Abstand halten, Kontakte reduzieren – und bloß keine Partys: Das hat auch in Wohngemeinschaften den Alltag verändert.

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Jeder Mensch geht anders mit der Corona-Pandemie um: Für die einen ist das Virus eine permanente Bedrohung. Andere nehmen die Pandemie locker. Sie wollen ihr Leben trotz Lockdowns ohne Einschränkung weiterleben – und auch weiterhin Freunde treffen und zu Hause feiern.

Das kann für Konflikte sorgen, wenn diese unterschiedlichen Auffassungen auf wenigen Quadratmetern Wohnfläche aufeinanderprallen. In mancher Wohngemeinschaft soll mittlerweile der Haussegen schiefhängen, weil ein einzelner Bewohner sämtliche Mitbewohner angesteckt hat.

Stimmung geändert

Eine "Horrorvorstellung", wie Claudia K., die ihren richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen will, dem STANDARD erzählt. Sie wohnt seit vielen Jahren in unterschiedlichen Konstellationen in einer Wohngemeinschaft in einer großen Altbauwohnung in Wien. Bisher war sie ein Fan des WG-Lebens. Den ersten Lockdown im Frühjahr hat sie gemeinsam mit ihren beiden Mitbewohnern noch sehr positiv erlebt.

Seither hat sich die Stimmung geändert: Mittlerweile sind die Mitbewohnerin und der Mitbewohner von den Einschränkungen erschöpft. "Sie sagen, sie haben keine Lust mehr auf den Lockdown", erzählt Claudia K. dem STANDARD. Daher laden die beiden seit kurzem immer wieder Freunde nach Hause ein, mit denen sie kochen, spielen oder feiern.

Feiern in der Küche

Angefangen habe alles damit, dass einer der Mitbewohner eines Abends fragte, ob es okay wäre, einige Freunde nach Hause einzuladen. "Pro forma", wie Claudia K. sagt, "denn es war sofort klar, dass die Gäste längst eingeladen waren." Zähneknirschend stimmte sie zu. Während die Gruppe in der Küche feierte, blieb sie stundenlang in ihrem Zimmer, um Kontakt zu vermeiden. "Das war natürlich ein bisschen komisch", sagt Claudia K. Seither sind regelmäßig unterschiedliche Freunde der Mitbewohner zu Gast.

Zwar hat es mittlerweile eine Aussprache mit den beiden gegeben. Richtig verstanden fühlte Claudia K. sich dabei aber nicht. Ihre Bedenken, so empfindet sie es, würden ignoriert, sie fühlt sich als Spielverderberin. Und sie ist überzeugt: Sobald sie länger aus dem Haus ist, kommen Freunde der Mitbewohner zu Besuch. Das würden die ständigen vorsichtigen Anfragen der Mitbewohner, wie lange sie denn wegzubleiben gedenke, zumindest nahelegen.

Was tun, wenn sich die Mitbewohnerinnen und Mitbewohner in Zeiten einer Pandemie sorglos verhalten? Rechtlich wäre es für Claudia K. schwierig, sich zur Wehr zu setzen, erklärt der Jurist Wolfgang Kirnbauer vom Mieterschutzverband. Judikatur gibt es zu der Pro blematik naturgemäß noch keine. Und Wohngemeinschaften sind schon ohne Pandemie komplex.

Lösung am Küchentisch

Abhängig davon, ob Claudia K. Haupt- oder Untermieterin ist, stehen ihr unterschiedliche rechtliche Mittel zur Verfügung. Sie reichen von einer Mietzinsbefreiung, weil keine gefahrlose Benützung des Mietgegenstandes mehr möglich ist, bis hin zu einer Auflösung des Mietverhältnisses oder einem zu erwägenden Anspruch auf Schadenersatz. Klar ist aber: Eine Streiterei vor Gericht tun sich WG-Bewohner in der Regel nicht an. Häufiger findet sich im gemeinsamen Gespräch am Küchentisch eine Lösung.

Und viele andere WGs zeigen, dass das Zusammenleben in der Pandemie nicht nur funktionieren, sondern auch sehr schön sein kann. "Wir haben eigentlich keinen Besuch", erzählt Ariuna Bembejew, die Bewohnerin einer Siebener-WG in Wien-Alsergrund, dem STANDARD.

Eine Ausnahme sei die feste Freundin eines Mitbewohners, die alleine wohnt. Auch für eine Freundin, der es nicht gutging, wurde eine Ausnahme gemacht: "Aber dann wird davor gefragt, ob das für alle okay ist." Kontrollieren könne man das Verhalten der Bewohner außerhalb der Wohnung nicht, "und das ist auch okay". Gerade in der Weihnachtszeit verbringe man mehr Zeit miteinander. Unlängst wurde ein Adventkranz gebunden.

Von besinnlichem Zeitverbringen ist Claudia K. in ihrer Wiener WG weit entfernt. Gestritten werde zwar nicht. "Aber mein Vertrauen ist ein wenig erschüttert." Sie bemerkt auch, wie sie sich aus dem WG-Leben zurückzieht. Claudia K. wird in ihrer Wohngemeinschaft weiterhin versuchen, das Ansteckungsrisiko zu reduzieren – und zumindest alles durchzulüften, wenn Gäste zu Besuch waren. Aber nur noch bis zum Frühjahr. Dann will sie sich eine Wohnung suchen: "Es ist Zeit für etwas Eigenes." (Franziska Zoidl, Thorben Pollerhof, 6.12.2020)