Die Sensorik ist ständig Teil unseres Lebens: Alles, was wir tun, nehmen wir mit unseren Sinnen wahr. Auch Produkte, die wir essen oder verwenden.

Als Sensorikerin beschäftige ich mich mit der sinnlichen Bewertung von Produkten, meistens mit Lebensmitteln. Seit drei Jahren bin ich wissenschaftliche Mitarbeiterin im Fachbereich Lebensmittelwissenschaften am Campus Wieselburg der FH Wiener Neustadt.

ROSWITHA ENZELBERGER (28) ist Sensorikerin. Seit drei Jahren ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Campus Wieselburg der FH Wiener Neustadt. Vom Kindertraum, Tierpflegerin zu werden, zeugen noch ihr Hund und zwei Esel, die die Vegetarierin besitzt.
FH WN

Als Kind hatte ich nie den Wunsch, in der Forschung zu arbeiten – ich wollte Tierpflegerin oder Köchin werden. Ich bin auf einem Bauernhof aufgewachsen, die Erzeugung von Rohstoffen und Produkten hat mich von klein auf begleitet und interessiert. An der Tourismusschule in St. Pölten hatte ich Lehrer, die mich gefördert und mir ein Studium nahegelegt haben – was ich selbst nicht geplant hätte. Nach dem Wirtschaftsbachelor mit Fokus auf Produktmarketing und Lebensmittelwirtschaft an der FH Wiener Neustadt, habe ich den Master Lebensmittelproduktentwicklung und Ressourcenmanagement angehängt. Da bin ich mit der Sensorik in Kontakt gekommen und habe in Deutschland noch die Ausbildung zur Sensorikmanagerin gemacht.

Gemeinsam mit meiner Kollegin Kathrin Heim forsche ich seither zum Beispiel für große Firmen und Start-ups daran, welches Produkt den Konsumenten besser schmeckt, bevor es im Handel landet. Aktuell testen wir mit 200 Probanden drei Bratwürste. Dabei zählt mehr als der Geschmack: Auch Geruch, Aussehen, Textur und Mundgefühl sind wichtig. Man schmeckt ja nur wenig – süß, salzig, sauer, bitter und umami –, die Geschmacksexplosion findet in der Nase statt. Gerade in Corona-Zeiten erleben das viele: Ist der Geruchssinn weg, kann auch die Lust am Essen verlorengehen.

Drive-in für Forschung

Die Pandemie erschwert auch unsere Forschung. Bei Experimenten mit Lebensmitteln hat man immer einen hohen HygieneStandard, aber wir können wegen der Corona-Regeln im Labor derzeit nicht 400 Teilnehmer Produkte verkosten lassen. Auch in Kleingruppen müssten wir ständig desinfizieren, sodass die Probanden nicht richtig beurteilen könnten, weil es so nach Desinfektionsmittel riecht.

Wenn sie also nicht zu uns kommen können, muss das Labor zu ihnen. Für unsere letzte Studie mit Schokoriegeln haben wir dafür ein Drive-in eingerichtet. Riegel sind ein Produkt, das man den Probanden gut mitgeben kann: Die brauchen keine Kühlkette wie die Bratwürste, die wir zur Sicherheit nach Hause liefern. Für das Drive-in mussten wir ein Verkehrskonzept entwickeln, damit es sich vor der FH nicht staut. Nach vier Stunden hatten wir über 400 Probenpakete verteilt.

Auch die Rücklaufquote war für so ein Homesetting enorm: Über 60 Prozent haben den Onlinefragebogen vollständig ausgefüllt, nur vier Prozent abgebrochen – immerhin mussten die Teilnehmer alles selbst machen. Klare, verständliche Anweisungen sind da umso wichtiger. Zwischendurch gab es im Fragebogen den Hinweis, einen Schluck Wasser zum Neutralisieren zu trinken – normalerweise sage ich so etwas als Prüfungsleiterin im Labor.

Schnellmethoden vergleichen

Bei den Schokoriegeln ging es aber nicht um den Geschmack an sich, sondern wir haben damit zwei sensorische Schnellmethoden verglichen. Neben den sogenannten hedonischen Prüfungen, für die 60 bis 400 Konsumenten angeben, was ihnen besser schmeckt, gibt es die analytischen Prüfungen mit Experten. Diese testen nicht die Beliebtheit – weil sie viel kritischer sind als der Durchschnittskonsument –, sondern die feinen Unterschiede. Zum Beispiel das Pfefferl in der Weinbeschreibung geht auf Sommeliers zurück, nicht auf Konsumenten.

Etwa acht bis zwölf gut geschulte Experten braucht es für solche Produktprofile. Das kostet viel Geld und Zeit – das haben bekanntlich die wenigsten Firmen. Da können Schnellmethoden helfen. In früheren Studien haben wir uns damit beschäftigt, wie viele prüfende Konsumenten bei solchen analytischen Verfahren notwendig sind. Für ein aussagekräftiges Ergebnis benötigt es mindestens 20, am besten 33.

Nach den Verkostungen halten wir die Tester auf unserem Facebook-Blog Food Pioneers mit den jeweiligen Forschungsergebnissen auf dem Laufenden. Denn viele interessiert der Produktentwicklungsprozess oder es gefällt ihnen, mitbestimmen zu können, welches Produkt künftig im Supermarkt steht.

Neuwagengeruch

Wir testen nicht nur Lebensmittel, sondern auch Non-Food. Bei Cremes haben wir mit ähnlichen Methoden herausgefunden, dass sie sich reichhaltiger anfühlen, je dicker und dunkler sie sind. Auch die Haptik eines Buchs oder der Geruch eines Neuwagens sind von Sensorikern beeinflusst. Neuwagenduft löst bei den meisten Kunden positive Gefühle aus, Menschen kaufen auch lieber Produkte, die alle fünf Sinne ansprechen.

Im Arbeitsalltag stehe ich nicht nur im Labor. Ich habe auch klassische Schreibtischarbeiten, halte Vorträge auf Konferenzen, mache Lehrveranstaltungen oder betreue Masterarbeiten. Diese Abwechslung ist super, auch der Spirit am Campus und die Interdisziplinarität der Forschung. Ohne die Zusammenarbeit verschiedener Abteilungen wäre der Drive-in nicht möglich gewesen. Und letztlich kann ich mich großteils mit – meistens – sehr schmackhaften Produkten auseinandersetzen. (Selina Thaler, 6.12.2020)