat man mir gesagt: Mach doch ein Buch, das verkauft sich besser! Darin präsentiere ich jetzt also ganz stolz meine große Liebe fürs Leben, Johann Nepomuk Nestroy.

STANDARD: Was haben Sie denn von Nestroy für Ihre Satire und fürs Leben gelernt?

Niavarani: Man kann von ihm den Umgang mit Sprache und Wortwitz lernen oder dass eine Figur zwar blöd sein, aber das, was sie sagt, trotzdem g'scheit sein kann. Und man kann lernen, dass man das Leben zynisch betrachten muss, aber dabei positiv bleiben soll. Einer der positivsten Sätze, die er für mich geschrieben hat, ist: "Wenn alle Stricke reißen, dann häng’ i mi auf."

STANDARD: Weil auch der eigene Strick reißt.

Niavarani: Ja, man überlebt.

STANDARD: Wenn man im Leben alles zynisch betrachtet, verstellt das nicht den Blick auf zivilisatorischen Fortschritt?

Niavarani: Nein. Denn wenn man nichts ernst nimmt, dann beinhaltet das auch, dass man die herrschenden Umstände ablehnt. Dem Zyniker ist klar, dass es nicht gehen wird, den Hunger in der Welt einfach abzuschaffen, er nimmt das aber nicht einfach zur Kenntnis, sondern fordert es trotzdem.

STANDARD: Der Zyniker steht aber auch jeder Problemlösung skeptisch gegenüber.

Niavarani: Ja, aber wir Zyniker haben den Luxus, dass wir das Problem nicht selbst lösen müssen. Wir haben die Vision und können alles natürlich tausendmal besser als die Regierung. Aber wir müssen es nicht selbst machen. Weil es hat uns ja keiner gewählt.

STANDARD: Was viele nicht wissen, ist, dass Nestroy viele seiner Stücke kopiert und zum Beispiel aus dem Französischen ins Wienerische transferiert hat. Sie haben ja großen Erfolg in den letzten Jahren mit Shakespeare-Übertragungen ins Dialektale. War da Nestroy ein Vorbild?

Niavarani: Auch Shakespeare selbst hat kopiert. Das war damals üblich. Das Theater war ein Ort der Massenproduktion, der Unterhaltung, es war kommerziell, ohne Absicht, große Kunst zu machen. Nestroy hat in einem Jahr sechs Stücke geschrieben und ist fast jeden Tag selbst auf der Bühne gestanden, hat 600 Rollen einstudiert. Nestroy und Shakespeare haben ihre Vorlagen zerlegt, neu zusammengebaut und sie verbessert, spannender, komischer und interessanter gemacht.

STANDARD: Wäre Nestroy heute Netflix-Autor?

Niavarani: Ja, vielleicht würde er heute eine Serie nach der anderen schreiben.

STANDARD: Nestroy musste zeitlebens mit staatlicher Zensur umgehen, im Buch kommen Sie diesbezüglich auch auf das Heute zu sprechen. Welche Zensur ist heute am Werk?

Niavarani: Wir haben keine Zensur. Wir haben Presse- und Meinungsfreiheit. Was es aber gibt, ist, dass jede Regierung, jede Partei will, dass über sie positiv berichtet wird. Da greift man dann intern auf Message-Control zurück, wie Sebastian Kurz das macht. Und medial versucht man, durch Inserate die Gunst zu erkaufen. Wenn ich als Niavarani dem STANDARD 20 Millionen spende, na ja, werde ich schon eine gute Kritik bekommen.

STANDARD: Keine Chance.

Niavarani: Genau das wollte ich hören!

STANDARD: Nestroy hat vor 1848 gegen die Zustände angeschrieben, er war dann aber kein Revolutionär, sondern blieb kaisertreu. Lag das an seiner Menschenskepsis?

Niavarani: Kaisertreu war eigentlich die ganze Revolution. Nur eine kleine Splittergruppe wollte die Demokratie bzw. Republik. Man wollte den Kaiser vor der verhassten Regierung unter Staatskanzler Metternich retten. Es ging gegen den Polizeistaat, aber nie gegen das Haus Habsburg. Es ist so typisch österreichisch: Der Kaiser ist eh liab, aber der Staatsapparat böse. Deswegen ist die Revolution auch gescheitert. Sie war zu wenig radikal. Mit dem Neoabsolutismus unter Kaiser Franz Joseph kam die Zensur zurück. Da war man in England und Frankreich mit der Demokratieentwicklung schon weiter.

STANDARD: Was würde Nestroy angesichts von Corona-Leugnern, Impfskeptikern und Virologenregimes heute schreiben?

Niavarani: Ich bin unlängst an einer Demonstration gegen die Anti-Corona-Maßnahmen vorbeigegangen. Habe also gesehen, wie erwachsene Menschen laut schreien, dass sie nicht geimpft werden wollen und keine Maske tragen wollen. Sie sind also dagegen, dass wir aufpassen, dass nicht noch mehr Menschen sterben. Sie glauben tatsächlich, dass Social Distancing und Maskentragen die Demokratie abschaffen. Dass aber gerade Trump und Orbán das tun, das glauben sie nicht. Ich glaube, Nestroy hätte sich da zurückgelehnt und gesagt: "Meiner Seel', für die ernsthafte Zeit gibt's nu immer vü g'spaßige Leut'!" (Stefan Weiss, 5.12.2020)