ICE-Schnellzüge der Deutschen Bahn in Bayern sowie in Berlin ein Güterzug waren die Anschlagsziele eines 44-Jährigen.

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Wien – Man sollte nicht alles glauben, was im Internet steht. Vor allem nicht, wenn es das Onlinemagazin einer Terrorgruppe mit Tipps für Attentate auf Züge ist. Aus Sicht des Staatsanwaltes im Prozess gegen Qaeser A. und seine Ehefrau Sherhrazad A. hat der Erstangeklagte diesen Grundsatz nicht beherzigt. Und nach einer Anleitung aus dem Internet versucht, im Jahr 2018 vier ICE-Schnellzüge in Deutschland zum Entgleisen zu bringen, weshalb sich das Paar nun wegen Mordversuchs vor dem Geschworenengericht verantworten muss.

Am Ende des ersten Prozesstages hat der technische Sachverständige ausgeführt, dass zwei der vier Versuche theoretisch zum Erfolg hätten führen können. Die vielen Konjunktive sind gerechtfertigt: Denn mit den Materialien aus dem Baumarkt, aus denen der 44-jährige Erstangeklagte seine Tatwerkzeuge gebastelt hat, ist es praktisch unmöglich. Um einen Hochgeschwindigkeitszug aus den Schienen zu zwingen, seien Werkstoffe nötig, die es nur im Fachhandel oder direkt bei Industriebetrieben gibt, führte der Gutachter aus.

Zweimal merkte der Lokführer nichts

Tatsächlich rasten im Jänner und August 2018 die ICEs in der Nähe von Nürnberg beide Male unbeeindruckt über die Hindernisse und zerschmetterten sie dabei, die Lokführer bemerkten nicht einmal etwas von den Anschlägen. Anders im Oktober und schließlich Mitte Dezember in Berlin: Der unbescholtene A. versuchte eine andere Methode.

Dabei entstanden zwar Sachschäden in Höhe von knapp 10.000 Euro an den Garnituren, und der Lokführer hätte unter Umständen verletzt oder getötet werden können, zum Entgleisen brachte der Unbescholtene die Züge aber nicht. Laut dem Experten sei die bei diesen Versuchen angewandte Methode aber dafür auch ungeeignet.

A. und sein Verteidiger Wolfgang Langeder versuchen zu argumentieren, dass das Absicht gewesen sei – A. habe niemanden töten, sondern lediglich Aufmerksamkeit erregen wollen. Denn der seit 2013 in Österreich als Flüchtling anerkannte Iraker war mit der politischen Situation in seiner Heimat unzufrieden und wollte erreichen, dass die irakische Regierung – "das Regime", wie er es nennt – nicht mehr von europäischen Staaten unterstützt wird.

IS-Bekennerschreiben an den Tatorten

Um die Aufmerksamkeit zu maximieren, habe er Bekenner- und Drohschreiben im Namen der Terrororganisation "Islamischer Staat" und dessen Symbole an den Tatorten hinterlassen. Tatsächlich sei er aber nicht Mitglied dieser terroristischen Verbindung, wie ihm die Anklage vorwirft.

Seine Frau wird am zweiten Prozesstag einvernommen, sie soll ihm bei den Vorbereitungen geholfen und ihn ermuntert haben, sagt der Staatsanwalt. Die 33-Jährige bekennt sich aber, unterstützt von Verteidigerin Astrid Wagner, nicht schuldig. Sie habe keine Ahnung gehabt, was ihr Mann plane, beteuert sie.

Frau A. macht einen durchaus eloquenten Eindruck, als sie erzählt, die Ehe, die zu vier Kindern geführt habe, sei lieblos gewesen, sie habe sich aber damit abgefunden gehabt, das zu machen, was ihr Gatte sagt. 2014, nach der Geburt des dritten Kindes, als sie mit dem vierten schwanger war, habe er ihr eröffnet, dass er zurück in den Irak wolle. Sie vermutete eine andere Frau dahinter, sagt sie.

Daher habe sie sich noch mehr gefügt, schließlich beherrschte sie auch weder die Sprache, noch hatte sie soziale Kontakte in Österreich. Sie will nur von zwei Reisen etwas mitbekommen haben, auch bei denen vermutete sie die Affäre des Mannes als Hintergrund.

Widersprüchliche Kommunikation

Der Staatsanwalt widerspricht allerdings: Denn aus der sichergestellten elektronischen Kommunikation geht hervor, dass der Erstangeklagte ihr vor einem Anschlag schrieb: "Bete für mich, meine Königin. Ich drehe das Handy jetzt ab und melde mich, wenn ich zurück bin." Für den Ankläger eher keine Botschaft, um den Verdacht eines Seitensprunges auszuräumen.

Seltsam auch, dass Herr A. in Deutschland nach Kreislaufproblemen ins Krankenhaus eingeliefert wurde, wo seine österreichische E-Card nicht gültig war. Er kontaktierte seine Frau, aus dem Dialog geht nicht hervor, dass die Zweitangeklagte überrascht war, dass er im Ausland ist. Sie habe nichts hinterfragt, betont A. neuerlich.

Noch etwas interessiert den Ankläger: Bei ihrer Festnahme Ende März 2019 sei sie noch sehr traditionell arabisch gekleidet gewesen. Vor dem Geschworenengericht tritt sie dagegen ohne Kopftuch und geschminkt auf. "Wann und warum hat sich das geändert?", will der Staatsanwalt daher wissen. "Weil ich mich innerlich geändert habe, bevor ich mich auch äußerlich geändert habe", beteuert die Zweitangeklagte. In der Untersuchungshaft habe sie sich endgültig emanzipiert, mittlerweile wolle sie die Scheidung. "Heute bin ich eingesperrt, aber meine Gedanken und mein Geist sind frei", fasst sie ihre Entwicklung zusammen.

Auch DNA-Spuren der Kinder

Dass die DNA-Sachverständige auf Trümmern der Tatwerkzeuge A.s Erbmaterial gefunden habe, sei kein Wunder. Sie habe die Dinge angegriffen, als sie aufräumte. Für Verteidigerin Wagner eine plausible Erklärung: Denn auch die genetischen Spuren mancher Kinder wurden bei der Untersuchung entdeckt.

Auch in diesem Fall ist der Staatsanwalt misstrauisch: Nach ihrer Festnahme habe die Zweitangeklagte immer wieder ihre Aussagen den Ermittlungsergebnisse angepasst, ist er überzeugt. A. widerspricht: Teilweise habe es Missverständnisse gegeben, teilweise sei sie von den Ermittlern unter Druck gesetzt worden.

Die Geschworenen glauben ihr das und sprechen sie von allen Vorwürfen einstimmig frei, was sie weinend zur Kenntnis nimmt. Ihr Ehemann wird dagegen für die drei Anschläge auf die ICE wegen Mordversuchs schuldig gesprochen und erhält lebenslange Haft. A. erhebt Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung, der Staatsanwalt gibt in beiden Fällen keine Erklärung ab, die Entscheidungen sind daher nicht rechtskräftig. (Michael Möseneder, 3.12.2020)