Der Jahresrückblick der Autorin sagt leider nur, dass sie tatsächlich angehört hat, was sie rezensieren musste.

Alle Jahre wieder beglückt der Musikstreaming-Anbieter Spotify seine Schäfchen mit einer fesch aufgemachten Statistik über ihre jeweiligen Hörgewohnheiten. Der große Jahresrückblick stellt für jeden User zusammen, welche Musik er sich 2020 um die Ohren geschlagen hat. Man erfährt also, welche Artists und Songs man am häufigsten gehört, welchen Podcasts und Playlists man gelauscht und welche Genres man entdeckt hat.

Was Spotify damit freilich wirklich tut, ist, seinen Usern eine schöne vorweihnachtliche Gelegenheit zu bieten, mal wieder richtig anzugeben. Denn die Statistik ist so dermaßen shareable aufbereitet, dass kaum einer sich erwehren kann, sie schnurstracks in den sozialen Medien zu teilen.

Es geht also weniger darum, dass man sich selbst an den Daten zum eigenen Musikkonsum erfreut, sondern dass gefälligst alle wissen, mit welch edlen Klängen man sich die Gehörgänge poliert hat.

Abartiger Hang zur Nostalgie

Da nutzt also ein Konzern, um sich in die Timelines zu bringen, eine Art Kulturtechnik, die zuletzt in den 90ern cool war, nämlich Popmusik als Distinktionsgewinn zu begreifen und betreiben. Dass alles in der Popkultur aufgewärmt wird, hat ja bereits der Musikkritiker Simon Reynolds 2011 in seinem zum Standardwerk gewordenen Ziegel Retromania: Pop Culture’s Addiction to Its Own Past argumentiert, in dem er der Popmusik einen abartigen Hang zur Nostalgie bescheinigt.

Und wenn wir jetzt wieder zur Spotify-Statistik blicken, scheint die Nostalgie im Age of Corona noch einmal deutlich an Fahrt gewonnen zu haben.

Der Streamingservice versorgt seine Userlein nämlich nicht nur mit persönlichen Jahresrückblicken, sondern will natürlich auch wissen, welche Trends sich aus dem gesamten Userverhalten ablesen lassen – freilich, um sie zu monetarisieren.

Papa Roach als letzter Ausweg fürs Haupthaar

Ganz witzig sind diese Daten aber schon, besonders jene, die sich auf den österreichischen Markt beziehen. Zahlreiche Playlists wurden hierzulande als Hintergrundmusik fürs Haarefärben und -schneiden angelegt. Dass gerade Last Resort von Papa Roach häufig in ihnen vorkommt, zeigt nicht nur, wie verzweifelt die Leute ohne Friseurzugang sind, sondern lässt auch vermuten, wie diese DIY-Frisuren ausgeschaut haben.

Frisurentechnisch vielleicht nicht das beste Vorbild.
PapaRoachVEVO

Auch zu Themen wie Garteln, Putzen, Backen oder Homeschooling schossen Playlists aus dem Boden – und es wurde eben sehr nostalgisch. So heißt es in einer Presseaussendung: "Basierend auf dem Streamingverhalten vom 1. bis 7. April 2020 hat Spotify festgestellt, dass die Anzahl der Hörer*innen, die Playlists mit Klassikern und Lieblingssongs vergangener Tage erstellt haben, um 54 Prozent angestiegen ist. Auch die Anzahl der gestreamten Songs aus den 50er, 60er, 70er und 80er Jahren hat zugenommen."

Dass das musikstreamende Volk durchaus Humor besitzt, zeigen zumindest zwei Nostalgie-Titel, die international massiv an Hörerschaft gewannen: Solitude von Billie Holiday und In My Room von den Beach Boys. (Amira Ben Saoud, 4.12.2020)