Manchmal wehen bei Corona-Protesten Regenbogenfahnen neben Reichsflaggen, manchmal werden Erstere zerrissen.

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Eine Frau dreht sich mit ihrem Hula-Hoop-Reifen im Kreis, hinter ihr wedelt eine andere mit ihren Händen in der Luft, als wäre sie bei einem Konzert. "Achtsamkeit! Naturkunde! Homöopathie!" steht auf einem Plakat, auf einem anderen: "Was früher Unrecht war, ist heute Bill Gates." Reichsflaggen wehen neben "Peace"-Fahnen. Ein Mann trägt einen dem Judenstern der Nazis nachempfundenen Aufnäher auf der Jacke, in der Mitte steht in Frakturschrift: "ungeimpft". Eine Demonstrantin vergleicht sich mit Sophie Scholl.

All das sind fotografisch oder filmisch festgehaltene Szenen von Corona-Protesten in Österreich und Deutschland, die uns seit Monaten begleiten. Jeder, der einmal einem solchen Protest beigewohnt hat, kennt derartige Bilder. Kürzlich wurde bekannt, dass auch der Verfassungsschutz die sogenannte "Querdenker"-Szene beobachtet. "Eine antisemitische Ausprägung wird auch in Teilen der Anti-Corona-Protestbewegung immer offensichtlicher", sagte Innenminister Karl Nehammer (ÖVP). Auch im deutschen Baden-Württemberg wird die Szene von den Sicherheitsbehörden beobachtet.

Aber was ist das eigentlich für ein wildes Sammelsurium an Motiven und Ideologien, das hier zusammenkommt? Darunter sind Personen mit Hang zum Esoterischen, selbsternannte Systemkritiker, aber auch Rechtsextreme und handfeste Antisemiten. Auf den ersten Blick mutet es vielleicht seltsam an, wer da zusammenwächst, um gegen Corona-Maßnahmen zu demonstrieren. Doch diese verschiedenen Milieus verbindet vieles.

"Dreiklang"

"Der Kitt, der all diese Menschen zusammenhält, ist die verschwörungsideologische Sicht auf die Welt", sagt Melanie Hermann von der Amadeu-Antonio-Stiftung in Deutschland. Hermann forscht und hält Vorträge zu Verschwörungs- und rechten Ideologien und Antisemitismus. In den letzten Monaten legte sie gezwungenermaßen einen Fokus auf die Corona-Proteste: Es sind Themen, die dort rauf und runter gespielt werden. "Es geht um die Vorstellung, dass nichts auf der Welt, auch nicht in einer Pandemie, zufällig passiert", sagt Hermann. Diese Vorstellung habe sich in den letzten Monaten bei den Corona-Protesten "Bahn gebrochen". Die Grundhaltung: Hier geht es nicht mit rechten Dingen zu.

Hermann spricht von einem "Dreiklang": Esoterik, Verschwörungsideologie, Rechtsextremismus. Einerseits gebe es eine strukturelle Überschneidung zwischen Esoterik und Verschwörungsideologien: die Sehnsucht nach Eindeutigkeit, nach einer Instanz, die sagt, was richtig und was falsch sei – verbunden mit dem Glauben, dieses Wissen sei natürlich in einem angelegt. Auch Gurus spielen in beiden Szenen immer wieder eine große Rolle.

Man hängt zwar der Vorstellung an, Avantgarde zu sein, lehnt aber gleichzeitig die moderne Gesellschaft ab. Das Ideal wird in einem imaginären Naturzustand gesehen, wo Mensch und Natur noch in Einklang lebten und den diese unsere Gesellschaft mittlerweile unglücklicherweise hinter sich gelassen habe. "Dieser Zustand existierte nie", sagt Hermann dazu. "Eine Grundeigenschaft von menschlichem Leben ist, dass wir nur in sozialen Konstrukten leben können."

Verbreitete Verschwörungsmentalität

Dieser Zusammenhang, vor dem Experten und Beratungsstellen schon lange warnen, wurde mittlerweile auch wissenschaftlich untersucht. In der kürzlich erschienenen Leipziger Autoritarismus-Studie kommen die Autoren Clara Schließler, Nele Hellweg und Oliver Decker in einem Beitrag zu dem Schluss, dass sich in den Protesten "die Kopräsenz von Verschwörungserzählungen und abergläubischen bzw. esoterischen Deutungen der Krise gut beobachten" ließe. Die Zusammenkünfte könnten zudem als "Arena für rechte Radikalisierung" dienen.

Die Ergebnisse der Studie machen deutlich, wie verbreitet esoterische Ansichten in Deutschland sind – 13,9 Prozent glauben an Glücksbringer, Wahrsagerei, Wunderheiler und Astrologie, 52,4 Prozent sind der Ansicht, dass die gegenwärtigen Krisen ein neues Zeitalter ankündigen, 52,2 Prozent glauben, dass die Natur die Menschen mit den gegenwärtigen Krisen "ermahnt." Zahlen, die vermutlich auch in Österreich nicht viel anders aussehen würden.

Die Werte zur Verschwörungsmentalität bezeichnen die Autoren als "noch beeindruckender." 20,4 Prozent haben eine "stark ausgeprägte", 45,8 Prozent eine "latente Bereitschaft", in der Welt Verschwörungen wahrzunehmen. Dazu zählt etwa die Zustimmung zu einer Aussage wie: "Die meisten Menschen erkennen nicht, in welchem Ausmaß unser Leben durch Verschwörungen bestimmt wird, die im Geheimen ausgeheckt werden."

Der Begriff "conspirituality" umfasst den Zustand, wenn Verschwörungsmentalität, Esoterik und Aberglauben zusammen auftreten. In der Autoritarismus-Studie wird erstmals die Verbreitung von conspirituality in Deutschland erfasst: 5,1 Prozent der Befragten zeigten demnach eine "starke Neigung".

Die Forscher verweisen zudem darauf, dass Verschwörungserzählungen oft als Hilfskonstruktionen für esoterische Überzeugungen dienen können: Etwa könne die Annahme eines von Bill Gates geleiteten Impfkartells erklären, warum "unterdrücktes Wissen" über Naturheilmethoden und die Wirkungslosigkeit von Impfungen nicht an die Öffentlichkeit gelangen würde.

Neues Sicherheitsproblem

Eine weitverbreitete esoterische Vorstellung ist zum Beispiel, dass man an Krankheiten selber schuld ist. Entweder weil der Körper es verlernt hat, diese selbst und ohne Medikamente zu überwinden – oder weil sich schlechtes Karma rächt. "Man soll also mit sich ins Reine kommen, um auch der Gemeinschaft nicht zu schaden", sagt Hermann. "Diese Grundideale passen auch gut in ein rechtsextremes Weltbild, das selbst wiederum nie ohne Verschwörungen auskommt."

Die Vorstellung, dass es eine Elite gibt, die heimlich die Welt regiert – nicht nur ein Merkmal von genuin rechtsextremen Kreisen – führt zumeist direkt in den Antisemitismus. Denn in den allermeisten Fällen sind die vermeintlichen Strippenzieher Juden. Hermann erklärt das mit einem gesellschaftlich Unbewussten, in dem diese Ressentiments generell angelegt seien und das in Fällen der Schuldzuschreibung dann auf diese antisemitischen Stereotype zurückgreife.

Kann das zu einem neuen Sicherheitsproblem für Juden und Jüdinnen im deutschsprachigen Raum werden? Ja, glaubt Hermann. Schon jetzt würden jüdische Einrichtungen nicht ausreichend geschützt. "Die Gewaltbereitschaft scheint zuzunehmen."

Aus den "Querdenkern", anfangs ein Zusammentreffen unterschiedlicher Milieus, könnte eine neue, eigenständige Bewegung werden, glaubt Hermann. Zeigen werde sich das in ein paar Monaten, wenn Corona "nicht mehr der Pull-Faktor sein kann". Der Boden dafür könnte bereits Monate zuvor durch das Staatsverweigerermilieu (in Deutschland Reichsbürgermilieu) bereitet worden sein. Bereits dort wurden einschlägige, staatsfeindliche Thesen salonfähig gemacht. (Vanessa Gaigg, 15.12.2020)