Der Ausbau des virtuellen Raums ist in vollem Gange: Die Pressekonferenz der Virtual-Reality-Ausstellung "Alice: Curiouser and Curiouser", die im März 2021 im Victoria & Albert Museum in London eröffnet, konnte man als animierter Charakter besuchen. Ein Vorgeschmack auf die Zukunft?
Foto: Still from 'Curious Alice', a VR experience created by the V&A and HTC Vive Arts. Featuring original artwork by Kristjana S Williams, 2020

"Bitte auch nach Covid weiter betreiben", lautet ein Kommentar unter dem Live-Video auf Instagram. Zugeschaltete Expertinnen diskutieren in Echtzeit über Body-Positivity in der Kunst. Herzchen fliegen über den Bildschirm. Darunter werden Fragen gepostet: Was hätte Rubens wohl zu einer Nippel-Zensur gesagt?

Mit dem Talkformat "ArtAperitivo" und interaktiven Touren auf Instagram holt das Kunsthistorische Museum aktuelle Debatten in Kombination mit Werken aus der Sammlung ins Digitale – und lässt mittels Votingtool und Kommentarfunktion das Publikum live daran teilhaben und mitbestimmen. Das Wort der Stunde lautet: Partizipation.

Instagram, Facebook, Zoom

Zwar ist es kein Novum, dass Museen Live-Videos über Social Media spielen. Der Trend geht aber stärker dahin, auf möglichst kreative Art Kunst auch in Zeiten abgesagter Veranstaltungen virtuell zu vermitteln: Talks mit Drinks oder Einblicke in den Ausstellungsaufbau. Mehr und mehr Kunsteinrichtungen spielen Echtzeitvideos auf Instagram, Facebook oder via Zoom-Meetings. Dort ist es möglich, das Programm – fast wie bei einem echten Event – an das Publikum anzupassen.

Nun sind auch die letzten großen Museen in Österreich auf den interaktiven Zug aufgesprungen. Fast jeden Wochentag kann man an einem anderen Live-Event teilnehmen. Sogar Häuser wie die Albertina, die sich anfangs zurückhaltend zeigten, bieten nun Live-Einblicke in aktuelle Ausstellungen an.

Der Zugang scheint sich aufgrund der aktuellen Situation auch seitens des Publikums geändert zu haben: Das Belvedere beispielsweise, das sein digitales Angebot weiter ausgebaut hat und täglich Inhalte offeriert, konnte seine Online-Fangemeinde im Vergleich zum Frühjahr mehr als verdoppeln.

Keine Scheuklappen

Selbstverständlich gebe es einen großen Unterschied zwischen realen und digitalen Formaten, sagt Ingried Brugger, Direktorin des Bank-Austria-Kunstforums Wien. Allerdings könne sich dieser durch Partizipation verringern, mit jenen Formaten der Realität so nahe wie möglich kommen. Das Kunstforum will ein "digitales Ausstellungshaus" werden.

Neben dem schon im Frühjahr initiierten virtuellen Kunstsalon, der mit begrenzter Besucheranzahl einen intimen Austausch ermöglicht, werden große Fokus-Führungen durch die aktuelle Gerhard-Richter-Schau à 45 Minuten angeboten.

Dass die Teilnahme daran allerdings 4,99 Euro pro Person koste, gelte noch als unüblich, gibt Brugger zu. Deshalb war sie selbst überrascht, wie gut das Experiment ankam: An einem Rundgang im Herbst nahmen mehr als 800 Menschen teil. Hier sieht sie großes Potenzial und auch die Bereitschaft, für digitale Angebote zu bezahlen. Immerhin könne die Ausstellung auf diese Weise von überall aus besucht werden, so die Direktorin. "Jetzt darf man nicht mit Scheuklappen davonrennen!"

Museen als soziale Medien

Hier macht auch die Kunstwissenschafterin Anika Meier die Stärken der digitalen Live-Formate fest, die als Expertin Ausstellungen zum Thema digitale Kunst und Kunst und soziale Medien für Galerien und Museen entwirft. "Anders als bei einem Vortrag vor Ort kann man Fragen auch zwischendurch stellen – und ihn dadurch aktiv mit gestalten", erklärt sie. Außerdem müsse das Publikum nicht vor Ort sein, um daran teilnehmen zu können.

Dadurch steige die Reichweite enorm, überschreite nationale Grenzen und eröffne neue Möglichkeiten, die auch in Zukunft relevant für die Kunstbranche sein können. Dennoch dürfe man digitale und reale Erlebnisse nicht gegeneinander ausspielen, so Meier.

In ihrer Kolumne im Kunstmagazin Monopol fordert sie, dass es an der Zeit sei, vom "Interaktionsgedanken der sozialen Medien" zu lernen. "Museen müssen die besseren sozialen Medien werden", schreibt sie. Wobei sie sich aber nicht auf die Vermittlung bezieht, sondern auf die Kunst im Digitalen: also Ausstellungen in digitalen Räumen, in denen Besucher – wie bei einer Vernissage – mit der Kunst und miteinander interagieren können.

Erste Institutionen, wie die diesjährige Ars Electronica, erproben Programme wie Mozilla Hubs, mit denen so etwas bereits möglich ist. Bisher werde dort vor allem virtuelle Kunst gezeigt, so Meier. Das Bedürfnis, sich in solchen Räumen zu treffen, sei aber groß.

Avatare, Roboter und KI

So organisierte das britische Victoria and Albert Museum anlässlich einer neuen Schau, die mit Virtual Reality (VR) arbeitet, eine erste Pressekonferenz, an der man als digitaler Charakter teilnehmen konnte. In der virtuellen Welt wartete tatsächlich die Kuratorin als animierte Figur. Werden wir irgendwann als digitale Avatare ins Museum gehen können?

Der Geschäftsführer der OÖ Landes-Kultur GmbH, Alfred Weidinger, der seit seinem Antritt im Frühjahr das digitale Programm des Landesmuseums ausbaut, setzt große Hoffnung in Programme, die an der Grundidee eines Onlineformats arbeiten, das virtuelle Interaktion ermöglicht. Facebook Horizon nennt er hier als das "interessanteste Vorhaben". Die Mischung aus VR-Treffpunkt und Spiele-Baukasten werde bereits vorbereitet.

Neben Live-Formaten auf Instagram möchte er künftig besonders mit VR-Anwendungen und künstlicher Intelligenz arbeiten. Roboter kämen bereits jetzt im Museumsbetrieb zum Einsatz. Was hätte Rubens wohl dazu gesagt? (Katharina Rustler, 4.12.2020)