Radio Burgenland lässt alle grüßen.

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März, April, Lockdown eins: Es war ein sonnengetränkter Vorfrühsommer. Wer konnte, hängte die Nase in die blütenweiche Luft. Wer nicht konnte, schimpfte wenigstens auf die Regierung, weil die Bundesgärten wie zum Hohn geschlossen blieben. Arme Stadt, gesegnetes Land. Die Schneeglöckerln waren am Verblühen. Primeln gingen auf, die Krokusse, Narzissen bald schon. Und die Katzerln mochten den Palmsonntag nicht mehr erwarten. Auch den Älteren und Alten – schon hat man angefangen, sie "Vulnerable" zu nennen – fuhr der Frühling in die wintermüden Knochen.

Homeoffice: Du selber sitzt, nicht minder den Frühling in der Nase, in der ländlichen Sonne und versuchst, wenigstens halbwegs im Office zu sein und nicht nur daheim. Radio Burgenland dudelt durchs offene Fenster auf den Sonnenplatz. Du versuchst, die Emsigkeit der Audiokollegen anzuzapfen. Die sind längst in Schichtpartien geteilt. Die einen sitzen in Funkhaus-Quarantäne, die anderen eilen durchs Corona-Land und funken Lageberichte.

Irgendwann am frühen Nachmittag hörst du dann eine altersraue Stimme aus, ich glaube, Unterpodgoria, Bošnjakov Brig. Die Oma aus der lipa Vlahija, der schönen Walachei am Südhang des Günser Berglandes, grüßt die Enkerl in, glaub ich, Wien 20. Schickt einen musikalischen Gruß; wünscht alles Gute; und freut sich, worauf sich alle freuen in diesen Tagen: dass alles werde, wie es gewesen ist. In diesem Fall: dass die Enkerl wieder auf Besuch kommen mögen.

Es war ein Déjà-écouté. Helmut Qualtinger hat den Begriff dafür einst in die Umgangssprache hinübergewuchtet. "Erbschleichersendung" nannte man, distinguiert naserümpfend, dieses weitverbreitete Sendungsformat. Nach und nach ist es abgekommen. Corona hat das überkommene Format mit neuem Leben erfüllt. Nun funktioniert es hauptsächlich verkehrt herum. Jetzt grüßen via Radio nicht die Schleicher, sondern auch oder vor allem die Beschlichenen.

"Spannende Zusatzaufgaben"

Ursula Hofmeister ist, seit Gaby Schwarz vor drei Jahren zu Sebastian Kurz in die Politik gewechselt ist, die Programmchefin von Radio Burgenland. "Durch Corona", sagt sie, "hat das Radio tatsächlich eine spannende Zusatzaufgabe gefunden." In besseren Zeiten mag es genutzt werden, wie es Kaufhäuser nutzen, was man despektierlich "muzak" nennt: Hintergrundgedudel, Berieselung.

Mit einem Mal aber hat man zu einer wieder aktiveren Rolle gefunden. Nicht nur im Burgenland. Aber da eben auch. "Radio Burgenland lässt grüßen" war so eine Idee aus dem Corona-bezüglichen Brainstorming. Nicht immer muss ja das Rad neu erfunden werden.

Zumal es im eigenen Haus ein diesbezüglich eh gallisches Dorf gibt: die kroatische Redaktion. Časak radosti heißt die Sendung, "ein Weilchen Freude". Es ist, erzählt der Redaktionschef Fred Hergovich, ein Dauerbrenner von Beginn an. "Seit 1979 senden wir die Wünsche und Grüße jeden Samstag und Sonntag, je eine Stunde."

Jetzt, im Dezember, geht das deutschsprachige Wunschkonzert jeden Mittwoch von 13 bis 14 Uhr als Ich wünsch dir was Hand in Hand mit Licht ins Dunkel. Man kann – besser: soll – die Wünsche und Grüße mit einer Spende verbinden. 50 Euro gingen da unlängst zum Beispiel an die vorweihnachtliche Sammelaktion. Dafür durfte die altersbrüchige Männerstimme Semino Rossi ins niederösterreichische Guntramsdorf schicken: "Aber dich gibt’s nur einmal für mich."

"Semino Rossi wird oft gewünscht", erzählt Hofmeister, "auch der Böhmische Traum vom DJ Ötzi, manchmal Peter Alexander." Aber in den erwartbaren Schmalz mischt sich auch anderes. "Die Älteren erkundigen sich, was die Adressaten für Musik mögen. Unlängst hat einer für den Enkel Bon Jovi spielen lassen." Und umgekehrt eine Tochter für die Mama den alten Janis-Joplin-Hadern Me and Bobby McGee.

"Scheiß di net an"

Gegrüßt wurde und wird quer durch. Nicht nur Omas und Opas richten den Enkerln was aus. Das geht umgekehrt auch. Freunde lassen Freunde grüßen. Gäste aus fernen Bundesländern die pannonischen Gastgeber, die umgekehrt ihre Gäste. Aus Lockenhaus grüßte jemand aufmunternd mit der jungen Sauerbrunnerin Julia Anna: Scheiß’ di net an. Einer aus der Reha in Bad Tatzmannsdorf mit den Seern: Monches Mal vergess ma, wia guats uns geht. John Denver kann auch Chris Steger heißen, wenn West Virginia das Burgenland wäre: Wann i dann hoam kimm. Goethe hätte so gegrüßt: "Im Tale grünet Hoffnungsglück."

Die Vorstellung, Ältere und Alte würden daheim oder im Heim sitzen und angewiesen sein auf den Außenkontakt via Radio, ist naiv. Natürlich können auch die Alten umgehen mit Handy und Computer. Aber via Radio wiegt das anders, schwerer. Und sei es nur durch die Erinnerung, in der man immer lebendiger sich umtut, je älter man wird.

Zwischen 13 und 14 Uhr, so erzählt ein Altenheimbetreuer, versammeln sich viele im Aufenthaltsraum. "Wir rufen die Menschen zurück, damit sie auch wissen, wann sie auf Sendung gehen." Die verständigen dann ihre Bewünschten, auf dass die auch nichts versäumen von der altmodischen – und in Corona-Zeiten wieder so rührend modern gewordenen – Variante eines kurzen, bescheidenen Ruhms. Radio Burgenland kann man in den südlichen Wiener Bezirken gut empfangen. Via Internet sowieso überall. Mag sein, manchen erhellt es den Tag. Durchs Radio wird gewissermaßen notariell beglaubigt, noch nicht ganz vergessen zu sein. Oder zu haben.

Eine ferne Jubilarin in Wien-Simmering soll sich von der burgenländischen Freundin umarmt fühlen und mit ihr gleich "alle, die Geburtstag haben und nicht feiern können". Aus vielen dieser Wünsche und Grüße grüßt eine unbändige Sehnsucht nacheinander. Und die Hoffnung, dass es bald werde, wie es war. Corona nervt. Im Burgenland sagt man: Es togazt. So sehr, dass selbst ein Schmerzenslied auf den Kater hoffnungsfroh klingt. Mit Nimmer die Jüngsten des Männerduos Mini & Claus lässt ein Paul Schefberger seine Freitagmittagsrunde grüßen. Und die so vorbildlich gastgebende Wirtsfamilie Paller.

Kurz darauf aber ernüchtert ein gewisser Sebastian Kurz aus ebendiesem Lautsprecher: "Nix da!" (Wolfgang Weisgram, 7.12.2020)