Markus Kraetschmer hat sich Zeit genommen. In einem 25-minütigen Video erklärt der Vorstandsvorsitzende der FK Austria Wien AG den Geschäftsbericht für die Saison 2019/20. Er wünscht den Stakeholdern bei der Lektüre der 82 Seiten "viel Vergnügen". Nun, das Vergnügen endet spätestens auf Seite 75. Dort wird das Jahresergebnis mit einem Minus von 18,8 Millionen Euro angegeben. In der Fischhofgasse wurde schon wesentlich mehr gelacht.

Markus Kraetschmer hat bei der Wiener Austria schon deutlich bessere Zeiten erlebt.
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Wie konnte sich ein derartiges Finanzdesaster zutragen? Der Verein argumentiert mit der Corona-Pandemie. Im Vergleich zur Vorsaison konnte im Bereich Sponsoring um 44,6 Prozent weniger lukriert werden. Im Merchandising ist ein Minus von 35,3 Prozent und bei Eintrittsgeldern ein Minus von 27,2 Prozent entstanden. Die Umsatzerlöse sind insgesamt von 38,7 auf 22,7 Millionen Euro gesunken, die Aufwendungen haben sich kaum verändert. Das kann sich nicht ausgehen.

Dramatisch schlägt sich der Rückgang der Einnahmen aus dem Sponsoring nieder. Von 21,3 Millionen Euro aus der Vorsaison sind nur 11,8 Millionen Euro übrig geblieben. Ein nationaler und ein internationaler Sponsor hätten wertberichtigt werden müssen. Man kann auch sagen: Das zugesagte Geld ist niemals eingetroffen. Erklärt wird auch dieser Umstand durch die Covid-19-Krise. Nach seriösen Partnern klingt das nicht. Ob man das Geld einklagen wird? "Es steht uns zu", sagt Kraetschmer zum STANDARD, "für die Reputation ist es aber nicht gut, einen Sponsor zu klagen."

Wenig Geld

Nun wäre das in einer außergewöhnlichen Saison alles zu verkraften, wenn der Verein auf Rücklagen zurückgreifen könnte. Kann er aber nicht. Das bestehende Eigenkapital von 4,3 Millionen Euro wurde aufgebraucht, nun steht ein Minus von 14,5 Millionen Euro zu Buche. Der Verein ist überschuldet, ist er auch insolvent? "Nein", sagt Kraetschmer, "wir haben eine positive Fortbestehensprognose." Er betont, dass alle Gehälter pünktlich bezahlt werden, dass es keine überfälligen Verbindlichkeiten gibt. Eine zusätzliche Finanzierung über 3,9 Millionen Euro habe die Liquidität gesichert.

Noch gehen in der Generali-Arena nicht die Lichter aus – noch. Der Wirtschaftsprüfer hält zukünftige Erlöse für ebenso realistisch wie Einsparungspotenziale. Sollte von der Prognose jedoch abgewichen werden, muss unter den neuen Prämissen abermals geprüft werden, ob der Fortbestand des Unternehmens möglich ist. Und wenn dem nicht so ist? "Dann", sagt Kraetschmer, "ist der Vorstand verpflichtet, einen Insolvenzantrag zu stellen."

Aber wie will die Austria das Worst-Case-Szenario verhindern? Neben den Hilfsgeldern durch den von der Bundesregierung initiierten Sportligen-Fonds sollen vor allem ein Trikotsponsor und ein strategischer Partner den Verein aus der Finanzkrise führen. In der Tat spielt die Austria als einzige Mannschaft der Bundesliga ohne Brustsponsor. Das sieht zweifelsohne schick aus, wirft aber Fragen auf: Warum findet der Verein keinen Sponsor? Ist es wie auf dem Feld, klaffen Anspruch und Wirklichkeit auseinander?

Hohe Ansprüche

"Wir wollen uns nicht unter Wert verkaufen", sagt Kraetschmer, siebenstellig müsse der Betrag schon sein. Im Oktober hätte es fortgeschrittene Gespräche mit einem potenziellen Sponsor gegeben, dann seien der zweite Lockdown und der Terroranschlag von Wien dazwischengekommen. Welchem Unternehmen hat der Weitblick für einen zweiten Lockdown gefehlt? Welcher Betrieb lässt sich durch ein punktuelles Ereignis wie einen Anschlag von einer langfristigen Investition abhalten? Man fragt sich das, nicht nur als Stakeholder. Kraetschmer bleibt zuversichtlich: "Wir kommen bald zu einem Abschluss."

Wäre da noch der strategische Partner. Er soll mit Kapital einsteigen und bis zu 49,9 Prozent der FK Austria Wien AG übernehmen. Dieser Partner soll dem Verein sowohl wirtschaftlich als auch sportlich weiterhelfen. Man will, so hat es General Manager Sport Peter Stöger formuliert, nicht den schnellsten, sondern den besten für die Entwicklung der Austria finden. Nur kann vom schnellsten Partner keine Rede mehr sein, die Suche läuft bereits ein gutes Jahr. Bis zum 30. Juni 2021 hat sich der Verein Zeit gegeben. Und die Zeit drängt.

Wie kritisch ist die Situation also tatsächlich aus insolvenzrechtlicher Sicht? Schwer zu sagen, weil genauere Informationen fehlen. Einen wesentlichen Anteil an der positiven Fortbestehensprognose nehme das Konzept eines strategischen Partners ein, sagt der Experte Gerhard Weinhofer vom Gläubigerschutzverband Creditreform. "Hier werden keine Details veröffentlicht, daher kann auch nicht abgeschätzt werden, ob das Vorhaben realisiert werden kann."

Viele Baustellen

Die Austria hat viele Baustellen zu bearbeiten. Ihre wirtschaftliche Misere ist auch eine Folge der sportlichen Talfahrt. Das Geschäftsmodell ist auf Europacup-Teilnahmen und Transfereinnahmen ausgerichtet. Die letzte Teilnahme an einer Gruppenphase der Europa League liegt allerdings drei Jahre zurück. Wer international spielt, kassiert nicht nur Prämien und TV-Gelder, sondern kann seine Spieler auch in die Auslage stellen. Damals, in der Saison 2017/18, lukrierte die Austria durch die Transfers von Olarenwaju Kayode, Petar Filipovic und Jens Stryger Larsen mehr als fünf Millionen Euro. Damit kann man durchaus arbeiten.

Seither ist das Geschäft mit den Profis zum Erliegen gekommen. Der Verein, der einst Spieler wie Aleksandar Dragovic oder David Alaba in der hauseigenen Akademie entwickelte, der Nationalspielern wie Julian Baumgartlinger oder Zlatko Junuzovic als Sprungbrett nach Deutschland diente, steht mit relativ leeren Händen da. "Im Fußball kann es schnell gehen", sagt Kraetschmer, "es braucht nur ein guter Sponsor-Abschluss zu gelingen oder ein großer Transfer aufzugehen." Nur ist so ein großer Transfer bei der Austria momentan weit und breit nicht in Sicht.

Am Verteilerkreis hat sich ein Teufelskreis gebildet. Keine Erfolge, kein Europacup, keine Transfers, kein Geld, keine Erfolge. Zu Saisonbeginn gab man sich der Hoffnung hin, mit Trainer Peter Stöger wieder in die Spur zu finden. Stöger hat die Austria 2013 zum Meister gemacht, er ist international erfahren – aber er ist kein Magier. In neun Runden haben die Violetten zwei Siege eingefahren, die Qualifikation für die Meistergruppe der besten sechs Mannschaften ist in Gefahr, und das, obwohl die Austria hinter Red Bull Salzburg, Rapid und dem LASK den viertgrößten Personalaufwand der Bundesligisten betreibt.

Seidener Faden

Der Geschäftsbericht der Austria verweist auf die Krise der internationalen Topklubs. Borussia Dortmund etwa schreibe einen Verlust von 44 Millionen Euro. Befindet sich die Austria also in guter Gesellschaft? Nein, denn es gibt einen wesentlichen Unterschied: Die Borussia wies 2019 ein Eigenkapital von 336 Millionen Euro aus. Dazu stehen Spieler wie Erling Haaland oder Jadon Sancho im Kader. Jeder für sich ist rund 100 Millionen Euro wert. Angesichts solcher Reserven tanzen die Wirtschaftsprüfer Polonaise durch den Signal Iduna Park.

Die Austria hat es brutal erwischt. Die Mischung aus hohen Verbindlichkeiten durch den Stadionbau, sportlichem Niedergang und Covid-19-Krise ist unter dem Strich zu viel für den Verein. "Die Zahlen haben schockierende Wirkung", sagt Kraetschmer. In den kommenden sechs Monaten muss dem Vorstandsvorsitzenden vieles, wenn nicht sogar alles aufgehen. Das Schicksal des Vereins hängt an einem seidenen Faden. (Philip Bauer, Andreas Schnauder, 4.12.2020)