Maia Sandu bei einem Protest vor dem Parlament am Donnerstag.

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Bei Joe Biden lässt sich Wladimir Putin immer noch Zeit, doch nach der Wahl Maia Sandus zur Präsidentin der kleinen GUS-Republik Moldau war der Kremlchef einer der ersten Gratulanten. Die schnelle Anerkennung des Wahlsiegs war ein überraschend positives Signal, denn Sandu besiegte den als prorussisch geltenden Amtsinhaber Igor Dodon.

Die von Moskau ausgesprochene Hoffnung auf "konstruktive Beziehungen" scheint allerdings bereits jetzt schon wieder Makulatur. Zwar hat auch Sandu betont, ein gutes Verhältnis zu Russland aufbauen zu wollen. Zugleich hat sie aber in zwei wunde Punkte der bilateralen Beziehungen gestoßen: Sie forderte den Abzug der russischen Truppen und weigerte sich, die von der abtrünnigen Teilrepublik Transnistrien angehäuften Gasschulden gegenüber Moskau zu begleichen.

Truppen aus Russland

Jede dieser Äußerungen hätte in Moskau für Verstimmung gesorgt. Zusammen brachten sie die russische Führung in Rage: "Russland erfüllt eine sehr wichtige Funktion und zweifellos führt jede Veränderung eines Status quo, der auf dem Geist und dem Buchstaben des internationalen Rechts basiert, zu einer ernsthaften Destabilisierung", warnte Kremlsprecher Dmitri Peskow.

Russlands Außenminister Sergej Lawrow bemerkte lakonisch, wer ein gutes Verhältnis aufbauen wolle, müsse die Interessen der Gegenseite achten. Sandu solle sich mal die bestehenden Abmachungen durchlesen. Die russischen Friedenstruppen befänden sich in der Republik Moldau aufgrund der Entscheidungen der 5+2-Gruppe (besteht aus Russland, der Ukraine, den USA, der EU und der OSZE sowie den beiden Konfliktparteien Moldau und Transnistrien), sagte der russische Chefdiplomat.

Nicht nur Friedenstruppen

Doch die Abmachungen haben unterschiedliche Lesart. In Chisinau verweist man darauf, dass die Friedenstruppe durch eine zivile Mission ersetzt werden könne. Zudem bestehe das russische Kontingent nicht nur aus der Friedenstruppe, sondern darüber hinaus auch aus Soldaten der "Operativen Gruppe russischer Streitkräfte", dem Erbe der seit den 1950er Jahren in Moldau stationierten sowjetischen 14. Gardearmee. Deren Aufgabe sei die Bewachung der Munitionslager in der Region. Doch eigentlich habe sich Russland schon vor langem verpflichtet, diese zu räumen.

Die russische Führung denkt gar nicht daran, ihren Stützpunkt in der Region zu räumen. "Wir werden das nicht tun", sagte Franz Klinzewitsch, Mitglied des Verteidigungsausschusses im Föderationsrat. "Noch einen Konfliktherd zu schaffen, wo Menschen mit russischem Pass zu Schaden kommen, wird wohl niemand erlauben", sagte der Senator.

Teilrepublik Transnistrien

Tatsächlich hat Russland schon vor langer Zeit mit der Vergabe russischer Pässe an die Bewohner der abtrünnigen Teilrepublik Transnistrien begonnen. Nach Angaben von Wadim Krasnoselski, dem faktischen Oberhaupt in Tiraspol, haben inzwischen 220.000 Bürger, also praktisch die Hälfte der Bevölkerung der Region, einen russischen Pass. Damit hat der Kreml einen langen Hebel für seine Manipulationsversuche in der GUS-Republik.

Am schärfsten formulierte der Chef des Duma-Ausschusses für GUS-Angelegenheiten Leonid Kalaschnikow die russische Ablehnung: Kalaschnikow bezog sich dabei auch auf die Ablehnung Sandus, die Gasschulden Tiraspols gegenüber Moskau zu begleichen: "Wenn das (Transnistrien) nicht dein Land ist, dann sitz still und kräh nicht", forderte er Sandu auf. "Das Gas ist nicht deins, die Menschen sind nicht deine, aber wir sollen die Friedenstruppen abziehen", damit die Menschen dort "versklavt" werden könnten. Das werde nicht passieren, versicherte er.

Ohne Russland kann die Republik Moldau ihr territoriale Integrität nicht herstellen. Damit bleibt das Land gelähmt.

Tiefer Korruptionssumpf

Aber es gibt noch weitere Probleme. Die Republik ist gespalten zwischen Anhängern einer Ost- und Westintegration. Schätzungsweise 350.000 Moldauer leben und arbeiten in Russland – bei einer Gesamtbevölkerung von 2,7 Millionen.

Darüber hinaus sind Politiker beider Lager tief im Korruptionssumpf versunken. Einen Großteil der Elite stellt die aktuelle Lage zufrieden, weil sie in den vergangenen Jahren durch die unklare Lage ihr Kapital schmieden konnten, während der Großteil der Bevölkerung verarmte. Ämterkauf, Vetternwirtschaft und Bestechung sind in der Republik an der Tagesordnung. Bis 2019 war Oligarch Wladimir Plahotniuc der wichtigste Strippenzieher im Land.

Russlands "Waschsalon"

Moldau erlangte durch internationale Finanzskandale traurige Berühmtheit. So war das Land ein Teil des so genannten "Russischen Waschsalons", als zwischen 2010 und 2014 geschätzt zwischen 20 bis 80 Milliarden Dollar Schwarzgeld aus Russland gewaschen und über Mittlerstaaten wie die Republik Moldau, aber auch Lettland und Estland nach Westen transferiert wurden.

Ein weiterer Skandal war die Entwendung von einer Milliarde Dollar aus dem moldauischen Bankensystem – das entspricht zwölf Prozent des BIP. In die Affäre war sogar der damalige Premier Wlad Filat – ein angeblich proeuropäischer Politiker – verwickelt. Filat musste für vier Jahre ins Gefängnis, doch das Geld ist bis heute nicht wieder aufgetaucht.

Keine Mehrheit

Die Menschen haben Sandu gewählt, weil sie ein Ende der Korruption (sie ist dabei freilich nicht die erste im Land) versprach, doch als Präsidentin hat sie in der parlamentarischen Republik nur wenige Kompetenzen. Sie kann zwar Richter und Staatsanwälte entlassen und damit die Justiz ausmisten, doch die wichtigsten Entscheidungen werden nach wie vor in der Regierung und im Parlament getroffen. Dort haben Sandus Anhänger bislang keine Mehrheit.

Sandu will daher vorgezogene Neuwahlen. Die Gegenseite hat daran kein Interesse, viele Abgeordnete haben sich bequem eingerichtet. So demonstrieren die Anhänger der Präsidentin nun tagein, tagaus vor dem Parlament, um Druck zu machen. Derzeit sieht freilich wenig danach aus, dass sich in Chisinau schnell etwas ändert. (André Ballin aus Moskau, 4.12.2020)